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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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dulde der Agitation zu thun, welche sich in den letzten Jahren gegen die Fäl¬
schung von Nahrungsmitteln u. s. w. mit steigender Lebhaftigkeit geltend gemacht
hat. Die Energie, mit welcher das Neichsgesundheitsamt sich der Bekämpfung
des gewissenlosen Betruges auf diesem Gebiete angenommen, ist in den weitesten
Kreisen der Bevölkerung mit unverhohlener Genugthuung begrüßt worden.
Auch dem vorliegenden von ihm ausgearbeiteten Gesetzentwurfe werden unbe¬
streitbar die größten Shmpathien entgegengetragen. Dennoch wurde an dein
gewichtigsten Theile desselben, an den vorgeschlagenen Controlemaßregeln, eine
scharfe Kritik geübt. Daß sich der Zweck, die möglichste Sicherstellung des
Publikums gegen gefälschte Waaren nicht ausschließlich auf dem Wege der
Repression erreichen lassen wird, sondern daß es mehr noch auf wirksame
Präventivmaßregeln ankommt, kann niemand bezweifeln, sehr fraglich aber ist,
ob der in dem Gesetzentwurfe vorgeschlagene Modus der Prcivention als zu¬
lässig anerkannt werden kann. Das Bedenklichste an diesen Vorschlägen ist,
daß die konkreten Maßregeln nicht von vornherein durch Gesetz festgestellt, son¬
dern der Anordnung des Bundesrathes überlassen bleiben sollen. Die Proteste,
welche im Uebrigen gegen das in Aussicht genommene Eingreifen der polizei¬
lichen Aufsichtsbehörden in Privatverhältnisse erhoben wurden, dünken uns in
ihrem vollen Umfange doch keineswegs berechtigt. Ohne ein solches Eingreifen
würden die schärfsten gesetzlichen Vorschriften ein todter Buchstabe bleiben.
Die Kommission, welcher die Vorlage überwiesen ist, wird die schwierige Auf¬
gabe haben, die scheinbar unversöhnlichen Interessen, welche hier einander
gegenüber stehen, so gut es gehen will, in Einklang zu bringen. Wir geben
die Hoffnung nicht auf, daß ein Mittelweg gefunden werden wird, welcher
einen besseren Schutz des Publikums, als er bisher möglich war, verbürgt,
ohne die Freiheit des Verkehres allzusehr zu benachtheiligen und der tenden¬
ziösen Chikane die Thür zu öffnen.

Einen breiten Raum der Diskussion in dieser Woche nahmen die Inter¬
essen der Spiritusfabrikation in Anspruch. Die schon oft erörterte, aber
praktisch noch nicht zum Austrage gebrachte Frage, ob Raumsteuer oder Fabrikat¬
steuer, wurde aus Anlaß einer Petition wieder einmal auf die Tagesordnung
gebracht, natürlich ohne entschieden zu werden. Die Petition wurde dem
Reichskanzler für deu in Aussicht genommenen Gesetzentwurf wegen Neurege¬
lung der Spiritussteuer zur Kenntnißnahme überwiesen. Eine Resolution, nach
welcher die Branntweinsteuer für allen zu gewerblichen Zwecken benutzten
Spiritus, vorausgesetzt, daß derselbe gemäß den darüber zu erlassenden Vor¬
schriften denaturirt worden ist, zurückgegeben werden soll, wurde fast einstimmig
angenommen. Dagegen fanden die schutzzöllnerischen Klagen des Herrn von
Kardorff über die Einfuhr von russischem Spiritus in das Freihafengebiet von


dulde der Agitation zu thun, welche sich in den letzten Jahren gegen die Fäl¬
schung von Nahrungsmitteln u. s. w. mit steigender Lebhaftigkeit geltend gemacht
hat. Die Energie, mit welcher das Neichsgesundheitsamt sich der Bekämpfung
des gewissenlosen Betruges auf diesem Gebiete angenommen, ist in den weitesten
Kreisen der Bevölkerung mit unverhohlener Genugthuung begrüßt worden.
Auch dem vorliegenden von ihm ausgearbeiteten Gesetzentwurfe werden unbe¬
streitbar die größten Shmpathien entgegengetragen. Dennoch wurde an dein
gewichtigsten Theile desselben, an den vorgeschlagenen Controlemaßregeln, eine
scharfe Kritik geübt. Daß sich der Zweck, die möglichste Sicherstellung des
Publikums gegen gefälschte Waaren nicht ausschließlich auf dem Wege der
Repression erreichen lassen wird, sondern daß es mehr noch auf wirksame
Präventivmaßregeln ankommt, kann niemand bezweifeln, sehr fraglich aber ist,
ob der in dem Gesetzentwurfe vorgeschlagene Modus der Prcivention als zu¬
lässig anerkannt werden kann. Das Bedenklichste an diesen Vorschlägen ist,
daß die konkreten Maßregeln nicht von vornherein durch Gesetz festgestellt, son¬
dern der Anordnung des Bundesrathes überlassen bleiben sollen. Die Proteste,
welche im Uebrigen gegen das in Aussicht genommene Eingreifen der polizei¬
lichen Aufsichtsbehörden in Privatverhältnisse erhoben wurden, dünken uns in
ihrem vollen Umfange doch keineswegs berechtigt. Ohne ein solches Eingreifen
würden die schärfsten gesetzlichen Vorschriften ein todter Buchstabe bleiben.
Die Kommission, welcher die Vorlage überwiesen ist, wird die schwierige Auf¬
gabe haben, die scheinbar unversöhnlichen Interessen, welche hier einander
gegenüber stehen, so gut es gehen will, in Einklang zu bringen. Wir geben
die Hoffnung nicht auf, daß ein Mittelweg gefunden werden wird, welcher
einen besseren Schutz des Publikums, als er bisher möglich war, verbürgt,
ohne die Freiheit des Verkehres allzusehr zu benachtheiligen und der tenden¬
ziösen Chikane die Thür zu öffnen.

Einen breiten Raum der Diskussion in dieser Woche nahmen die Inter¬
essen der Spiritusfabrikation in Anspruch. Die schon oft erörterte, aber
praktisch noch nicht zum Austrage gebrachte Frage, ob Raumsteuer oder Fabrikat¬
steuer, wurde aus Anlaß einer Petition wieder einmal auf die Tagesordnung
gebracht, natürlich ohne entschieden zu werden. Die Petition wurde dem
Reichskanzler für deu in Aussicht genommenen Gesetzentwurf wegen Neurege¬
lung der Spiritussteuer zur Kenntnißnahme überwiesen. Eine Resolution, nach
welcher die Branntweinsteuer für allen zu gewerblichen Zwecken benutzten
Spiritus, vorausgesetzt, daß derselbe gemäß den darüber zu erlassenden Vor¬
schriften denaturirt worden ist, zurückgegeben werden soll, wurde fast einstimmig
angenommen. Dagegen fanden die schutzzöllnerischen Klagen des Herrn von
Kardorff über die Einfuhr von russischem Spiritus in das Freihafengebiet von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/116>, abgerufen am 29.12.2024.