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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Die Reform der türkischen Vielweiberei muß am Ursitze des Uebels be¬
ginnen, da, wo es am großartigsten und schmachyollsten betrieben wird, näm¬
lich im Serail des Großherrn. Das letztere wird im dritten Theile des Buches
von Osman Bey einer schonungsloser Kritik unterzogen und der europäische
Leser muß geradezu staunen über die Dinge, die er hier zu hören bekommt. Wir
haben von europäischen Damen Schilderungen des großherrlichen Harems ge¬
lesen, auch hat eine französische Erzieherin, welche dort thätig war, vor Jahren
ein pikantes Buch darüber geschrieben, aber -- wohl mit Hilfe türkischer Frauen.
-- Niemand ist in die Details des Harems so eingedrungen, wie Osman Bey.
Sieben Klassen von Sultanas, von der Sultana Valid6 (Sultanin-Mutter)
bis zu den kaiserlichen Prinzessinnen herab, existiren im Serail, das nicht
weniger als zweitausend Bewohnerinnen hat. Zu diesen kommen 1000
männliche Bediente: Wachen, Lustigmacher, Eunuchen, Köche, Zwerge -- ein
barbarischer Haushalt. Also 3000 müssige, verzehrende, größtentheils unsitt¬
liche, sich untereinander anfeindende Schmarotzer. Was kostet das! Wie aber
die Verschwendung im Serail an der Tagesordnung ist, möge an einem Bei¬
spiel zum Schluß erörtert werden, das Osman Bey -- dem wir die Verant¬
wortung überlassen, anführt. Der Sultan darf nämlich dasselbe Kleidungsstück
niemals mehr als einmal anlegen -- vom Fes und Hemd an bis zu den
Pantoffeln. Seine Schneider und Schuster sind fortwährend in Thätigkeit und
Eingewöhnung in ein bequemes Kleidungsstück oder ein paar Stiefel kennt der
Großherr nicht. Es ist Zeit, daß der Augiasstall des Serails auch einmal
A. Rauchhaupt. geräumt werde.




Dom deutschen Ueichstage.

Mit dem letzten Tage der Woche ist die zweite Berathung des Reichs¬
haushaltsetats glücklich zu Ende gediehen. Im Allgemeinen ist der Reichstag den
Vorschlägen seiner Budgetkommission beigetreten. Demnach ist das sogenannte
Defizit des Negierungsvoranschlags von 28 V2 Millionen Mark ans 6 Millionen
reduzirt, um welche Summe die Matrikularbeitrcige also gegen das Vorjahr
zu erhöhen sein werden. Dies günstige Resultat ist erreicht zum größeren
Theile durch Einschränkungen der Regierungsforderungen, zum geringeren Theile
durch Einstellung vorhandener Bestände in die Einnahmen. In letzterer Be-


Die Reform der türkischen Vielweiberei muß am Ursitze des Uebels be¬
ginnen, da, wo es am großartigsten und schmachyollsten betrieben wird, näm¬
lich im Serail des Großherrn. Das letztere wird im dritten Theile des Buches
von Osman Bey einer schonungsloser Kritik unterzogen und der europäische
Leser muß geradezu staunen über die Dinge, die er hier zu hören bekommt. Wir
haben von europäischen Damen Schilderungen des großherrlichen Harems ge¬
lesen, auch hat eine französische Erzieherin, welche dort thätig war, vor Jahren
ein pikantes Buch darüber geschrieben, aber — wohl mit Hilfe türkischer Frauen.
— Niemand ist in die Details des Harems so eingedrungen, wie Osman Bey.
Sieben Klassen von Sultanas, von der Sultana Valid6 (Sultanin-Mutter)
bis zu den kaiserlichen Prinzessinnen herab, existiren im Serail, das nicht
weniger als zweitausend Bewohnerinnen hat. Zu diesen kommen 1000
männliche Bediente: Wachen, Lustigmacher, Eunuchen, Köche, Zwerge — ein
barbarischer Haushalt. Also 3000 müssige, verzehrende, größtentheils unsitt¬
liche, sich untereinander anfeindende Schmarotzer. Was kostet das! Wie aber
die Verschwendung im Serail an der Tagesordnung ist, möge an einem Bei¬
spiel zum Schluß erörtert werden, das Osman Bey — dem wir die Verant¬
wortung überlassen, anführt. Der Sultan darf nämlich dasselbe Kleidungsstück
niemals mehr als einmal anlegen — vom Fes und Hemd an bis zu den
Pantoffeln. Seine Schneider und Schuster sind fortwährend in Thätigkeit und
Eingewöhnung in ein bequemes Kleidungsstück oder ein paar Stiefel kennt der
Großherr nicht. Es ist Zeit, daß der Augiasstall des Serails auch einmal
A. Rauchhaupt. geräumt werde.




Dom deutschen Ueichstage.

Mit dem letzten Tage der Woche ist die zweite Berathung des Reichs¬
haushaltsetats glücklich zu Ende gediehen. Im Allgemeinen ist der Reichstag den
Vorschlägen seiner Budgetkommission beigetreten. Demnach ist das sogenannte
Defizit des Negierungsvoranschlags von 28 V2 Millionen Mark ans 6 Millionen
reduzirt, um welche Summe die Matrikularbeitrcige also gegen das Vorjahr
zu erhöhen sein werden. Dies günstige Resultat ist erreicht zum größeren
Theile durch Einschränkungen der Regierungsforderungen, zum geringeren Theile
durch Einstellung vorhandener Bestände in die Einnahmen. In letzterer Be-


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[0114] Die Reform der türkischen Vielweiberei muß am Ursitze des Uebels be¬ ginnen, da, wo es am großartigsten und schmachyollsten betrieben wird, näm¬ lich im Serail des Großherrn. Das letztere wird im dritten Theile des Buches von Osman Bey einer schonungsloser Kritik unterzogen und der europäische Leser muß geradezu staunen über die Dinge, die er hier zu hören bekommt. Wir haben von europäischen Damen Schilderungen des großherrlichen Harems ge¬ lesen, auch hat eine französische Erzieherin, welche dort thätig war, vor Jahren ein pikantes Buch darüber geschrieben, aber — wohl mit Hilfe türkischer Frauen. — Niemand ist in die Details des Harems so eingedrungen, wie Osman Bey. Sieben Klassen von Sultanas, von der Sultana Valid6 (Sultanin-Mutter) bis zu den kaiserlichen Prinzessinnen herab, existiren im Serail, das nicht weniger als zweitausend Bewohnerinnen hat. Zu diesen kommen 1000 männliche Bediente: Wachen, Lustigmacher, Eunuchen, Köche, Zwerge — ein barbarischer Haushalt. Also 3000 müssige, verzehrende, größtentheils unsitt¬ liche, sich untereinander anfeindende Schmarotzer. Was kostet das! Wie aber die Verschwendung im Serail an der Tagesordnung ist, möge an einem Bei¬ spiel zum Schluß erörtert werden, das Osman Bey — dem wir die Verant¬ wortung überlassen, anführt. Der Sultan darf nämlich dasselbe Kleidungsstück niemals mehr als einmal anlegen — vom Fes und Hemd an bis zu den Pantoffeln. Seine Schneider und Schuster sind fortwährend in Thätigkeit und Eingewöhnung in ein bequemes Kleidungsstück oder ein paar Stiefel kennt der Großherr nicht. Es ist Zeit, daß der Augiasstall des Serails auch einmal A. Rauchhaupt. geräumt werde. Dom deutschen Ueichstage. Mit dem letzten Tage der Woche ist die zweite Berathung des Reichs¬ haushaltsetats glücklich zu Ende gediehen. Im Allgemeinen ist der Reichstag den Vorschlägen seiner Budgetkommission beigetreten. Demnach ist das sogenannte Defizit des Negierungsvoranschlags von 28 V2 Millionen Mark ans 6 Millionen reduzirt, um welche Summe die Matrikularbeitrcige also gegen das Vorjahr zu erhöhen sein werden. Dies günstige Resultat ist erreicht zum größeren Theile durch Einschränkungen der Regierungsforderungen, zum geringeren Theile durch Einstellung vorhandener Bestände in die Einnahmen. In letzterer Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/114>, abgerufen am 09.11.2024.