Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.turstaaten zu treten vermag, bedarf wohl keiner besonderen Begründung. Die Doch wie soll die Reform durchgeführt werden? In der Türkei sind die turstaaten zu treten vermag, bedarf wohl keiner besonderen Begründung. Die Doch wie soll die Reform durchgeführt werden? In der Türkei sind die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0113" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139934"/> <p xml:id="ID_395" prev="#ID_394"> turstaaten zu treten vermag, bedarf wohl keiner besonderen Begründung. Die<lb/> männlichen Sklaven sind gewöhnlich Schwarze und mich die Madchen, die zu<lb/> den allerniedrigsten'Arbeiten benutzt werden, sind Negerinnen. Wie unnütz<lb/> freie Weiber in der Türkei zur Arbeit bei den herrschenden Vorurtheilen sind,<lb/> davon giebt uns Osman Bey ein Beispiel in seinem eigenen Hause. Ein ganz<lb/> braves und fleißiges Mädchen mußte er entfernen, weil es sehr viel männlichen,<lb/> namentlich europäischen Besuch erhielt. Kaum hatte sie eine häusliche Arbeit<lb/> begonnen, so trat ein Mann ein; schnell schlug sie den Schleier herunter und<lb/> wandte jenem den Rücken zu, bis er durch das Zimmer war. Einst trat auch<lb/> Besuch ein, schnell wirft sie ihren Schleier nieder, tritt aber einer Kerze zu<lb/> nahe und steht in hellen Flammen. Freie weibliche Arbeit ist unter solchen<lb/> Umständen von Türkinnen nicht zu erwarten, daher braucht man Sklavinnen<lb/> in der Türkei und mit diesen steht und fällt das gegenwärtige System im<lb/> ottomanischen Reiche. Wenigstens in denjenigen Theilen, die europäischen Ein¬<lb/> flüssen unterworfen sind, wenn auch in entfernten asiatischen Regionen die alte<lb/> Wirthschaft noch lange fortexistiren mag. Der erste Schritt zur Zivilisation<lb/> in der Türkei muß die Emanzipation der Frauen aus ihrer gegenwärtigen<lb/> Knechtschaft sein, denn ganz richtig bemerkt Osman Bey: „Zivilisation entsteht<lb/> dnrch die vereinigte Arbeit beider Geschlechter und das eine degradiren, heißt<lb/> die gesunde Thätigkeit und Energie des andern fesseln." Die Zeit ist gekom¬<lb/> men, in welcher der Türke auf seine Häuslichkeit blicken und diese reorgnnisiren<lb/> muß, will er nicht vollständig als europäische Macht abdanken; nicht nur sein<lb/> politisches System, sondern, was allerdings noch schwieriger ist, sein häusliches<lb/> und soziales Leben muß reformirt werden. Eine eigentliche Religionsfrage ist<lb/> dies nicht, denn obgleich Mohammed einen ganzen Haufen Frauen hatte, em¬<lb/> pfahl er doch die Monogamie seinen Schülern. Wenige Türken haben auch<lb/> in der That mehr als ein Weib. Wäre die Polygamie verbreiteter unter den<lb/> Völkern des Islams, als sie in der That ist, so würde der Geschlechtstrieb<lb/> der zu kurz kommenden dagegen revoltiren, denn wie anderwärts ist auch in<lb/> der Türkei die Zahl beider Geschlechter nahezu gleich vertheilt.</p><lb/> <p xml:id="ID_396"> Doch wie soll die Reform durchgeführt werden? In der Türkei sind die<lb/> meisten Verträge auf dem Papier stehen geblieben; man hat sie, nothgedrungen,<lb/> auf den Konferenzen deu europäischen Mächten zugestanden, selbstverständlich<lb/> aber nicht ausgeführt. Reschid Pascha war es, der die sogenannte „Diplo¬<lb/> matische Polygamie" empfahl, welche auch nur ein Sand in die Augen streuen<lb/> gegenüber Europa ist. Er sagte nämlich, jeder türkische Diplomat möge sich<lb/> doch eine „anständige" europäische Frau anschaffen, welche repräsentiren könne,<lb/> wenn ein Verkehr mit europäischen Gesandten nöthig würde. Die übrigen<lb/> drei und der Haufe der Sklavinnen könnten ja im Harem verschlossen bleiben!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0113]
turstaaten zu treten vermag, bedarf wohl keiner besonderen Begründung. Die
männlichen Sklaven sind gewöhnlich Schwarze und mich die Madchen, die zu
den allerniedrigsten'Arbeiten benutzt werden, sind Negerinnen. Wie unnütz
freie Weiber in der Türkei zur Arbeit bei den herrschenden Vorurtheilen sind,
davon giebt uns Osman Bey ein Beispiel in seinem eigenen Hause. Ein ganz
braves und fleißiges Mädchen mußte er entfernen, weil es sehr viel männlichen,
namentlich europäischen Besuch erhielt. Kaum hatte sie eine häusliche Arbeit
begonnen, so trat ein Mann ein; schnell schlug sie den Schleier herunter und
wandte jenem den Rücken zu, bis er durch das Zimmer war. Einst trat auch
Besuch ein, schnell wirft sie ihren Schleier nieder, tritt aber einer Kerze zu
nahe und steht in hellen Flammen. Freie weibliche Arbeit ist unter solchen
Umständen von Türkinnen nicht zu erwarten, daher braucht man Sklavinnen
in der Türkei und mit diesen steht und fällt das gegenwärtige System im
ottomanischen Reiche. Wenigstens in denjenigen Theilen, die europäischen Ein¬
flüssen unterworfen sind, wenn auch in entfernten asiatischen Regionen die alte
Wirthschaft noch lange fortexistiren mag. Der erste Schritt zur Zivilisation
in der Türkei muß die Emanzipation der Frauen aus ihrer gegenwärtigen
Knechtschaft sein, denn ganz richtig bemerkt Osman Bey: „Zivilisation entsteht
dnrch die vereinigte Arbeit beider Geschlechter und das eine degradiren, heißt
die gesunde Thätigkeit und Energie des andern fesseln." Die Zeit ist gekom¬
men, in welcher der Türke auf seine Häuslichkeit blicken und diese reorgnnisiren
muß, will er nicht vollständig als europäische Macht abdanken; nicht nur sein
politisches System, sondern, was allerdings noch schwieriger ist, sein häusliches
und soziales Leben muß reformirt werden. Eine eigentliche Religionsfrage ist
dies nicht, denn obgleich Mohammed einen ganzen Haufen Frauen hatte, em¬
pfahl er doch die Monogamie seinen Schülern. Wenige Türken haben auch
in der That mehr als ein Weib. Wäre die Polygamie verbreiteter unter den
Völkern des Islams, als sie in der That ist, so würde der Geschlechtstrieb
der zu kurz kommenden dagegen revoltiren, denn wie anderwärts ist auch in
der Türkei die Zahl beider Geschlechter nahezu gleich vertheilt.
Doch wie soll die Reform durchgeführt werden? In der Türkei sind die
meisten Verträge auf dem Papier stehen geblieben; man hat sie, nothgedrungen,
auf den Konferenzen deu europäischen Mächten zugestanden, selbstverständlich
aber nicht ausgeführt. Reschid Pascha war es, der die sogenannte „Diplo¬
matische Polygamie" empfahl, welche auch nur ein Sand in die Augen streuen
gegenüber Europa ist. Er sagte nämlich, jeder türkische Diplomat möge sich
doch eine „anständige" europäische Frau anschaffen, welche repräsentiren könne,
wenn ein Verkehr mit europäischen Gesandten nöthig würde. Die übrigen
drei und der Haufe der Sklavinnen könnten ja im Harem verschlossen bleiben!
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