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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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dichter" kam er aus dem Gemüth. Von den 50 Kirchenliedern, die er dichtete,
haben nur ein Paar den Weg ins Gesangbuch gefunden.

So auch seine Verbesserungen alter Kirchenlieder: vergleicht man jede
einzelne Stelle mit dem Grundtext, so erscheint sie reiner, poetischer, würdiger;
aber es ist Klopstock nicht gelungen, in dem ursprünglichen Ton zu dichteu;
es sind zwei Töne, die gegen einander streiten, und so den Eindruck einer ge¬
zwungenen Zusammenstellung hervorbringen.

"Was sagen Sie zu Klopstock's geistlichen Liedern?" schreibt Lessing an
Gleim. "Wenn Sie schlecht davon urtheilen, werde ich an Ihrem Christen¬
thum zweifeln, und urtheilen Sie gut davon, an Ihrem Geschmack."

"Ich bin der Meinung," äußerte Kästner später -- der Gesangbuchstreit
zog sich durch Jahrzehnte hin und ist im Grund noch heute auf der Tages¬
ordnung, -- "man sollte Luther's und andre alte Lieder ungeändert lassen. Die
Gemeinden, die sich bisher dieser Lieder bedient, haben, juristisch zu reden, ein
^us HusKÄtuiQ darauf. Am allerwenigsten ist es erlaubt, die Lieder so zu
ändern, daß eine andre Sekte sie mitsingen kann. Man lasse jede Partei von
ihren Glaubensmeinungen so gut singen als sie kann. -- Ich muß bekenne",
daß ich ein großes Vorurtheil für Dr. Luther habe, und ihn in Absicht auf
die Eigenschaften des Herzens und des Geistes für einen der größten Geister
halte. Ich vermuthe nicht, daß Jemand, auch mit einem neumodischen feinen
Witz und den bessern Einsichten unsrer Zeiten, diesen alten Dichter da glücklich
bessern wird, wo sein Herz redet; zumal wenn man in den Prüfungen nicht
gewesen ist, die ihn gebildet haben. -- Neuerungen im Ausdruck kommen mir
vor, als wenn man von einem alten Wappen die Helme wegnähme und bor-
dirte Hüte darauf setzte."

Gleichzeitig mit den Kirchenliedern, 1755, erschien eine stattliche Ausgabe
des "Messias". Die fünf neuen Gesänge erzählen Jesu Geschichte von feiner
Gefangennehmung bis zum Tode am Kreuz. Diese Ausgabe, die dem Ruhm
des Dichters das letzte Gepräge aufdrückte, war im Sinne der strengsten Recht¬
gläubigkeit ausgefeilt; alles was an die heidnischen Klassiker erinnerte, war
sorgfältig ausgemerzt.

Indeß war seine Rechtgläubigkeit immer kein fester Besitz, so sorgfältig er
in seinen Oden sie zu erkämpfen suchte. -- "Warum, da allein Du Dir genug
warst, Schusse Du? Würdest dadurch Du seliger, daß Du Seligkeit gabst? --
schwindeln kann ich an diesem Hang des Abgrunds, aber nichts in seinen
Tiefen sehn. -- Heilige Nacht, an der ich stehe! vielleicht sinkt mir nach Jahr¬
tausenden Dein geheimnißverhülleuder Vorhang. Vielleicht schafft Gott Er¬
kenntniß in mir, die meine Kraft und was sie entflammt, wieviel es auch sei


dichter» kam er aus dem Gemüth. Von den 50 Kirchenliedern, die er dichtete,
haben nur ein Paar den Weg ins Gesangbuch gefunden.

So auch seine Verbesserungen alter Kirchenlieder: vergleicht man jede
einzelne Stelle mit dem Grundtext, so erscheint sie reiner, poetischer, würdiger;
aber es ist Klopstock nicht gelungen, in dem ursprünglichen Ton zu dichteu;
es sind zwei Töne, die gegen einander streiten, und so den Eindruck einer ge¬
zwungenen Zusammenstellung hervorbringen.

„Was sagen Sie zu Klopstock's geistlichen Liedern?" schreibt Lessing an
Gleim. „Wenn Sie schlecht davon urtheilen, werde ich an Ihrem Christen¬
thum zweifeln, und urtheilen Sie gut davon, an Ihrem Geschmack."

„Ich bin der Meinung," äußerte Kästner später — der Gesangbuchstreit
zog sich durch Jahrzehnte hin und ist im Grund noch heute auf der Tages¬
ordnung, — „man sollte Luther's und andre alte Lieder ungeändert lassen. Die
Gemeinden, die sich bisher dieser Lieder bedient, haben, juristisch zu reden, ein
^us HusKÄtuiQ darauf. Am allerwenigsten ist es erlaubt, die Lieder so zu
ändern, daß eine andre Sekte sie mitsingen kann. Man lasse jede Partei von
ihren Glaubensmeinungen so gut singen als sie kann. — Ich muß bekenne»,
daß ich ein großes Vorurtheil für Dr. Luther habe, und ihn in Absicht auf
die Eigenschaften des Herzens und des Geistes für einen der größten Geister
halte. Ich vermuthe nicht, daß Jemand, auch mit einem neumodischen feinen
Witz und den bessern Einsichten unsrer Zeiten, diesen alten Dichter da glücklich
bessern wird, wo sein Herz redet; zumal wenn man in den Prüfungen nicht
gewesen ist, die ihn gebildet haben. — Neuerungen im Ausdruck kommen mir
vor, als wenn man von einem alten Wappen die Helme wegnähme und bor-
dirte Hüte darauf setzte."

Gleichzeitig mit den Kirchenliedern, 1755, erschien eine stattliche Ausgabe
des „Messias". Die fünf neuen Gesänge erzählen Jesu Geschichte von feiner
Gefangennehmung bis zum Tode am Kreuz. Diese Ausgabe, die dem Ruhm
des Dichters das letzte Gepräge aufdrückte, war im Sinne der strengsten Recht¬
gläubigkeit ausgefeilt; alles was an die heidnischen Klassiker erinnerte, war
sorgfältig ausgemerzt.

Indeß war seine Rechtgläubigkeit immer kein fester Besitz, so sorgfältig er
in seinen Oden sie zu erkämpfen suchte. — „Warum, da allein Du Dir genug
warst, Schusse Du? Würdest dadurch Du seliger, daß Du Seligkeit gabst? —
schwindeln kann ich an diesem Hang des Abgrunds, aber nichts in seinen
Tiefen sehn. — Heilige Nacht, an der ich stehe! vielleicht sinkt mir nach Jahr¬
tausenden Dein geheimnißverhülleuder Vorhang. Vielleicht schafft Gott Er¬
kenntniß in mir, die meine Kraft und was sie entflammt, wieviel es auch sei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/108>, abgerufen am 01.09.2024.