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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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"Dir nur, liebendes Herz, euch, meine vertraulichsten Thränen, sing' ich
traurig allein dies wehmüthige Lied." "Ach warum, o Natur, warum, un¬
zärtliche Mutter, gabst du zum Gefühl mir ein zu biegsames Herz? und in
das biegsame Herz die unbezwingliche Liebe, dauernd Verlangen, und ach,
keine Geliebte dazu!----Oft um Mitternacht wehklagt die bebende Lippe,
daß, die ich liebe, du mir immer unsichtbar noch bist! .... Ach wie schlägt
mir mein Herz! wie zittern mir durch die Gebeine Freud' und Hoffnung, dein
Schmerz unüberwindlich dahin!" -- Und nun stellt er sich in eiuer Vision
das Mädchen vor, wie es wahrscheinlich sein wird. "Eilet, Winde, mit mei¬
nem Verlangen zu ihr in die Laube, schauert hin durch den Wald, rauscht
und verkündet mich ihr. Mir gab die Natur Empfindung zur Tugend; aber
mächtiger war, die sie zur Liebe mir gab. Ach wie will ich dich lieben!
Das sagt uns kein Dichter, und selbst wir im Geschwätz trunkner Beredsam¬
keit nicht. Kaum, daß noch die unsterbliche selbst, die fühlende Seele ganz
die volle Gewalt dieser Empfindungen faßt."

Ein andermal sieht er Sälen, den Engel der Liebe und seinen Schutz¬
geist: "Ewigblühende Rosen umkränzten sein fließendes Haupthaar, himmlische
Rosen, von Thränen erzogen, die bei dem Wiedersehn einander Liebende
weinten." Dieser Engel beschreibt sein schönes Geschäft, unbekannte Lieben¬
den für einander zu erziehn, aus ihren heiligen Thränen und Seufzern Visio¬
nen zu gestalten: "Sie fühlt noch nicht für ihn, kennt nicht den zärtlichen
Kummer seiner Seele, den thränenden Blick nicht des wachenden Anges durch
die mitternächtigen Stunden, seines Herzens Beklommenheit nicht, worüber er
selbst staunt." -- Durch heilige Träume führt er sie zusammen: "dann erstaun'
ich über die hohen Wesen, die Gott schuf, als er Seelen schuf zu der Liebe."
Aber den Thränen des Dichters kann er vorläufig nicht helfen: "Warumwen¬
dest dn dich? ach warum fliehst du mein Auge? Warum muß ich trauernd
dir nachsehen?" -- Aber die Thräne selbst ist sein Trost: ihm gab ein Gott,
zu weinen, was er leidet: "Singet, Söhne des Lichts, meiner Empfindungen
unaussprechliche süße Lust! singt sie, ich weine sie nur: ja die Unsterblich¬
keit wein' ich froh von der Liebe durch!"

Dieser Stimmung mußte sich bald ein wirklicher Gegenstaud bieten. Schon
von Leipzig aus hatte Klopstock seiner siebzehnjährigen Cousine Marie
Schmidt, der Schwester seines besten Freundes, von seinen Oden zugeschickt.
April 1748 kam er als Hofmeister nach Langensalza, wo sie wohnte, lernte
sie kennen, und fand in ihr sofort die gesuchte "Fanny". Sie war ein sehr
schönes Mädchen, unbefangen, heiter, ohne alle Spur von Sentimentalität.
Der Anbeter mußte ihr wunderlich vorkommen mit seinen verhimmelnden
Liebes-Oden.


„Dir nur, liebendes Herz, euch, meine vertraulichsten Thränen, sing' ich
traurig allein dies wehmüthige Lied." „Ach warum, o Natur, warum, un¬
zärtliche Mutter, gabst du zum Gefühl mir ein zu biegsames Herz? und in
das biegsame Herz die unbezwingliche Liebe, dauernd Verlangen, und ach,
keine Geliebte dazu!----Oft um Mitternacht wehklagt die bebende Lippe,
daß, die ich liebe, du mir immer unsichtbar noch bist! .... Ach wie schlägt
mir mein Herz! wie zittern mir durch die Gebeine Freud' und Hoffnung, dein
Schmerz unüberwindlich dahin!" — Und nun stellt er sich in eiuer Vision
das Mädchen vor, wie es wahrscheinlich sein wird. „Eilet, Winde, mit mei¬
nem Verlangen zu ihr in die Laube, schauert hin durch den Wald, rauscht
und verkündet mich ihr. Mir gab die Natur Empfindung zur Tugend; aber
mächtiger war, die sie zur Liebe mir gab. Ach wie will ich dich lieben!
Das sagt uns kein Dichter, und selbst wir im Geschwätz trunkner Beredsam¬
keit nicht. Kaum, daß noch die unsterbliche selbst, die fühlende Seele ganz
die volle Gewalt dieser Empfindungen faßt."

Ein andermal sieht er Sälen, den Engel der Liebe und seinen Schutz¬
geist: „Ewigblühende Rosen umkränzten sein fließendes Haupthaar, himmlische
Rosen, von Thränen erzogen, die bei dem Wiedersehn einander Liebende
weinten." Dieser Engel beschreibt sein schönes Geschäft, unbekannte Lieben¬
den für einander zu erziehn, aus ihren heiligen Thränen und Seufzern Visio¬
nen zu gestalten: „Sie fühlt noch nicht für ihn, kennt nicht den zärtlichen
Kummer seiner Seele, den thränenden Blick nicht des wachenden Anges durch
die mitternächtigen Stunden, seines Herzens Beklommenheit nicht, worüber er
selbst staunt." — Durch heilige Träume führt er sie zusammen: „dann erstaun'
ich über die hohen Wesen, die Gott schuf, als er Seelen schuf zu der Liebe."
Aber den Thränen des Dichters kann er vorläufig nicht helfen: „Warumwen¬
dest dn dich? ach warum fliehst du mein Auge? Warum muß ich trauernd
dir nachsehen?" — Aber die Thräne selbst ist sein Trost: ihm gab ein Gott,
zu weinen, was er leidet: „Singet, Söhne des Lichts, meiner Empfindungen
unaussprechliche süße Lust! singt sie, ich weine sie nur: ja die Unsterblich¬
keit wein' ich froh von der Liebe durch!"

Dieser Stimmung mußte sich bald ein wirklicher Gegenstaud bieten. Schon
von Leipzig aus hatte Klopstock seiner siebzehnjährigen Cousine Marie
Schmidt, der Schwester seines besten Freundes, von seinen Oden zugeschickt.
April 1748 kam er als Hofmeister nach Langensalza, wo sie wohnte, lernte
sie kennen, und fand in ihr sofort die gesuchte „Fanny". Sie war ein sehr
schönes Mädchen, unbefangen, heiter, ohne alle Spur von Sentimentalität.
Der Anbeter mußte ihr wunderlich vorkommen mit seinen verhimmelnden
Liebes-Oden.


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[0381] „Dir nur, liebendes Herz, euch, meine vertraulichsten Thränen, sing' ich traurig allein dies wehmüthige Lied." „Ach warum, o Natur, warum, un¬ zärtliche Mutter, gabst du zum Gefühl mir ein zu biegsames Herz? und in das biegsame Herz die unbezwingliche Liebe, dauernd Verlangen, und ach, keine Geliebte dazu!----Oft um Mitternacht wehklagt die bebende Lippe, daß, die ich liebe, du mir immer unsichtbar noch bist! .... Ach wie schlägt mir mein Herz! wie zittern mir durch die Gebeine Freud' und Hoffnung, dein Schmerz unüberwindlich dahin!" — Und nun stellt er sich in eiuer Vision das Mädchen vor, wie es wahrscheinlich sein wird. „Eilet, Winde, mit mei¬ nem Verlangen zu ihr in die Laube, schauert hin durch den Wald, rauscht und verkündet mich ihr. Mir gab die Natur Empfindung zur Tugend; aber mächtiger war, die sie zur Liebe mir gab. Ach wie will ich dich lieben! Das sagt uns kein Dichter, und selbst wir im Geschwätz trunkner Beredsam¬ keit nicht. Kaum, daß noch die unsterbliche selbst, die fühlende Seele ganz die volle Gewalt dieser Empfindungen faßt." Ein andermal sieht er Sälen, den Engel der Liebe und seinen Schutz¬ geist: „Ewigblühende Rosen umkränzten sein fließendes Haupthaar, himmlische Rosen, von Thränen erzogen, die bei dem Wiedersehn einander Liebende weinten." Dieser Engel beschreibt sein schönes Geschäft, unbekannte Lieben¬ den für einander zu erziehn, aus ihren heiligen Thränen und Seufzern Visio¬ nen zu gestalten: „Sie fühlt noch nicht für ihn, kennt nicht den zärtlichen Kummer seiner Seele, den thränenden Blick nicht des wachenden Anges durch die mitternächtigen Stunden, seines Herzens Beklommenheit nicht, worüber er selbst staunt." — Durch heilige Träume führt er sie zusammen: „dann erstaun' ich über die hohen Wesen, die Gott schuf, als er Seelen schuf zu der Liebe." Aber den Thränen des Dichters kann er vorläufig nicht helfen: „Warumwen¬ dest dn dich? ach warum fliehst du mein Auge? Warum muß ich trauernd dir nachsehen?" — Aber die Thräne selbst ist sein Trost: ihm gab ein Gott, zu weinen, was er leidet: „Singet, Söhne des Lichts, meiner Empfindungen unaussprechliche süße Lust! singt sie, ich weine sie nur: ja die Unsterblich¬ keit wein' ich froh von der Liebe durch!" Dieser Stimmung mußte sich bald ein wirklicher Gegenstaud bieten. Schon von Leipzig aus hatte Klopstock seiner siebzehnjährigen Cousine Marie Schmidt, der Schwester seines besten Freundes, von seinen Oden zugeschickt. April 1748 kam er als Hofmeister nach Langensalza, wo sie wohnte, lernte sie kennen, und fand in ihr sofort die gesuchte „Fanny". Sie war ein sehr schönes Mädchen, unbefangen, heiter, ohne alle Spur von Sentimentalität. Der Anbeter mußte ihr wunderlich vorkommen mit seinen verhimmelnden Liebes-Oden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/381>, abgerufen am 20.10.2024.