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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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"Ach von des Sohns Liede beseelt, von der Heerschaar Sions entflammt,
wie erheben sie ihr Loblied! Eine Stimme beginnet leise, eine der Harfen
mit ihr."

"Fanget bebend an, athmet kaum leisen Laut! Denn es ist Christus'
Lob, was zu singen ihr wagt! Die Ewigkeit durchströmt's, tönt von Aeon
fort zu Aeon!"

"Aber es tönt mächtiger bald in dem Chor fort; Chöre sind nun in dem
Strom schon des Gesangs! Die Posaune donnerte schon, schallt, daß der Tem¬
pel ihm bebt! -- Länger nun nicht, länger nicht mehr! Die Gemeinde sinket
dahin, auf ihr Antlitz zum Altar, hell vom Kelche des Bundes! Eilt, eilt!
strömt in der Chöre Triumph!"

Aus dieser Einwirkung des Oratoriums auf die epische Form versteht
man auch die Disposition des ganzen Gedichts, die von Anfang an feststand.
Die biblische Erzählung ist nur wie ein Recitativ und wird nebenbei abge¬
macht; die Hauptsache, von Anfang bis zu Ende, sind die rhytmisch vollende¬
ten Chöre, in denen das christliche Gefühl sich austönen sollte; die letzten fünf
Gesänge bestehen nur aus Chören. Der Messias ist ein Wettkampf mit dem
Oratorium; das reine Wort sollte, gleich dem Ton, die höchste Stufe sein,
auf welcher die Empfindung emporsteigt.

"Zwo der Künste vereinigten sich einst, die Musik und die Dichtkunst,
und so schöpferisch war der beiden Unsterblichen Eintracht, daß sie mit dau¬
ernder Gluth mich durchströmten, daß auch Seher der Hörende wurde" (Bach)
... "Wenn so hoch das Gedicht sich erhebt, daß der Gesaug ihm kaum zu
folgen vermag" (Klopstock), alsdann entzündet ein heiliger Streit sich; es
wird Vollendung errungen, die nur selten den friedlichen glückte."

Das schwebte ihm vor: ersetzen sollte die Sprache den Ton in der Dar¬
stellung des namenlos Erhabenen. Es war zuletzt eine Chimäre, aber aus der
Verirrung ist fiir die Sprache ein großer Gewinn hervorgegangen, wie aus
der Alchymie die Chemie.

Die Religion, so ernst er sie nahm, war für Klopstock nnr ein Mittel,
ein edler Wein gleichsam, der das kostbare Gefäß des Erhabenen und Idealen
würdig füllen sollte. Die Liebe betrachtete er im Grund nicht anders. Es
ist höchst auffallend, daß der Dichter, welcher den Idealismus der Liebe bei
uns recht eigentlich hervorgebracht, welcher den Werther vorbereitet hat, von
einer im Ganzen so wenig reichen Gefühlswelt ausging: er stimmte seine Seele,
um die richtige Tonlage für das Erhabene zu finden; er stimmte sie nach dem
Muster älterer englischer Dichter, und zwar zeitig und mit großer Energie.
Er stimmte sie, gleich Joung, Rowe u. A. in Moll, er gab ihr einen melan¬
cholischen Klang, er tränkte sie mit Todesgedanken.


„Ach von des Sohns Liede beseelt, von der Heerschaar Sions entflammt,
wie erheben sie ihr Loblied! Eine Stimme beginnet leise, eine der Harfen
mit ihr."

„Fanget bebend an, athmet kaum leisen Laut! Denn es ist Christus'
Lob, was zu singen ihr wagt! Die Ewigkeit durchströmt's, tönt von Aeon
fort zu Aeon!"

„Aber es tönt mächtiger bald in dem Chor fort; Chöre sind nun in dem
Strom schon des Gesangs! Die Posaune donnerte schon, schallt, daß der Tem¬
pel ihm bebt! — Länger nun nicht, länger nicht mehr! Die Gemeinde sinket
dahin, auf ihr Antlitz zum Altar, hell vom Kelche des Bundes! Eilt, eilt!
strömt in der Chöre Triumph!"

Aus dieser Einwirkung des Oratoriums auf die epische Form versteht
man auch die Disposition des ganzen Gedichts, die von Anfang an feststand.
Die biblische Erzählung ist nur wie ein Recitativ und wird nebenbei abge¬
macht; die Hauptsache, von Anfang bis zu Ende, sind die rhytmisch vollende¬
ten Chöre, in denen das christliche Gefühl sich austönen sollte; die letzten fünf
Gesänge bestehen nur aus Chören. Der Messias ist ein Wettkampf mit dem
Oratorium; das reine Wort sollte, gleich dem Ton, die höchste Stufe sein,
auf welcher die Empfindung emporsteigt.

„Zwo der Künste vereinigten sich einst, die Musik und die Dichtkunst,
und so schöpferisch war der beiden Unsterblichen Eintracht, daß sie mit dau¬
ernder Gluth mich durchströmten, daß auch Seher der Hörende wurde" (Bach)
... „Wenn so hoch das Gedicht sich erhebt, daß der Gesaug ihm kaum zu
folgen vermag" (Klopstock), alsdann entzündet ein heiliger Streit sich; es
wird Vollendung errungen, die nur selten den friedlichen glückte."

Das schwebte ihm vor: ersetzen sollte die Sprache den Ton in der Dar¬
stellung des namenlos Erhabenen. Es war zuletzt eine Chimäre, aber aus der
Verirrung ist fiir die Sprache ein großer Gewinn hervorgegangen, wie aus
der Alchymie die Chemie.

Die Religion, so ernst er sie nahm, war für Klopstock nnr ein Mittel,
ein edler Wein gleichsam, der das kostbare Gefäß des Erhabenen und Idealen
würdig füllen sollte. Die Liebe betrachtete er im Grund nicht anders. Es
ist höchst auffallend, daß der Dichter, welcher den Idealismus der Liebe bei
uns recht eigentlich hervorgebracht, welcher den Werther vorbereitet hat, von
einer im Ganzen so wenig reichen Gefühlswelt ausging: er stimmte seine Seele,
um die richtige Tonlage für das Erhabene zu finden; er stimmte sie nach dem
Muster älterer englischer Dichter, und zwar zeitig und mit großer Energie.
Er stimmte sie, gleich Joung, Rowe u. A. in Moll, er gab ihr einen melan¬
cholischen Klang, er tränkte sie mit Todesgedanken.


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[0380] „Ach von des Sohns Liede beseelt, von der Heerschaar Sions entflammt, wie erheben sie ihr Loblied! Eine Stimme beginnet leise, eine der Harfen mit ihr." „Fanget bebend an, athmet kaum leisen Laut! Denn es ist Christus' Lob, was zu singen ihr wagt! Die Ewigkeit durchströmt's, tönt von Aeon fort zu Aeon!" „Aber es tönt mächtiger bald in dem Chor fort; Chöre sind nun in dem Strom schon des Gesangs! Die Posaune donnerte schon, schallt, daß der Tem¬ pel ihm bebt! — Länger nun nicht, länger nicht mehr! Die Gemeinde sinket dahin, auf ihr Antlitz zum Altar, hell vom Kelche des Bundes! Eilt, eilt! strömt in der Chöre Triumph!" Aus dieser Einwirkung des Oratoriums auf die epische Form versteht man auch die Disposition des ganzen Gedichts, die von Anfang an feststand. Die biblische Erzählung ist nur wie ein Recitativ und wird nebenbei abge¬ macht; die Hauptsache, von Anfang bis zu Ende, sind die rhytmisch vollende¬ ten Chöre, in denen das christliche Gefühl sich austönen sollte; die letzten fünf Gesänge bestehen nur aus Chören. Der Messias ist ein Wettkampf mit dem Oratorium; das reine Wort sollte, gleich dem Ton, die höchste Stufe sein, auf welcher die Empfindung emporsteigt. „Zwo der Künste vereinigten sich einst, die Musik und die Dichtkunst, und so schöpferisch war der beiden Unsterblichen Eintracht, daß sie mit dau¬ ernder Gluth mich durchströmten, daß auch Seher der Hörende wurde" (Bach) ... „Wenn so hoch das Gedicht sich erhebt, daß der Gesaug ihm kaum zu folgen vermag" (Klopstock), alsdann entzündet ein heiliger Streit sich; es wird Vollendung errungen, die nur selten den friedlichen glückte." Das schwebte ihm vor: ersetzen sollte die Sprache den Ton in der Dar¬ stellung des namenlos Erhabenen. Es war zuletzt eine Chimäre, aber aus der Verirrung ist fiir die Sprache ein großer Gewinn hervorgegangen, wie aus der Alchymie die Chemie. Die Religion, so ernst er sie nahm, war für Klopstock nnr ein Mittel, ein edler Wein gleichsam, der das kostbare Gefäß des Erhabenen und Idealen würdig füllen sollte. Die Liebe betrachtete er im Grund nicht anders. Es ist höchst auffallend, daß der Dichter, welcher den Idealismus der Liebe bei uns recht eigentlich hervorgebracht, welcher den Werther vorbereitet hat, von einer im Ganzen so wenig reichen Gefühlswelt ausging: er stimmte seine Seele, um die richtige Tonlage für das Erhabene zu finden; er stimmte sie nach dem Muster älterer englischer Dichter, und zwar zeitig und mit großer Energie. Er stimmte sie, gleich Joung, Rowe u. A. in Moll, er gab ihr einen melan¬ cholischen Klang, er tränkte sie mit Todesgedanken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/380>, abgerufen am 20.10.2024.