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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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weiß er, wie Jaques im Ardenerwald, ans allen Dingen Melancholie zu sau¬
gen, "wie ein Wiesel aus einem Hühnerei." Uebrigens ist die Prophezeiung
merkwürdiger Weise wirklich eingetroffen.

Eigentlich stimmten die Freunde nicht recht zu ihm: sie schätzten sein Talent
sehr hoch, aber er kam ihnen zu überschwänglich vor.

Klopstock war eine volle, mächtige Natur; mit einem brennenden Ehr¬
geiz verband sich ein zäher Wille. Da er sich zur Dichtkunst entschloß, griff
er sofort zum höchsten Kranz. "Voll Durstes war die heiße Seele des Jüng¬
lings nach Unsterblichkeit! Ich wacht' und ich träumte von der kühnen Fahrt
auf der Zukunft Oeean."

So viele große Dichtungen sah er der Vergessenheit verfallen: "bis zur
Schwermuth würd' ich ernst, vertiefte mich in den Zweck, in des Helden Würd',
in den Grundton, den Verhält, den Gang; strebte, geführt von der Seelen-
kunde, zu ergründen, was des Gedichts Schönheit sei?"

Aber welcher Held? -- Plötzlich ging es ihm auf: "Ihn, den als Christ
ich liebte, sah ich mit einem schnellen begeisterten Blick als Dichter, und em¬
pfand, es liebe mit Innigkeit auch der Dichter den Göttlichen!... Ich dacht'
nur ihn, vergaß selbst der gedürsteten Unsterblichkeit ..." -- Das ist
nicht genau: die Idee der dichterischen Unsterblichkeit stand immer im Vorder¬
grund.

Seit einem Jahrzehnt hatte Boden er als das Wunderbarste, d. h. den
höchsten Gegenstand der Dichtung, im Gegensatz zu Boileau das christ¬
liche Wunder bezeichnet. Er hatte den Milton wirklich durchgesetzt; erkannte
auch die "göttliche Komödie" und die religiösen Gedichte des deutschen Mittel¬
alters; sich selbst wählte er zum Gegenstand die Sündfluth.

Die Zeit war, wenigstens in Deutschland, für ein christliches Epos nicht
besonders günstig. Die Orthodoxie hatte sich aus dem Kreis der Gebildeten
in die Dorfpfarrer zurückgezogen; das "vernünftige" Christenthum hatte sich
in der "Theodic^e" völlig ausgegeben, die Mystik war jedem guten Bürger ein
Gräuel; der Pietismus seufzte still für sich hin. Der Himmel hatte durch den
protestantischen Bildersturm seine Mythologie bis auf die letzten Spuren ein¬
gebüßt, er war gestalt- und farblos geworden; nur mit Begriffen suchte man
ihn zu bevölkern.

Dem suchte nun Bodmer durch die Wahl seines Themas zu entgehen.
Die Zeit der Sündfluth ließ jeder Erfindung freien Spielraum. Riesen und
Dämonen; Heidenpriester des Sonnengotts; Luftschiffe, höllische Geister; greu¬
liche Sitten, zu welchen das damalige Frankreich Modell saß; die Erde durch
den Dunstkreis eines Kometen überschwemmt; schauerliche Szenen der Ver¬
wüstung u. s. w., schließlich der Friedensbogen über der Arche. An epischem


weiß er, wie Jaques im Ardenerwald, ans allen Dingen Melancholie zu sau¬
gen, „wie ein Wiesel aus einem Hühnerei." Uebrigens ist die Prophezeiung
merkwürdiger Weise wirklich eingetroffen.

Eigentlich stimmten die Freunde nicht recht zu ihm: sie schätzten sein Talent
sehr hoch, aber er kam ihnen zu überschwänglich vor.

Klopstock war eine volle, mächtige Natur; mit einem brennenden Ehr¬
geiz verband sich ein zäher Wille. Da er sich zur Dichtkunst entschloß, griff
er sofort zum höchsten Kranz. „Voll Durstes war die heiße Seele des Jüng¬
lings nach Unsterblichkeit! Ich wacht' und ich träumte von der kühnen Fahrt
auf der Zukunft Oeean."

So viele große Dichtungen sah er der Vergessenheit verfallen: „bis zur
Schwermuth würd' ich ernst, vertiefte mich in den Zweck, in des Helden Würd',
in den Grundton, den Verhält, den Gang; strebte, geführt von der Seelen-
kunde, zu ergründen, was des Gedichts Schönheit sei?"

Aber welcher Held? — Plötzlich ging es ihm auf: „Ihn, den als Christ
ich liebte, sah ich mit einem schnellen begeisterten Blick als Dichter, und em¬
pfand, es liebe mit Innigkeit auch der Dichter den Göttlichen!... Ich dacht'
nur ihn, vergaß selbst der gedürsteten Unsterblichkeit ..." — Das ist
nicht genau: die Idee der dichterischen Unsterblichkeit stand immer im Vorder¬
grund.

Seit einem Jahrzehnt hatte Boden er als das Wunderbarste, d. h. den
höchsten Gegenstand der Dichtung, im Gegensatz zu Boileau das christ¬
liche Wunder bezeichnet. Er hatte den Milton wirklich durchgesetzt; erkannte
auch die „göttliche Komödie" und die religiösen Gedichte des deutschen Mittel¬
alters; sich selbst wählte er zum Gegenstand die Sündfluth.

Die Zeit war, wenigstens in Deutschland, für ein christliches Epos nicht
besonders günstig. Die Orthodoxie hatte sich aus dem Kreis der Gebildeten
in die Dorfpfarrer zurückgezogen; das „vernünftige" Christenthum hatte sich
in der „Theodic^e" völlig ausgegeben, die Mystik war jedem guten Bürger ein
Gräuel; der Pietismus seufzte still für sich hin. Der Himmel hatte durch den
protestantischen Bildersturm seine Mythologie bis auf die letzten Spuren ein¬
gebüßt, er war gestalt- und farblos geworden; nur mit Begriffen suchte man
ihn zu bevölkern.

Dem suchte nun Bodmer durch die Wahl seines Themas zu entgehen.
Die Zeit der Sündfluth ließ jeder Erfindung freien Spielraum. Riesen und
Dämonen; Heidenpriester des Sonnengotts; Luftschiffe, höllische Geister; greu¬
liche Sitten, zu welchen das damalige Frankreich Modell saß; die Erde durch
den Dunstkreis eines Kometen überschwemmt; schauerliche Szenen der Ver¬
wüstung u. s. w., schließlich der Friedensbogen über der Arche. An epischem


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[0372] weiß er, wie Jaques im Ardenerwald, ans allen Dingen Melancholie zu sau¬ gen, „wie ein Wiesel aus einem Hühnerei." Uebrigens ist die Prophezeiung merkwürdiger Weise wirklich eingetroffen. Eigentlich stimmten die Freunde nicht recht zu ihm: sie schätzten sein Talent sehr hoch, aber er kam ihnen zu überschwänglich vor. Klopstock war eine volle, mächtige Natur; mit einem brennenden Ehr¬ geiz verband sich ein zäher Wille. Da er sich zur Dichtkunst entschloß, griff er sofort zum höchsten Kranz. „Voll Durstes war die heiße Seele des Jüng¬ lings nach Unsterblichkeit! Ich wacht' und ich träumte von der kühnen Fahrt auf der Zukunft Oeean." So viele große Dichtungen sah er der Vergessenheit verfallen: „bis zur Schwermuth würd' ich ernst, vertiefte mich in den Zweck, in des Helden Würd', in den Grundton, den Verhält, den Gang; strebte, geführt von der Seelen- kunde, zu ergründen, was des Gedichts Schönheit sei?" Aber welcher Held? — Plötzlich ging es ihm auf: „Ihn, den als Christ ich liebte, sah ich mit einem schnellen begeisterten Blick als Dichter, und em¬ pfand, es liebe mit Innigkeit auch der Dichter den Göttlichen!... Ich dacht' nur ihn, vergaß selbst der gedürsteten Unsterblichkeit ..." — Das ist nicht genau: die Idee der dichterischen Unsterblichkeit stand immer im Vorder¬ grund. Seit einem Jahrzehnt hatte Boden er als das Wunderbarste, d. h. den höchsten Gegenstand der Dichtung, im Gegensatz zu Boileau das christ¬ liche Wunder bezeichnet. Er hatte den Milton wirklich durchgesetzt; erkannte auch die „göttliche Komödie" und die religiösen Gedichte des deutschen Mittel¬ alters; sich selbst wählte er zum Gegenstand die Sündfluth. Die Zeit war, wenigstens in Deutschland, für ein christliches Epos nicht besonders günstig. Die Orthodoxie hatte sich aus dem Kreis der Gebildeten in die Dorfpfarrer zurückgezogen; das „vernünftige" Christenthum hatte sich in der „Theodic^e" völlig ausgegeben, die Mystik war jedem guten Bürger ein Gräuel; der Pietismus seufzte still für sich hin. Der Himmel hatte durch den protestantischen Bildersturm seine Mythologie bis auf die letzten Spuren ein¬ gebüßt, er war gestalt- und farblos geworden; nur mit Begriffen suchte man ihn zu bevölkern. Dem suchte nun Bodmer durch die Wahl seines Themas zu entgehen. Die Zeit der Sündfluth ließ jeder Erfindung freien Spielraum. Riesen und Dämonen; Heidenpriester des Sonnengotts; Luftschiffe, höllische Geister; greu¬ liche Sitten, zu welchen das damalige Frankreich Modell saß; die Erde durch den Dunstkreis eines Kometen überschwemmt; schauerliche Szenen der Ver¬ wüstung u. s. w., schließlich der Friedensbogen über der Arche. An epischem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/372>, abgerufen am 27.09.2024.