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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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sein; kraft des Genius, den er in seiner unsterblichen Seele wie eine fremde
höhere Kraft empfindet, soll er schaffen. Echte Poesie muß aus dem In¬
nersten des Herzens hervorgehn. Sie ist nicht ein Geschäft für Mußestunden,
sie soll das Herz ganz in Anspruch nehmen und ausfüllen: sie soll die Ideale
des Lebens versinnlichen.

Der Dichter des "Messias" Klop stock (24 I.) Sohn eines Advokaten
in Quedlinburg, studirte gemeinsam mit seinem Vetter Schmidt aus Langen-
salza seit zwei Jahren in Leipzig, nachdem er sich in Schulpforta eine gründ¬
liche Schulbildung angeeignet. Er war in den Kreis der Schriftsteller aufge¬
nommen, von dem die "Bremer Beiträge" herausgegeben wurden: Gärtner,
Cramer, Schlegel, Rabener, Gellert, Ebert u. s. w. In diesem Kreise
wurde das Gefühl der Freundschaft sehr lebhaft kultivirt, das man damals
überhaupt sehr ideal aufzufassen anfing: der Hallische Kreis, Gleim, Lange,
Kleist u. f. w.; ferner Winkelmann, und nicht weniger die Franzosen:
Rousseau, Diderot u. s. w. standen darin mit jenen Schriftstellern auf
gleichem Boden.

Klop stock suchte dem Idealismus sofort einen kräftigen Schwung zu
geben, und ihn zur Religion in Beziehung zu setzen. Dazu mußte er sich
erst künstlich stimmen, und nicht selten schlägt ihm die Stimme über. Eins
seiner ersten Gedichte war eine Ode zur Verherrlichung seiner Freunde. Frei¬
lich gewinnen sie darin nicht viel Physiognomie, was überhaupt nicht des
Dichters Stärke war; nur von dem berauschten Ebert, der dithyrambisch seinen
Hagedorn feiert, sieht man etwas mehr: "gieb mir den Becher, den vollen!"
ruft ihm der Dichter zu, "daß ich froh sei wie du!" Auch nach einer Freun¬
din, die ihn einst lieben wird, sieht er sich um; sie zu nennen, sucht er nach
einem Namen unter den berühmten Heroinen der Liebesdichter, z. B. Laura,
Daphnis; er bleibt endlich bei Fanny stehn. "Du fehlst mir; bang und
weinend irr' ich und suche Dich!" Dem Dichter ist, "wenn ihm das Glück,
was es so selten thut, eine denkende Freundin giebt, jede Zähre von ihr, die
ihr sein Lied entlockt, künftiger Zähren Verkünderin." Die Thräne wird in
das Heiligthum der Poesie aufgenommen, die pietistischen Stimmungen suchen
einen klassischen Tonfall.

In einer Elegie an Ebert schildert Klop stock die Empfindung, die ihn
ergreift, wenn er sich vorstellt, alle seine Freunde sterben vor ihm, zuletzt
auch Ebert, und er stehe allein. "Weggehn muß ich und weinen! vielleicht
daß die lindernde Thräne meinen Gram mir verweint." Aber je lebhafter er
sich die Sache ausmalt, je schwerer wird ihm um's Herz. "Finstrer Gedanke,
laß ab, in die Seele zu donnern! wie die Ewigkeit ernst, furchtbar wie das
Gericht! Die verstummende Seele faßt dich, Gedanke nicht mehr." -- So


sein; kraft des Genius, den er in seiner unsterblichen Seele wie eine fremde
höhere Kraft empfindet, soll er schaffen. Echte Poesie muß aus dem In¬
nersten des Herzens hervorgehn. Sie ist nicht ein Geschäft für Mußestunden,
sie soll das Herz ganz in Anspruch nehmen und ausfüllen: sie soll die Ideale
des Lebens versinnlichen.

Der Dichter des „Messias" Klop stock (24 I.) Sohn eines Advokaten
in Quedlinburg, studirte gemeinsam mit seinem Vetter Schmidt aus Langen-
salza seit zwei Jahren in Leipzig, nachdem er sich in Schulpforta eine gründ¬
liche Schulbildung angeeignet. Er war in den Kreis der Schriftsteller aufge¬
nommen, von dem die „Bremer Beiträge" herausgegeben wurden: Gärtner,
Cramer, Schlegel, Rabener, Gellert, Ebert u. s. w. In diesem Kreise
wurde das Gefühl der Freundschaft sehr lebhaft kultivirt, das man damals
überhaupt sehr ideal aufzufassen anfing: der Hallische Kreis, Gleim, Lange,
Kleist u. f. w.; ferner Winkelmann, und nicht weniger die Franzosen:
Rousseau, Diderot u. s. w. standen darin mit jenen Schriftstellern auf
gleichem Boden.

Klop stock suchte dem Idealismus sofort einen kräftigen Schwung zu
geben, und ihn zur Religion in Beziehung zu setzen. Dazu mußte er sich
erst künstlich stimmen, und nicht selten schlägt ihm die Stimme über. Eins
seiner ersten Gedichte war eine Ode zur Verherrlichung seiner Freunde. Frei¬
lich gewinnen sie darin nicht viel Physiognomie, was überhaupt nicht des
Dichters Stärke war; nur von dem berauschten Ebert, der dithyrambisch seinen
Hagedorn feiert, sieht man etwas mehr: „gieb mir den Becher, den vollen!"
ruft ihm der Dichter zu, „daß ich froh sei wie du!" Auch nach einer Freun¬
din, die ihn einst lieben wird, sieht er sich um; sie zu nennen, sucht er nach
einem Namen unter den berühmten Heroinen der Liebesdichter, z. B. Laura,
Daphnis; er bleibt endlich bei Fanny stehn. „Du fehlst mir; bang und
weinend irr' ich und suche Dich!" Dem Dichter ist, „wenn ihm das Glück,
was es so selten thut, eine denkende Freundin giebt, jede Zähre von ihr, die
ihr sein Lied entlockt, künftiger Zähren Verkünderin." Die Thräne wird in
das Heiligthum der Poesie aufgenommen, die pietistischen Stimmungen suchen
einen klassischen Tonfall.

In einer Elegie an Ebert schildert Klop stock die Empfindung, die ihn
ergreift, wenn er sich vorstellt, alle seine Freunde sterben vor ihm, zuletzt
auch Ebert, und er stehe allein. „Weggehn muß ich und weinen! vielleicht
daß die lindernde Thräne meinen Gram mir verweint." Aber je lebhafter er
sich die Sache ausmalt, je schwerer wird ihm um's Herz. „Finstrer Gedanke,
laß ab, in die Seele zu donnern! wie die Ewigkeit ernst, furchtbar wie das
Gericht! Die verstummende Seele faßt dich, Gedanke nicht mehr." — So


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[0371] sein; kraft des Genius, den er in seiner unsterblichen Seele wie eine fremde höhere Kraft empfindet, soll er schaffen. Echte Poesie muß aus dem In¬ nersten des Herzens hervorgehn. Sie ist nicht ein Geschäft für Mußestunden, sie soll das Herz ganz in Anspruch nehmen und ausfüllen: sie soll die Ideale des Lebens versinnlichen. Der Dichter des „Messias" Klop stock (24 I.) Sohn eines Advokaten in Quedlinburg, studirte gemeinsam mit seinem Vetter Schmidt aus Langen- salza seit zwei Jahren in Leipzig, nachdem er sich in Schulpforta eine gründ¬ liche Schulbildung angeeignet. Er war in den Kreis der Schriftsteller aufge¬ nommen, von dem die „Bremer Beiträge" herausgegeben wurden: Gärtner, Cramer, Schlegel, Rabener, Gellert, Ebert u. s. w. In diesem Kreise wurde das Gefühl der Freundschaft sehr lebhaft kultivirt, das man damals überhaupt sehr ideal aufzufassen anfing: der Hallische Kreis, Gleim, Lange, Kleist u. f. w.; ferner Winkelmann, und nicht weniger die Franzosen: Rousseau, Diderot u. s. w. standen darin mit jenen Schriftstellern auf gleichem Boden. Klop stock suchte dem Idealismus sofort einen kräftigen Schwung zu geben, und ihn zur Religion in Beziehung zu setzen. Dazu mußte er sich erst künstlich stimmen, und nicht selten schlägt ihm die Stimme über. Eins seiner ersten Gedichte war eine Ode zur Verherrlichung seiner Freunde. Frei¬ lich gewinnen sie darin nicht viel Physiognomie, was überhaupt nicht des Dichters Stärke war; nur von dem berauschten Ebert, der dithyrambisch seinen Hagedorn feiert, sieht man etwas mehr: „gieb mir den Becher, den vollen!" ruft ihm der Dichter zu, „daß ich froh sei wie du!" Auch nach einer Freun¬ din, die ihn einst lieben wird, sieht er sich um; sie zu nennen, sucht er nach einem Namen unter den berühmten Heroinen der Liebesdichter, z. B. Laura, Daphnis; er bleibt endlich bei Fanny stehn. „Du fehlst mir; bang und weinend irr' ich und suche Dich!" Dem Dichter ist, „wenn ihm das Glück, was es so selten thut, eine denkende Freundin giebt, jede Zähre von ihr, die ihr sein Lied entlockt, künftiger Zähren Verkünderin." Die Thräne wird in das Heiligthum der Poesie aufgenommen, die pietistischen Stimmungen suchen einen klassischen Tonfall. In einer Elegie an Ebert schildert Klop stock die Empfindung, die ihn ergreift, wenn er sich vorstellt, alle seine Freunde sterben vor ihm, zuletzt auch Ebert, und er stehe allein. „Weggehn muß ich und weinen! vielleicht daß die lindernde Thräne meinen Gram mir verweint." Aber je lebhafter er sich die Sache ausmalt, je schwerer wird ihm um's Herz. „Finstrer Gedanke, laß ab, in die Seele zu donnern! wie die Ewigkeit ernst, furchtbar wie das Gericht! Die verstummende Seele faßt dich, Gedanke nicht mehr." — So

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/371>, abgerufen am 20.10.2024.