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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Ansicht, daß sie das Statut ändern dürften, verwarf, gab er eine genane Be¬
stimmung über den Umfang der Befugnisse des Kardinalskollegiums während
der Sedisvakanz. Danach sollten die Kardinäle nicht befugt sein, in Sachen,
welche zur päpstlichen Gewalt und Jurisdiktion gehörten, Entscheidungen zu
treffen, ausgenommen die Ernennung des Kämmerers und des Groß-Pöniten-
tiars, falls diese während des Konklave mit Tode abgingen. Im Falle daß
der Papst nicht in der Stadt stürbe, wo seine Kurie sich befände, sollte doch
in der letzteren das Konklave stattfinden. Wenn die Kardinäle sich aus dem
Wahlraume entfernten, so sollten die durch das Gregorianische Statut bevoll¬
mächtigten Staatsbehörden sie zum Wiedereintritt und zur Erfüllung ihrer
Pflicht nöthigen. Endlich sollte kein Kardinal aus irgendeinem Grnnde je
seines Wahlrechtes verlustig werden können, selbst nicht, wenn er von Sus¬
pension, Exkommunikation und Interdikt betroffen sei.

Die letzte Bestimmung war die schwerwiegendste. Sie gab der Papstwahl
die letzte und höchste Garantie, indem sie dieselbe gegen die sonst unbeschränkte
Macht des Papstes selbst sicherte. In dem Konklave, aus welchem Klemens V.
hervorgegangen war, hatten die Kardinäle Jcieob und Peter Kolonna nicht
Theil genommen, weil der jähzornige und tyrannische Bonifacius VIII. ihnen
ihre Würden und Rechte abgesprochen hatte. Klemens wollte verhindern, daß
ein so gefährliches Recht zum zweiten Male angewendet werde, und seine Be¬
stimmung ist unverändert in Geltung geblieben. Unter Hadrian VI. wurde
der Kardinal Soderini, der wiederholten Verschwörung schuldig, zum zweiten
Male des Wahlrechts nud der Wählbarkeit beraubt und noch auf dem Todten-
bette forderte der Papst die Kardinäle auf und dekretirte, daß man den in der
Engelsburg gefangen Sitzenden nicht befreie. Dessenungeachtet wurde er freige¬
lassen und nahm: an der Wahl Clemens' VII. Theil. -- Der nichtswürdige
und verhaßte Kardinal Coscia wurde wegen zahlloser Verbrechen durch Cle¬
mens XII. seiner Würde beraubt, und dieser erklärte jede Wahl, an welcher
jener Theil nehmen würde, für ungiltig. Dieses Dekret mäßigte der Papst
selbst, in der Erkenntniß zu weit gegangen zu sein, dahin, daß der Kardinal
vor Abbüßung seiner Strafe nicht gewählt werden und daß seine Stimme
nicht diejenige sein dürfe, welche die Zweidrittelmajorität erreichen mache. In
der That nahm Coscia am Konklave von 1740 Theil. -- Auch Pius VI. und
Pius IX. haben ähnliche Dekrete gegen Kardinäle, der letztere gegen d'Andrea,
erlassen; doch sind die Betroffenen theils zu früh gestorben, theils wieder reha-
bilitirt worden.

Trotz der gewichtigsten Bürgschaften, durch welche die Bestimmungen über
die Wahl des Kirchenoberhauptes zu den unumstößlichsten Gesetzen gemacht zu
sein schienen, waren dieselben ohne eine wirkliche und dauernde Garantie, denn


Ansicht, daß sie das Statut ändern dürften, verwarf, gab er eine genane Be¬
stimmung über den Umfang der Befugnisse des Kardinalskollegiums während
der Sedisvakanz. Danach sollten die Kardinäle nicht befugt sein, in Sachen,
welche zur päpstlichen Gewalt und Jurisdiktion gehörten, Entscheidungen zu
treffen, ausgenommen die Ernennung des Kämmerers und des Groß-Pöniten-
tiars, falls diese während des Konklave mit Tode abgingen. Im Falle daß
der Papst nicht in der Stadt stürbe, wo seine Kurie sich befände, sollte doch
in der letzteren das Konklave stattfinden. Wenn die Kardinäle sich aus dem
Wahlraume entfernten, so sollten die durch das Gregorianische Statut bevoll¬
mächtigten Staatsbehörden sie zum Wiedereintritt und zur Erfüllung ihrer
Pflicht nöthigen. Endlich sollte kein Kardinal aus irgendeinem Grnnde je
seines Wahlrechtes verlustig werden können, selbst nicht, wenn er von Sus¬
pension, Exkommunikation und Interdikt betroffen sei.

Die letzte Bestimmung war die schwerwiegendste. Sie gab der Papstwahl
die letzte und höchste Garantie, indem sie dieselbe gegen die sonst unbeschränkte
Macht des Papstes selbst sicherte. In dem Konklave, aus welchem Klemens V.
hervorgegangen war, hatten die Kardinäle Jcieob und Peter Kolonna nicht
Theil genommen, weil der jähzornige und tyrannische Bonifacius VIII. ihnen
ihre Würden und Rechte abgesprochen hatte. Klemens wollte verhindern, daß
ein so gefährliches Recht zum zweiten Male angewendet werde, und seine Be¬
stimmung ist unverändert in Geltung geblieben. Unter Hadrian VI. wurde
der Kardinal Soderini, der wiederholten Verschwörung schuldig, zum zweiten
Male des Wahlrechts nud der Wählbarkeit beraubt und noch auf dem Todten-
bette forderte der Papst die Kardinäle auf und dekretirte, daß man den in der
Engelsburg gefangen Sitzenden nicht befreie. Dessenungeachtet wurde er freige¬
lassen und nahm: an der Wahl Clemens' VII. Theil. — Der nichtswürdige
und verhaßte Kardinal Coscia wurde wegen zahlloser Verbrechen durch Cle¬
mens XII. seiner Würde beraubt, und dieser erklärte jede Wahl, an welcher
jener Theil nehmen würde, für ungiltig. Dieses Dekret mäßigte der Papst
selbst, in der Erkenntniß zu weit gegangen zu sein, dahin, daß der Kardinal
vor Abbüßung seiner Strafe nicht gewählt werden und daß seine Stimme
nicht diejenige sein dürfe, welche die Zweidrittelmajorität erreichen mache. In
der That nahm Coscia am Konklave von 1740 Theil. — Auch Pius VI. und
Pius IX. haben ähnliche Dekrete gegen Kardinäle, der letztere gegen d'Andrea,
erlassen; doch sind die Betroffenen theils zu früh gestorben, theils wieder reha-
bilitirt worden.

Trotz der gewichtigsten Bürgschaften, durch welche die Bestimmungen über
die Wahl des Kirchenoberhauptes zu den unumstößlichsten Gesetzen gemacht zu
sein schienen, waren dieselben ohne eine wirkliche und dauernde Garantie, denn


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[0341] Ansicht, daß sie das Statut ändern dürften, verwarf, gab er eine genane Be¬ stimmung über den Umfang der Befugnisse des Kardinalskollegiums während der Sedisvakanz. Danach sollten die Kardinäle nicht befugt sein, in Sachen, welche zur päpstlichen Gewalt und Jurisdiktion gehörten, Entscheidungen zu treffen, ausgenommen die Ernennung des Kämmerers und des Groß-Pöniten- tiars, falls diese während des Konklave mit Tode abgingen. Im Falle daß der Papst nicht in der Stadt stürbe, wo seine Kurie sich befände, sollte doch in der letzteren das Konklave stattfinden. Wenn die Kardinäle sich aus dem Wahlraume entfernten, so sollten die durch das Gregorianische Statut bevoll¬ mächtigten Staatsbehörden sie zum Wiedereintritt und zur Erfüllung ihrer Pflicht nöthigen. Endlich sollte kein Kardinal aus irgendeinem Grnnde je seines Wahlrechtes verlustig werden können, selbst nicht, wenn er von Sus¬ pension, Exkommunikation und Interdikt betroffen sei. Die letzte Bestimmung war die schwerwiegendste. Sie gab der Papstwahl die letzte und höchste Garantie, indem sie dieselbe gegen die sonst unbeschränkte Macht des Papstes selbst sicherte. In dem Konklave, aus welchem Klemens V. hervorgegangen war, hatten die Kardinäle Jcieob und Peter Kolonna nicht Theil genommen, weil der jähzornige und tyrannische Bonifacius VIII. ihnen ihre Würden und Rechte abgesprochen hatte. Klemens wollte verhindern, daß ein so gefährliches Recht zum zweiten Male angewendet werde, und seine Be¬ stimmung ist unverändert in Geltung geblieben. Unter Hadrian VI. wurde der Kardinal Soderini, der wiederholten Verschwörung schuldig, zum zweiten Male des Wahlrechts nud der Wählbarkeit beraubt und noch auf dem Todten- bette forderte der Papst die Kardinäle auf und dekretirte, daß man den in der Engelsburg gefangen Sitzenden nicht befreie. Dessenungeachtet wurde er freige¬ lassen und nahm: an der Wahl Clemens' VII. Theil. — Der nichtswürdige und verhaßte Kardinal Coscia wurde wegen zahlloser Verbrechen durch Cle¬ mens XII. seiner Würde beraubt, und dieser erklärte jede Wahl, an welcher jener Theil nehmen würde, für ungiltig. Dieses Dekret mäßigte der Papst selbst, in der Erkenntniß zu weit gegangen zu sein, dahin, daß der Kardinal vor Abbüßung seiner Strafe nicht gewählt werden und daß seine Stimme nicht diejenige sein dürfe, welche die Zweidrittelmajorität erreichen mache. In der That nahm Coscia am Konklave von 1740 Theil. — Auch Pius VI. und Pius IX. haben ähnliche Dekrete gegen Kardinäle, der letztere gegen d'Andrea, erlassen; doch sind die Betroffenen theils zu früh gestorben, theils wieder reha- bilitirt worden. Trotz der gewichtigsten Bürgschaften, durch welche die Bestimmungen über die Wahl des Kirchenoberhauptes zu den unumstößlichsten Gesetzen gemacht zu sein schienen, waren dieselben ohne eine wirkliche und dauernde Garantie, denn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/341>, abgerufen am 27.09.2024.