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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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ihre Garantie lag nur in dein Willen der Kardinäle, welcher nicht unver¬
änderlich war und in der reellen Macht, welche zwischen der geistlichen und
der weltlichen Macht wechseln konnte. Der Papst konnte beliebige Verord¬
nungen erlassen; denn er war unbeschränkt. Die Kardinäle konnten sie be¬
obachten oder nicht; denn nach seinem Tode waren sie unbeschränkt. Die
Fürstenmacht konnte Beiden entgegentreten, wenn sie Macht genug besaß, sie
zu beschränken.

Clemens V. selbst war es, der, nachdem der Glanz des Papstthums unter
Bonifacius VIII. auf den Gipfel gestiegen war, den schmählichen Fall erfahren
mußte. Seine Verlegung der Residenz nach Avignon (1305) brachte den Hei¬
ligen Stuhl unter den drückenden Einfluß der französischen Könige. Die
Sedisvakanz nach seinem Tode (1314) dauerte über zwei Jahre. Haß, Zwie¬
tracht und Präpotenz des französischen Theils der Kardinäle brachten es so¬
weit, daß das Kollegium sich weigerte, zusammenzutreten und sich erst durch
das Versprechen Philipps von Valois, daß sie frei aus- und eingehen sollten,
dazu bestimmen ließ. Philipp hielt sein Wort nicht, und die in Lyon versam¬
melten Wähler mußten sich die Klausur gefallen lassen, bis sie nach vierzig
Tagen den Kardinal Jakob von Porto, wiederum einen Franzosen (als Jo¬
hann XXII.), gewühlt hatten.

Durch Clemens VI. wurden die Formen der Klausur in der Weise ge¬
mildert, wie sie noch heute in Geltung sind. -- Im Konklave von 1352 tra¬
fen die Kardinäle zum ersten Male eine Verabredung, durch welche dem künf¬
tigen Papst Vorschriften über die Wahl der Kardinäle, die Besetzung hoher
Posten u. s. w. gemacht wurden, und Jeder verpflichtete sich eidlich im Falle
seiner Wahl diesen Vorschriften nachzukommen. Innocenz VI. wurde gewählt,
und seine erste That-war die Annullirnng jenes Abkommens.

Gregor XI. versuchte, obwohl er selbst seine Verlegung der Residenz nach
Rom rückgängig machen wollte, den Einfluß Frankreichs zu beseitigen und er¬
ließ deshalb eine neue Verordnung über die Papstwahl. Er gab den Kar¬
dinälen Vollmacht, das Konklave so schnell es ihnen gutdünkte und in jeder
beliebigen Stadt abzuhalten, änderte das Verfahren bei dem Wahlakt und
bestimmte, daß die einfache statt der Zweidrittel-Mcijorität genügen solle. So
wurde es zwar möglich, daß aus einem Kollegium, in welchem neben dreizehn
Franzosen nur vier Italiener saßen, ein italienischer Papst -- Urban VI.
1378 -- hervorging; aber zugleich wurde dies Ursache der verhängnißvollen
Kirchenspaltung, indem zwölf Kardinäle der französischen Partei nebst einigen
Italienern aus Rom entwichen, die Wahl Urban's, der seinen Sitz in Rom
behielt, für nngiltig erklärten und in Anagni den Bischof Robert von Genf
als Clemens VII. ernannten, der nach Avignon ging. Der entsetzliche und


ihre Garantie lag nur in dein Willen der Kardinäle, welcher nicht unver¬
änderlich war und in der reellen Macht, welche zwischen der geistlichen und
der weltlichen Macht wechseln konnte. Der Papst konnte beliebige Verord¬
nungen erlassen; denn er war unbeschränkt. Die Kardinäle konnten sie be¬
obachten oder nicht; denn nach seinem Tode waren sie unbeschränkt. Die
Fürstenmacht konnte Beiden entgegentreten, wenn sie Macht genug besaß, sie
zu beschränken.

Clemens V. selbst war es, der, nachdem der Glanz des Papstthums unter
Bonifacius VIII. auf den Gipfel gestiegen war, den schmählichen Fall erfahren
mußte. Seine Verlegung der Residenz nach Avignon (1305) brachte den Hei¬
ligen Stuhl unter den drückenden Einfluß der französischen Könige. Die
Sedisvakanz nach seinem Tode (1314) dauerte über zwei Jahre. Haß, Zwie¬
tracht und Präpotenz des französischen Theils der Kardinäle brachten es so¬
weit, daß das Kollegium sich weigerte, zusammenzutreten und sich erst durch
das Versprechen Philipps von Valois, daß sie frei aus- und eingehen sollten,
dazu bestimmen ließ. Philipp hielt sein Wort nicht, und die in Lyon versam¬
melten Wähler mußten sich die Klausur gefallen lassen, bis sie nach vierzig
Tagen den Kardinal Jakob von Porto, wiederum einen Franzosen (als Jo¬
hann XXII.), gewühlt hatten.

Durch Clemens VI. wurden die Formen der Klausur in der Weise ge¬
mildert, wie sie noch heute in Geltung sind. — Im Konklave von 1352 tra¬
fen die Kardinäle zum ersten Male eine Verabredung, durch welche dem künf¬
tigen Papst Vorschriften über die Wahl der Kardinäle, die Besetzung hoher
Posten u. s. w. gemacht wurden, und Jeder verpflichtete sich eidlich im Falle
seiner Wahl diesen Vorschriften nachzukommen. Innocenz VI. wurde gewählt,
und seine erste That-war die Annullirnng jenes Abkommens.

Gregor XI. versuchte, obwohl er selbst seine Verlegung der Residenz nach
Rom rückgängig machen wollte, den Einfluß Frankreichs zu beseitigen und er¬
ließ deshalb eine neue Verordnung über die Papstwahl. Er gab den Kar¬
dinälen Vollmacht, das Konklave so schnell es ihnen gutdünkte und in jeder
beliebigen Stadt abzuhalten, änderte das Verfahren bei dem Wahlakt und
bestimmte, daß die einfache statt der Zweidrittel-Mcijorität genügen solle. So
wurde es zwar möglich, daß aus einem Kollegium, in welchem neben dreizehn
Franzosen nur vier Italiener saßen, ein italienischer Papst — Urban VI.
1378 — hervorging; aber zugleich wurde dies Ursache der verhängnißvollen
Kirchenspaltung, indem zwölf Kardinäle der französischen Partei nebst einigen
Italienern aus Rom entwichen, die Wahl Urban's, der seinen Sitz in Rom
behielt, für nngiltig erklärten und in Anagni den Bischof Robert von Genf
als Clemens VII. ernannten, der nach Avignon ging. Der entsetzliche und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/342>, abgerufen am 27.09.2024.