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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Stolz sagen konnte, "ausreichen, um allein ein großes Museum zu füllen."
Man schätzt den reinen Metallwerth der gefundenen Goldsachen allein auf
30,000 Mark.

Da Schliemann an den Skeletten und in den Gräbern starke Spuren
von Brand entdeckt hat -- wir wollen annehmen, daß ihm seine Phantasie
hier keinen Streich gespielt, -- war die Begräbnißstätte jedenfalls der Schau¬
platz gewaltsamer Vorgänge gewesen, deren Art und Weise wir natürlich nicht
mehr ermitteln können. Für Schliemann trägt dieser Umstand freilich zur
Verstärkung seiner Hypothese bei. Da einige Leichname auch mit offenbarer
Anwendung von Gewalt in eine unnatürliche und gezwungene Lage gebracht
sein sollen, so glaubt er, die Mörder hätten die Todten in aller Eile in die
Felsengräber gebettet, und sie innerhalb derselben verbrannt, ohne abzuwarten,
bis der Verbrennungsprozeß vollendet. Und trotzdem sollten sie sich noch die
Zeit genommen haben, so ungeheure Mengen von Goldschmuck aufzuhäufen,
wie sie Schliemann gefunden hat? Auch darauf weiß der niemals verlegene
Schatzgräber eine Antwort. Die Mörder hätten, so meint er, wenigstens die
äußere Schicklichkeit wahren und die Gemordeten mit königlichem Pomp
bestatten wollen. Mit riesigen Schätzen und in aller Eile? Wer findet da
den Reim? Gladstone, der helfend eintritt, wo Schliemanns Kombinations¬
talent den Boden verliert. Zuvor müssen wir noch des Umstandes gedenken,
daß sich auf den Gesichtern der Todten sehr naturalistisch gebildete, goldene
Masken vorfanden, deren Verfertiger offenbar bestrebt gewesen waren, die
Gesichtszüge der Todten nachzubilden. "Orestes, so lautet der pythische Spruch
Gladstonescher Weisheit, "hat die Gräber später öffnen lassen und, um den
Todten Genugthuung zu verschaffen, die Verbrennung angeordnet. Diese war
wegen der Tiefe und des Mangels an Luftzug unvollkommen." Wir stehen
also, Dank der Mitwirkung des englischen Homerforschers, vor der folgenden
Kette von wunderbaren Thatsachen. Die Todten wurden in den Felsengräbern
mit all ihrem königlichen Schmuck, mit goldenen Brustplatten und mit goldenen
Gesichtsmasken, die ihre Züge menschenähnlich konserviren sollten, beigesetzt.
Dann kam Orestes und ließ die Todten, ohne sich im geringsten um die Kost¬
barkeiten und die Masken zu kümmern, verbrennen. Wir würden uns aus
diesem Wirrsal schwerlich herausfinden, wenn wir den Ausweg nicht schon oben
gezeigt hätten.

Glücklicherweise ist der schwarze Plan des Orestes nur theilweise gelun¬
gen: der Goldschmuck und die übrigen metallenen Geräthe und Schmuckgegen¬
stände haben glänzend die Feuerprobe bestanden, um sie fast nach drei Jahr¬
tausenden noch einmal vor der archäologischen Kritik zu bestehen.

Um einen Anhaltspunkt über die Zeit und den Ursprung der Gräber


Stolz sagen konnte, „ausreichen, um allein ein großes Museum zu füllen."
Man schätzt den reinen Metallwerth der gefundenen Goldsachen allein auf
30,000 Mark.

Da Schliemann an den Skeletten und in den Gräbern starke Spuren
von Brand entdeckt hat — wir wollen annehmen, daß ihm seine Phantasie
hier keinen Streich gespielt, — war die Begräbnißstätte jedenfalls der Schau¬
platz gewaltsamer Vorgänge gewesen, deren Art und Weise wir natürlich nicht
mehr ermitteln können. Für Schliemann trägt dieser Umstand freilich zur
Verstärkung seiner Hypothese bei. Da einige Leichname auch mit offenbarer
Anwendung von Gewalt in eine unnatürliche und gezwungene Lage gebracht
sein sollen, so glaubt er, die Mörder hätten die Todten in aller Eile in die
Felsengräber gebettet, und sie innerhalb derselben verbrannt, ohne abzuwarten,
bis der Verbrennungsprozeß vollendet. Und trotzdem sollten sie sich noch die
Zeit genommen haben, so ungeheure Mengen von Goldschmuck aufzuhäufen,
wie sie Schliemann gefunden hat? Auch darauf weiß der niemals verlegene
Schatzgräber eine Antwort. Die Mörder hätten, so meint er, wenigstens die
äußere Schicklichkeit wahren und die Gemordeten mit königlichem Pomp
bestatten wollen. Mit riesigen Schätzen und in aller Eile? Wer findet da
den Reim? Gladstone, der helfend eintritt, wo Schliemanns Kombinations¬
talent den Boden verliert. Zuvor müssen wir noch des Umstandes gedenken,
daß sich auf den Gesichtern der Todten sehr naturalistisch gebildete, goldene
Masken vorfanden, deren Verfertiger offenbar bestrebt gewesen waren, die
Gesichtszüge der Todten nachzubilden. „Orestes, so lautet der pythische Spruch
Gladstonescher Weisheit, „hat die Gräber später öffnen lassen und, um den
Todten Genugthuung zu verschaffen, die Verbrennung angeordnet. Diese war
wegen der Tiefe und des Mangels an Luftzug unvollkommen." Wir stehen
also, Dank der Mitwirkung des englischen Homerforschers, vor der folgenden
Kette von wunderbaren Thatsachen. Die Todten wurden in den Felsengräbern
mit all ihrem königlichen Schmuck, mit goldenen Brustplatten und mit goldenen
Gesichtsmasken, die ihre Züge menschenähnlich konserviren sollten, beigesetzt.
Dann kam Orestes und ließ die Todten, ohne sich im geringsten um die Kost¬
barkeiten und die Masken zu kümmern, verbrennen. Wir würden uns aus
diesem Wirrsal schwerlich herausfinden, wenn wir den Ausweg nicht schon oben
gezeigt hätten.

Glücklicherweise ist der schwarze Plan des Orestes nur theilweise gelun¬
gen: der Goldschmuck und die übrigen metallenen Geräthe und Schmuckgegen¬
stände haben glänzend die Feuerprobe bestanden, um sie fast nach drei Jahr¬
tausenden noch einmal vor der archäologischen Kritik zu bestehen.

Um einen Anhaltspunkt über die Zeit und den Ursprung der Gräber


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[0299] Stolz sagen konnte, „ausreichen, um allein ein großes Museum zu füllen." Man schätzt den reinen Metallwerth der gefundenen Goldsachen allein auf 30,000 Mark. Da Schliemann an den Skeletten und in den Gräbern starke Spuren von Brand entdeckt hat — wir wollen annehmen, daß ihm seine Phantasie hier keinen Streich gespielt, — war die Begräbnißstätte jedenfalls der Schau¬ platz gewaltsamer Vorgänge gewesen, deren Art und Weise wir natürlich nicht mehr ermitteln können. Für Schliemann trägt dieser Umstand freilich zur Verstärkung seiner Hypothese bei. Da einige Leichname auch mit offenbarer Anwendung von Gewalt in eine unnatürliche und gezwungene Lage gebracht sein sollen, so glaubt er, die Mörder hätten die Todten in aller Eile in die Felsengräber gebettet, und sie innerhalb derselben verbrannt, ohne abzuwarten, bis der Verbrennungsprozeß vollendet. Und trotzdem sollten sie sich noch die Zeit genommen haben, so ungeheure Mengen von Goldschmuck aufzuhäufen, wie sie Schliemann gefunden hat? Auch darauf weiß der niemals verlegene Schatzgräber eine Antwort. Die Mörder hätten, so meint er, wenigstens die äußere Schicklichkeit wahren und die Gemordeten mit königlichem Pomp bestatten wollen. Mit riesigen Schätzen und in aller Eile? Wer findet da den Reim? Gladstone, der helfend eintritt, wo Schliemanns Kombinations¬ talent den Boden verliert. Zuvor müssen wir noch des Umstandes gedenken, daß sich auf den Gesichtern der Todten sehr naturalistisch gebildete, goldene Masken vorfanden, deren Verfertiger offenbar bestrebt gewesen waren, die Gesichtszüge der Todten nachzubilden. „Orestes, so lautet der pythische Spruch Gladstonescher Weisheit, „hat die Gräber später öffnen lassen und, um den Todten Genugthuung zu verschaffen, die Verbrennung angeordnet. Diese war wegen der Tiefe und des Mangels an Luftzug unvollkommen." Wir stehen also, Dank der Mitwirkung des englischen Homerforschers, vor der folgenden Kette von wunderbaren Thatsachen. Die Todten wurden in den Felsengräbern mit all ihrem königlichen Schmuck, mit goldenen Brustplatten und mit goldenen Gesichtsmasken, die ihre Züge menschenähnlich konserviren sollten, beigesetzt. Dann kam Orestes und ließ die Todten, ohne sich im geringsten um die Kost¬ barkeiten und die Masken zu kümmern, verbrennen. Wir würden uns aus diesem Wirrsal schwerlich herausfinden, wenn wir den Ausweg nicht schon oben gezeigt hätten. Glücklicherweise ist der schwarze Plan des Orestes nur theilweise gelun¬ gen: der Goldschmuck und die übrigen metallenen Geräthe und Schmuckgegen¬ stände haben glänzend die Feuerprobe bestanden, um sie fast nach drei Jahr¬ tausenden noch einmal vor der archäologischen Kritik zu bestehen. Um einen Anhaltspunkt über die Zeit und den Ursprung der Gräber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/299>, abgerufen am 27.09.2024.