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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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stein" herausgegeben. Daß der Name des Herausgebers oder des Uebersetzers
uicht der des Verfassers ist, das ist den Leuten nicht begreiflich zu machen.
Nicht minder ärgerlich ist die unklare Angabe der Bäudezahl. Fortwährend
wird geschrieben: "3 Bd." Soll das nun heißen: "drei Bände" oder "dritter
Band"? Wie wenige üben die kleine und doch so wichtige Genauigkeit, zu
unterscheiden zwischen: "3. Bd." und "3 Bde." Auf den Punkt und auf das
eine e kommt alles an. Unter drei Quittungen aber ist mindestens eine, die
man an dieser Stelle bei der Annahme berichtigen muß.

Ein unerschöpfliches Kapitel ist das über die Behandlung der Bücher.
Kein Gegenstand ist so empfindlicher Natur, keiner bittet uns stillschweigend
so flehentlich um Schonung wie das Buch, und doch wird mit nichts gewissen¬
loser verfahren als mit Büchern -- mit fremden Büchern! Schon im Privat¬
verkehr kann jeder hier genügende Erfahrungen macheu. Wer hätte nicht schon
von einer" guten Freunde nach Jahr und Tag ein Buch in einem Zustande
zurückerhalten, daß er es auf den ersten Blick kaum als das seinige wiederer-
kannte? Das Buch hat nicht im Straßenschlamm gelegen, es hat auch alle
seiue Blätter noch, aber es ist merkwürdig unscheinbar geworden, die Farbe
des Einbandes ist verschossen, Lederrücken und Lederecken sind bestoßen, ein
einzelner Bogen ist im Band gelockert und ragt über den Schnitt heraus, auf
einigen Blättern sind deutliche Glaeöhaudschuhfiugerspitzeuabdrücke zu sehen --
kurz, es ist das alte Buch nicht mehr. Und doch hat unser guter Freund
vielleicht das Buch sehr schonend behandelt. Wie ergeht es aber erst Büchern,
die öffentliches Gut sind!

Der schlimmste Feind der Bibliotheksbücher ist der Schmuz. Mit neuen
Büchern nimmt das Publikum sich allenfalls zusammen. Ueber neue Bücher
werden auch auf der Bibliothek anfangs alle Hände gehalten -- denn das
glaube man nur: der gerechte und vollkommene Bibliothekar betrachtet seine
Bibliothek wie sein Eigenthum; er kann um seine eigenen Bücher nicht zärtlicher
besorgt sein, als um das ihm anvertraute öffentliche Gut. Denen, die ein neu
angeschafftes Buch zum ersten Male von der Bibliothek entführen, wird in
irgend einer Form angedeutet, daß die besondere Vergünstigung, dies Buch
zuerst entleihen zu dürfen, auch ganz besondere Verpflichtungen nach sich ziehe.
Was hilft's? Nach einigen Wochen kommt das Buch zurück -- über dein
ursprünglich blanken Lederrücken liegt etwas wie ein dünner Schleier, der Ein¬
band fühlt sich feucht an, die frische Farbe des Schnitts ist, namentlich am,
Fuße, verwischt -- das Buch, gleicht einem Geldstück, das noch sehr schön nen
aussieht, aber doch den Prägeglanz verloren hat, den es mit aus der Münze
brachte. Einem zweiten, einem dritten Entleiher kann man es allenfalls noch¬
mals als "neu" auf die Seele binden, dann aber hat die Metamorphose, die


stein" herausgegeben. Daß der Name des Herausgebers oder des Uebersetzers
uicht der des Verfassers ist, das ist den Leuten nicht begreiflich zu machen.
Nicht minder ärgerlich ist die unklare Angabe der Bäudezahl. Fortwährend
wird geschrieben: „3 Bd." Soll das nun heißen: „drei Bände" oder „dritter
Band"? Wie wenige üben die kleine und doch so wichtige Genauigkeit, zu
unterscheiden zwischen: „3. Bd." und „3 Bde." Auf den Punkt und auf das
eine e kommt alles an. Unter drei Quittungen aber ist mindestens eine, die
man an dieser Stelle bei der Annahme berichtigen muß.

Ein unerschöpfliches Kapitel ist das über die Behandlung der Bücher.
Kein Gegenstand ist so empfindlicher Natur, keiner bittet uns stillschweigend
so flehentlich um Schonung wie das Buch, und doch wird mit nichts gewissen¬
loser verfahren als mit Büchern — mit fremden Büchern! Schon im Privat¬
verkehr kann jeder hier genügende Erfahrungen macheu. Wer hätte nicht schon
von einer» guten Freunde nach Jahr und Tag ein Buch in einem Zustande
zurückerhalten, daß er es auf den ersten Blick kaum als das seinige wiederer-
kannte? Das Buch hat nicht im Straßenschlamm gelegen, es hat auch alle
seiue Blätter noch, aber es ist merkwürdig unscheinbar geworden, die Farbe
des Einbandes ist verschossen, Lederrücken und Lederecken sind bestoßen, ein
einzelner Bogen ist im Band gelockert und ragt über den Schnitt heraus, auf
einigen Blättern sind deutliche Glaeöhaudschuhfiugerspitzeuabdrücke zu sehen —
kurz, es ist das alte Buch nicht mehr. Und doch hat unser guter Freund
vielleicht das Buch sehr schonend behandelt. Wie ergeht es aber erst Büchern,
die öffentliches Gut sind!

Der schlimmste Feind der Bibliotheksbücher ist der Schmuz. Mit neuen
Büchern nimmt das Publikum sich allenfalls zusammen. Ueber neue Bücher
werden auch auf der Bibliothek anfangs alle Hände gehalten — denn das
glaube man nur: der gerechte und vollkommene Bibliothekar betrachtet seine
Bibliothek wie sein Eigenthum; er kann um seine eigenen Bücher nicht zärtlicher
besorgt sein, als um das ihm anvertraute öffentliche Gut. Denen, die ein neu
angeschafftes Buch zum ersten Male von der Bibliothek entführen, wird in
irgend einer Form angedeutet, daß die besondere Vergünstigung, dies Buch
zuerst entleihen zu dürfen, auch ganz besondere Verpflichtungen nach sich ziehe.
Was hilft's? Nach einigen Wochen kommt das Buch zurück — über dein
ursprünglich blanken Lederrücken liegt etwas wie ein dünner Schleier, der Ein¬
band fühlt sich feucht an, die frische Farbe des Schnitts ist, namentlich am,
Fuße, verwischt — das Buch, gleicht einem Geldstück, das noch sehr schön nen
aussieht, aber doch den Prägeglanz verloren hat, den es mit aus der Münze
brachte. Einem zweiten, einem dritten Entleiher kann man es allenfalls noch¬
mals als „neu" auf die Seele binden, dann aber hat die Metamorphose, die


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[0262] stein" herausgegeben. Daß der Name des Herausgebers oder des Uebersetzers uicht der des Verfassers ist, das ist den Leuten nicht begreiflich zu machen. Nicht minder ärgerlich ist die unklare Angabe der Bäudezahl. Fortwährend wird geschrieben: „3 Bd." Soll das nun heißen: „drei Bände" oder „dritter Band"? Wie wenige üben die kleine und doch so wichtige Genauigkeit, zu unterscheiden zwischen: „3. Bd." und „3 Bde." Auf den Punkt und auf das eine e kommt alles an. Unter drei Quittungen aber ist mindestens eine, die man an dieser Stelle bei der Annahme berichtigen muß. Ein unerschöpfliches Kapitel ist das über die Behandlung der Bücher. Kein Gegenstand ist so empfindlicher Natur, keiner bittet uns stillschweigend so flehentlich um Schonung wie das Buch, und doch wird mit nichts gewissen¬ loser verfahren als mit Büchern — mit fremden Büchern! Schon im Privat¬ verkehr kann jeder hier genügende Erfahrungen macheu. Wer hätte nicht schon von einer» guten Freunde nach Jahr und Tag ein Buch in einem Zustande zurückerhalten, daß er es auf den ersten Blick kaum als das seinige wiederer- kannte? Das Buch hat nicht im Straßenschlamm gelegen, es hat auch alle seiue Blätter noch, aber es ist merkwürdig unscheinbar geworden, die Farbe des Einbandes ist verschossen, Lederrücken und Lederecken sind bestoßen, ein einzelner Bogen ist im Band gelockert und ragt über den Schnitt heraus, auf einigen Blättern sind deutliche Glaeöhaudschuhfiugerspitzeuabdrücke zu sehen — kurz, es ist das alte Buch nicht mehr. Und doch hat unser guter Freund vielleicht das Buch sehr schonend behandelt. Wie ergeht es aber erst Büchern, die öffentliches Gut sind! Der schlimmste Feind der Bibliotheksbücher ist der Schmuz. Mit neuen Büchern nimmt das Publikum sich allenfalls zusammen. Ueber neue Bücher werden auch auf der Bibliothek anfangs alle Hände gehalten — denn das glaube man nur: der gerechte und vollkommene Bibliothekar betrachtet seine Bibliothek wie sein Eigenthum; er kann um seine eigenen Bücher nicht zärtlicher besorgt sein, als um das ihm anvertraute öffentliche Gut. Denen, die ein neu angeschafftes Buch zum ersten Male von der Bibliothek entführen, wird in irgend einer Form angedeutet, daß die besondere Vergünstigung, dies Buch zuerst entleihen zu dürfen, auch ganz besondere Verpflichtungen nach sich ziehe. Was hilft's? Nach einigen Wochen kommt das Buch zurück — über dein ursprünglich blanken Lederrücken liegt etwas wie ein dünner Schleier, der Ein¬ band fühlt sich feucht an, die frische Farbe des Schnitts ist, namentlich am, Fuße, verwischt — das Buch, gleicht einem Geldstück, das noch sehr schön nen aussieht, aber doch den Prägeglanz verloren hat, den es mit aus der Münze brachte. Einem zweiten, einem dritten Entleiher kann man es allenfalls noch¬ mals als „neu" auf die Seele binden, dann aber hat die Metamorphose, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/262>, abgerufen am 27.09.2024.