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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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des Betrügers Alexander stand das Denkmal des Schwärmers Peregrinus,
auch an diese knüpfte sich ein Orakel. Wodurch hatte er sich diese Verehrung
erworben? Durch eine Handlung der Verrücktheit würden wir sagen; dnrch
eine That des Heroismus, sagten viele seiner Zeitgenossen. Er hatte bei den
olympischen Spielen im Jahr 164 sich feierlich in die Flammen des Scheiter¬
haufens gestürzt, um dnrch sein Ende das Ideal der philosophischen Schule,
welcher er angehörte, der Cyniker, das Ideal bedürfnißlosen, freien Lebens
vollkommen darzustellen und als Jünger des Herakles, des Schutzpatrons der
Cyniker, auch sterbend zu erscheinen. Renommisterei und Schwärmerei lagen
dieser That zu Gründe. Uns kommt sie und ihre Beurtheilung in weiteren
Kreisen hier vor allein deshalb in Betracht, weil wir sie als Symptom einer
Geistesbestimmnng und Geistesrichtung erkennen müssen, welcher die Leitung
durch ein in sich gewisses und klares sittliches Gesetz und dnrch eine allgemein
maßgebende religiöse Gesammtanschauung verloren gegangen ist, und die einen
neuen Stützpunkt in Exzentrizitäten vergeblich zu gewinnen sucht.

Den Uebergang zu den historischen Darstellungen, welche sich ans die
christliche Welt beziehen, macht der Aufsatz: "Römische und griechische Urtheile
über das Christenthum." In demselben ist besonders werthvoll die präzise
Charakteristik der Stellung, welche die griechischen und römischen Schriftsteller
einnehmen. Der Satyriker Lucian, Epikuräer und Skeptiker, blickt verächtlich
auf das Christenthum als Schwärmerei und Aberglauben. Eingehender ur¬
theilt der Platoniker Celsus, er spricht dem Christenthum keineswegs alle
Wahrheit ab, aber soweit eine solche vorhanden ist, sieht er in ihr eine Ent¬
lehnung von heidnischer Weisheit, die hier dnrch Mißverständnis?, Entstel¬
lung und abergläubische Zusätze ihre Reinheit verloren habe. Christus und
seine Jünger sind ihm Gaukler und Betrüger. Er nimmt anch Anstoß an der
Lehre von der unmittelbaren Gemeinschaft Gottes mit den Menschen, welche
die zentrale Idee des Christenthums ist, da der Dualismus seines Systems ihr
entgegensteht. Er' wirft dem Christenthum ferner vor, daß es keinen nationalen
Charakter trage, er beschuldigt es endlich der Theilnahmlosigkeit an den öffent¬
lichen Angelegenheiten. Höher dachten die Neuplatoniker vom Christenthum,
Christus selbst ließen sie unangetastet, erkannten seine Frömmigkeit an und
behaupteten sogar, er habe die Götter angebetet und mit ihrer Hilfe Wunder
verrichtet. Erst von seinen Schülern seien die Irrthümer der christlichen Lehre
hervorgebracht worden. Die Polemik übten sie, wenigstens Porphyrius, mit
kritischen Mitteln, wie sie in neuerer Zeit angewandt worden sind. Einen
gehässigeren Charakter nahm die Bekämpfung des Christenthums erst wieder
in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts an, also in einer Zeit, in
welcher dieselbe eine Aussicht auf Sieg nicht mehr haben konnte.


des Betrügers Alexander stand das Denkmal des Schwärmers Peregrinus,
auch an diese knüpfte sich ein Orakel. Wodurch hatte er sich diese Verehrung
erworben? Durch eine Handlung der Verrücktheit würden wir sagen; dnrch
eine That des Heroismus, sagten viele seiner Zeitgenossen. Er hatte bei den
olympischen Spielen im Jahr 164 sich feierlich in die Flammen des Scheiter¬
haufens gestürzt, um dnrch sein Ende das Ideal der philosophischen Schule,
welcher er angehörte, der Cyniker, das Ideal bedürfnißlosen, freien Lebens
vollkommen darzustellen und als Jünger des Herakles, des Schutzpatrons der
Cyniker, auch sterbend zu erscheinen. Renommisterei und Schwärmerei lagen
dieser That zu Gründe. Uns kommt sie und ihre Beurtheilung in weiteren
Kreisen hier vor allein deshalb in Betracht, weil wir sie als Symptom einer
Geistesbestimmnng und Geistesrichtung erkennen müssen, welcher die Leitung
durch ein in sich gewisses und klares sittliches Gesetz und dnrch eine allgemein
maßgebende religiöse Gesammtanschauung verloren gegangen ist, und die einen
neuen Stützpunkt in Exzentrizitäten vergeblich zu gewinnen sucht.

Den Uebergang zu den historischen Darstellungen, welche sich ans die
christliche Welt beziehen, macht der Aufsatz: „Römische und griechische Urtheile
über das Christenthum." In demselben ist besonders werthvoll die präzise
Charakteristik der Stellung, welche die griechischen und römischen Schriftsteller
einnehmen. Der Satyriker Lucian, Epikuräer und Skeptiker, blickt verächtlich
auf das Christenthum als Schwärmerei und Aberglauben. Eingehender ur¬
theilt der Platoniker Celsus, er spricht dem Christenthum keineswegs alle
Wahrheit ab, aber soweit eine solche vorhanden ist, sieht er in ihr eine Ent¬
lehnung von heidnischer Weisheit, die hier dnrch Mißverständnis?, Entstel¬
lung und abergläubische Zusätze ihre Reinheit verloren habe. Christus und
seine Jünger sind ihm Gaukler und Betrüger. Er nimmt anch Anstoß an der
Lehre von der unmittelbaren Gemeinschaft Gottes mit den Menschen, welche
die zentrale Idee des Christenthums ist, da der Dualismus seines Systems ihr
entgegensteht. Er' wirft dem Christenthum ferner vor, daß es keinen nationalen
Charakter trage, er beschuldigt es endlich der Theilnahmlosigkeit an den öffent¬
lichen Angelegenheiten. Höher dachten die Neuplatoniker vom Christenthum,
Christus selbst ließen sie unangetastet, erkannten seine Frömmigkeit an und
behaupteten sogar, er habe die Götter angebetet und mit ihrer Hilfe Wunder
verrichtet. Erst von seinen Schülern seien die Irrthümer der christlichen Lehre
hervorgebracht worden. Die Polemik übten sie, wenigstens Porphyrius, mit
kritischen Mitteln, wie sie in neuerer Zeit angewandt worden sind. Einen
gehässigeren Charakter nahm die Bekämpfung des Christenthums erst wieder
in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts an, also in einer Zeit, in
welcher dieselbe eine Aussicht auf Sieg nicht mehr haben konnte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/226>, abgerufen am 19.10.2024.