Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

das Ergebniß einer langen und reichen Geschichte. Welch ein Unterschied
zwischen dem Bewohner des altgermanischen Blockhauses, der in grobes Wams
oder in Pelz gehüllt von seiner Schwelle hinaussah über die ode Haide und
den finstern Urwald, der manergleich seine Lichtung umgab, und dem vornehmen
Patricier Nürnbergs oder Augsburgs, der in reicher geschmackvoller Tracht unter
dem Portale eines Wunderbaues gothischer Architektur stand und das bunte
Leben ans Gasse und Markt würdig begutachtete! Um den deutschen Bauer,
der mit den römischen Kriegern des Varus oder Drusus raufte und von Rom
kaum etwas Anderes wußte, als daß dort unermeßlicher Goldschatz seit Jahr¬
hunderte" ungeplündert liege, in diesen Patricier zu verwandeln, welcher ein
elegantes Latein sprach und Venedig wie Florenz persönlich kannte, um das
Wunder zu Stande zu bringen, hatten Hunderttausende deutscher Krieger ihr
Leben gelassen gegen römische Legionen, hatten deutsche Könige ihre riesigen
Schaaren über die Alpen nach Rom und donauabwärts uach Konstantinopel
und Jerusalem geführt, hatten deutsche Bürger das wilde Nordmeer auf dick¬
bäuchigen Hochbordschiff durchfurcht und deutsche Bauern im Slavenlande den
Urwald gelichtet und den Sumpf getrocknet, hatten alle zu See und Land die
Volkskraft unermeßlich gesteigert und die Seele des Volkes erfüllt mit den
Bildern einer fremdartigen Welt.

Sank Deutschland von dieser Stufe technischer Cultur herab, sah es
England an seine Stelle treten, so war das wiederum nur ein Product der
gesummten Verhältnisse. Politische und kirchliche Kämpfe zerrissen unser Volk,
der Wohlstand schwand, die alte Herrschaft in: Reiche des Geistes ging verloren,
und mit diesen Bedingungen zerfiel der Untergrund technischer Blüthe. Da
übernahm England die Aufgaben, die Deutschland nicht mehr lösen konnte.
Sehr langsam und unter harten Kämpfen bildete sich durch die allmähliche
Verschmelzung grundverschiedener Elemente die englische Nationalität, die trotzdem
eine ganz einheitliche geworden ist, der englische Nativnalcharcckter, der zähe
Beharrlichkeit und kühnen Unternehmungsgeist, nüchternen Verstand und tiefes
Gemüth in sich vereinigt, die englische Verfassung, welche jeden Einzelnen und
jeden kleinen Kreis gewohnt, für sich selber sich zu entschließen. Im heißen
Ringen mit der spanisch-katholischen Weltmacht wird England zum Seestaat
und sichert sich seinen Protestantismus gegen äußere Bedrohung, aber der
Nation in Fleisch und Blut verwandelt wird er erst durch die bürgerlichen
und kirchlichen Kämpfe des 17. Jahrhunderts, welche gleichzeitig die constitutionelle
Monarchie und die Selbstverwaltung unzerbrechlich befestigen. Erst jetzt in
sich abgeschlossen und fertig, zudem durch die Auffindung Amerikas aus der
Peripherie in die Mitte des Welthandels gerückt, erringt sich das Volk im
1". Jahrhundert seiue Kolonialmacht und das "links Lriwnnia over etre >VÄVW"


das Ergebniß einer langen und reichen Geschichte. Welch ein Unterschied
zwischen dem Bewohner des altgermanischen Blockhauses, der in grobes Wams
oder in Pelz gehüllt von seiner Schwelle hinaussah über die ode Haide und
den finstern Urwald, der manergleich seine Lichtung umgab, und dem vornehmen
Patricier Nürnbergs oder Augsburgs, der in reicher geschmackvoller Tracht unter
dem Portale eines Wunderbaues gothischer Architektur stand und das bunte
Leben ans Gasse und Markt würdig begutachtete! Um den deutschen Bauer,
der mit den römischen Kriegern des Varus oder Drusus raufte und von Rom
kaum etwas Anderes wußte, als daß dort unermeßlicher Goldschatz seit Jahr¬
hunderte» ungeplündert liege, in diesen Patricier zu verwandeln, welcher ein
elegantes Latein sprach und Venedig wie Florenz persönlich kannte, um das
Wunder zu Stande zu bringen, hatten Hunderttausende deutscher Krieger ihr
Leben gelassen gegen römische Legionen, hatten deutsche Könige ihre riesigen
Schaaren über die Alpen nach Rom und donauabwärts uach Konstantinopel
und Jerusalem geführt, hatten deutsche Bürger das wilde Nordmeer auf dick¬
bäuchigen Hochbordschiff durchfurcht und deutsche Bauern im Slavenlande den
Urwald gelichtet und den Sumpf getrocknet, hatten alle zu See und Land die
Volkskraft unermeßlich gesteigert und die Seele des Volkes erfüllt mit den
Bildern einer fremdartigen Welt.

Sank Deutschland von dieser Stufe technischer Cultur herab, sah es
England an seine Stelle treten, so war das wiederum nur ein Product der
gesummten Verhältnisse. Politische und kirchliche Kämpfe zerrissen unser Volk,
der Wohlstand schwand, die alte Herrschaft in: Reiche des Geistes ging verloren,
und mit diesen Bedingungen zerfiel der Untergrund technischer Blüthe. Da
übernahm England die Aufgaben, die Deutschland nicht mehr lösen konnte.
Sehr langsam und unter harten Kämpfen bildete sich durch die allmähliche
Verschmelzung grundverschiedener Elemente die englische Nationalität, die trotzdem
eine ganz einheitliche geworden ist, der englische Nativnalcharcckter, der zähe
Beharrlichkeit und kühnen Unternehmungsgeist, nüchternen Verstand und tiefes
Gemüth in sich vereinigt, die englische Verfassung, welche jeden Einzelnen und
jeden kleinen Kreis gewohnt, für sich selber sich zu entschließen. Im heißen
Ringen mit der spanisch-katholischen Weltmacht wird England zum Seestaat
und sichert sich seinen Protestantismus gegen äußere Bedrohung, aber der
Nation in Fleisch und Blut verwandelt wird er erst durch die bürgerlichen
und kirchlichen Kämpfe des 17. Jahrhunderts, welche gleichzeitig die constitutionelle
Monarchie und die Selbstverwaltung unzerbrechlich befestigen. Erst jetzt in
sich abgeschlossen und fertig, zudem durch die Auffindung Amerikas aus der
Peripherie in die Mitte des Welthandels gerückt, erringt sich das Volk im
1». Jahrhundert seiue Kolonialmacht und das „links Lriwnnia over etre >VÄVW"


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0094" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138325"/>
          <p xml:id="ID_257" prev="#ID_256"> das Ergebniß einer langen und reichen Geschichte. Welch ein Unterschied<lb/>
zwischen dem Bewohner des altgermanischen Blockhauses, der in grobes Wams<lb/>
oder in Pelz gehüllt von seiner Schwelle hinaussah über die ode Haide und<lb/>
den finstern Urwald, der manergleich seine Lichtung umgab, und dem vornehmen<lb/>
Patricier Nürnbergs oder Augsburgs, der in reicher geschmackvoller Tracht unter<lb/>
dem Portale eines Wunderbaues gothischer Architektur stand und das bunte<lb/>
Leben ans Gasse und Markt würdig begutachtete! Um den deutschen Bauer,<lb/>
der mit den römischen Kriegern des Varus oder Drusus raufte und von Rom<lb/>
kaum etwas Anderes wußte, als daß dort unermeßlicher Goldschatz seit Jahr¬<lb/>
hunderte» ungeplündert liege, in diesen Patricier zu verwandeln, welcher ein<lb/>
elegantes Latein sprach und Venedig wie Florenz persönlich kannte, um das<lb/>
Wunder zu Stande zu bringen, hatten Hunderttausende deutscher Krieger ihr<lb/>
Leben gelassen gegen römische Legionen, hatten deutsche Könige ihre riesigen<lb/>
Schaaren über die Alpen nach Rom und donauabwärts uach Konstantinopel<lb/>
und Jerusalem geführt, hatten deutsche Bürger das wilde Nordmeer auf dick¬<lb/>
bäuchigen Hochbordschiff durchfurcht und deutsche Bauern im Slavenlande den<lb/>
Urwald gelichtet und den Sumpf getrocknet, hatten alle zu See und Land die<lb/>
Volkskraft unermeßlich gesteigert und die Seele des Volkes erfüllt mit den<lb/>
Bildern einer fremdartigen Welt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_258" next="#ID_259"> Sank Deutschland von dieser Stufe technischer Cultur herab, sah es<lb/>
England an seine Stelle treten, so war das wiederum nur ein Product der<lb/>
gesummten Verhältnisse. Politische und kirchliche Kämpfe zerrissen unser Volk,<lb/>
der Wohlstand schwand, die alte Herrschaft in: Reiche des Geistes ging verloren,<lb/>
und mit diesen Bedingungen zerfiel der Untergrund technischer Blüthe. Da<lb/>
übernahm England die Aufgaben, die Deutschland nicht mehr lösen konnte.<lb/>
Sehr langsam und unter harten Kämpfen bildete sich durch die allmähliche<lb/>
Verschmelzung grundverschiedener Elemente die englische Nationalität, die trotzdem<lb/>
eine ganz einheitliche geworden ist, der englische Nativnalcharcckter, der zähe<lb/>
Beharrlichkeit und kühnen Unternehmungsgeist, nüchternen Verstand und tiefes<lb/>
Gemüth in sich vereinigt, die englische Verfassung, welche jeden Einzelnen und<lb/>
jeden kleinen Kreis gewohnt, für sich selber sich zu entschließen. Im heißen<lb/>
Ringen mit der spanisch-katholischen Weltmacht wird England zum Seestaat<lb/>
und sichert sich seinen Protestantismus gegen äußere Bedrohung, aber der<lb/>
Nation in Fleisch und Blut verwandelt wird er erst durch die bürgerlichen<lb/>
und kirchlichen Kämpfe des 17. Jahrhunderts, welche gleichzeitig die constitutionelle<lb/>
Monarchie und die Selbstverwaltung unzerbrechlich befestigen. Erst jetzt in<lb/>
sich abgeschlossen und fertig, zudem durch die Auffindung Amerikas aus der<lb/>
Peripherie in die Mitte des Welthandels gerückt, erringt sich das Volk im<lb/>
1». Jahrhundert seiue Kolonialmacht und das &#x201E;links Lriwnnia over etre &gt;VÄVW"</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0094] das Ergebniß einer langen und reichen Geschichte. Welch ein Unterschied zwischen dem Bewohner des altgermanischen Blockhauses, der in grobes Wams oder in Pelz gehüllt von seiner Schwelle hinaussah über die ode Haide und den finstern Urwald, der manergleich seine Lichtung umgab, und dem vornehmen Patricier Nürnbergs oder Augsburgs, der in reicher geschmackvoller Tracht unter dem Portale eines Wunderbaues gothischer Architektur stand und das bunte Leben ans Gasse und Markt würdig begutachtete! Um den deutschen Bauer, der mit den römischen Kriegern des Varus oder Drusus raufte und von Rom kaum etwas Anderes wußte, als daß dort unermeßlicher Goldschatz seit Jahr¬ hunderte» ungeplündert liege, in diesen Patricier zu verwandeln, welcher ein elegantes Latein sprach und Venedig wie Florenz persönlich kannte, um das Wunder zu Stande zu bringen, hatten Hunderttausende deutscher Krieger ihr Leben gelassen gegen römische Legionen, hatten deutsche Könige ihre riesigen Schaaren über die Alpen nach Rom und donauabwärts uach Konstantinopel und Jerusalem geführt, hatten deutsche Bürger das wilde Nordmeer auf dick¬ bäuchigen Hochbordschiff durchfurcht und deutsche Bauern im Slavenlande den Urwald gelichtet und den Sumpf getrocknet, hatten alle zu See und Land die Volkskraft unermeßlich gesteigert und die Seele des Volkes erfüllt mit den Bildern einer fremdartigen Welt. Sank Deutschland von dieser Stufe technischer Cultur herab, sah es England an seine Stelle treten, so war das wiederum nur ein Product der gesummten Verhältnisse. Politische und kirchliche Kämpfe zerrissen unser Volk, der Wohlstand schwand, die alte Herrschaft in: Reiche des Geistes ging verloren, und mit diesen Bedingungen zerfiel der Untergrund technischer Blüthe. Da übernahm England die Aufgaben, die Deutschland nicht mehr lösen konnte. Sehr langsam und unter harten Kämpfen bildete sich durch die allmähliche Verschmelzung grundverschiedener Elemente die englische Nationalität, die trotzdem eine ganz einheitliche geworden ist, der englische Nativnalcharcckter, der zähe Beharrlichkeit und kühnen Unternehmungsgeist, nüchternen Verstand und tiefes Gemüth in sich vereinigt, die englische Verfassung, welche jeden Einzelnen und jeden kleinen Kreis gewohnt, für sich selber sich zu entschließen. Im heißen Ringen mit der spanisch-katholischen Weltmacht wird England zum Seestaat und sichert sich seinen Protestantismus gegen äußere Bedrohung, aber der Nation in Fleisch und Blut verwandelt wird er erst durch die bürgerlichen und kirchlichen Kämpfe des 17. Jahrhunderts, welche gleichzeitig die constitutionelle Monarchie und die Selbstverwaltung unzerbrechlich befestigen. Erst jetzt in sich abgeschlossen und fertig, zudem durch die Auffindung Amerikas aus der Peripherie in die Mitte des Welthandels gerückt, erringt sich das Volk im 1». Jahrhundert seiue Kolonialmacht und das „links Lriwnnia over etre >VÄVW"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/94
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/94>, abgerufen am 28.09.2024.