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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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zuführen. Man spricht von der Undankbarkeit der Mitwelt gegen große
Erfinder; es ist richtig, dem Franzosen Papin zerschlugen die Schiffer von
Münden sein kleines Dampfboot, mit dem er im Jahre 1707 von^Cassel herab
gefahren war, und Josef Resfel fand in seiner österreichischen Heimat für seine
Schiffsschraube keine Abnehmer; aber schwerlich war das Deutschland vom
Anfange des 18. Jahrhunderts oder das Metternich'sche Oesterreich der Boden
für Erfindungen, welche die gewaltigsten Hebel für den Aufschwung des Verkehrs
werden sollten. Erst als es galt auf den Riesenströmen des neuen Welttheils
Cultur und Gesittung über colossale Flächen auszubreiten, siegte Robert Fulton's
"Feuerschiff", und erst im meerbeherrschenden England regte sich das Bedürfniß,
eiuen neuen vollkommeneren Motor an die Stelle des bisherigen zu setzen.
Erfinder, welche keine Anerkennung sich erzwingen, kommen zu früh, oder sie
stehen am falschen Platze. Es ist nach alledem kein Zufall, daß die wissen¬
schaftlich und technisch am höchsten entwickelten Völker auch die bedeutendste
Geschichte hinter sich haben, oder um genauer zu reden, die reichste innere
Entwickelung durchgemacht haben; nach Außen hin kann ein Staat gewaltig
aufgetreten sein, kann weite Länderstrecken und ganze Reihen von Völkern
unter seine Herrschaft gebeugt haben und doch innerlich arm geblieben sein,
wie jene weiten Despotenreiche des Ostens, die im blutigen Glänze des Schlachten¬
ruhmes strahlten und doch kaum ein Samenkorn gestreut haben ans dem Felde
der Cultur.

So spielt Deutschland die hervorragende Rolle auch in wissenschaftlich¬
technischer Beziehung in der Uebergangsepoche vom Mittelalter zur Neuzeit.
Seine Baumeister übertreffen selbst die italienischen: von dem Deutschen Peter
Arler von Gmünd ließen die Mailänder den Wunderbau ihres weißen Marmor¬
domes aufführen, deutsche Waffenschmiede standen neben denen der Lombardei,
Deutsche erfanden das Schießpulver und die Buchdruckerkunst, die Nürnberger
Kartenzeichner waren seit Johann Regiomontanus die ersten der Welt. Aber
welch ein Land war auch, trotz arger politischer und socialer Gebrechen, das
Deutschland am Ende des 15. Jahrhunderts! Welche Aufgaben bot es, welche
materiellen Mittel, welches Bildungsbedürfniß regte sich hier! Bewundernd
schildert der Italiener Enea Silvio, der die Welt kannte von Edinburg bis
Neapel, den Reichthum und die Wehrhaftigkeit der Deutschen, voran der
deutsche" Städte, der wahrhaften Herde der Cultur: sie stellten die Aufgaben,
daher die großartigen Bauten; sie mußten sich schlagen wider Fürsten und
Adel, daher die Blüthe der Eisenindustrie und die Ausbildung der Feuergeschütze;
in ihnen waltet ein reges und allgemeines Bildungsbedürfniß, daher die wunder¬
gleiche Verbreitung und Vervollkommnung des Bücherdrucks. Und dieser
ganze Zustand, als dessen Ausdruck eine hochentwickelte Technik erscheint, war


zuführen. Man spricht von der Undankbarkeit der Mitwelt gegen große
Erfinder; es ist richtig, dem Franzosen Papin zerschlugen die Schiffer von
Münden sein kleines Dampfboot, mit dem er im Jahre 1707 von^Cassel herab
gefahren war, und Josef Resfel fand in seiner österreichischen Heimat für seine
Schiffsschraube keine Abnehmer; aber schwerlich war das Deutschland vom
Anfange des 18. Jahrhunderts oder das Metternich'sche Oesterreich der Boden
für Erfindungen, welche die gewaltigsten Hebel für den Aufschwung des Verkehrs
werden sollten. Erst als es galt auf den Riesenströmen des neuen Welttheils
Cultur und Gesittung über colossale Flächen auszubreiten, siegte Robert Fulton's
„Feuerschiff", und erst im meerbeherrschenden England regte sich das Bedürfniß,
eiuen neuen vollkommeneren Motor an die Stelle des bisherigen zu setzen.
Erfinder, welche keine Anerkennung sich erzwingen, kommen zu früh, oder sie
stehen am falschen Platze. Es ist nach alledem kein Zufall, daß die wissen¬
schaftlich und technisch am höchsten entwickelten Völker auch die bedeutendste
Geschichte hinter sich haben, oder um genauer zu reden, die reichste innere
Entwickelung durchgemacht haben; nach Außen hin kann ein Staat gewaltig
aufgetreten sein, kann weite Länderstrecken und ganze Reihen von Völkern
unter seine Herrschaft gebeugt haben und doch innerlich arm geblieben sein,
wie jene weiten Despotenreiche des Ostens, die im blutigen Glänze des Schlachten¬
ruhmes strahlten und doch kaum ein Samenkorn gestreut haben ans dem Felde
der Cultur.

So spielt Deutschland die hervorragende Rolle auch in wissenschaftlich¬
technischer Beziehung in der Uebergangsepoche vom Mittelalter zur Neuzeit.
Seine Baumeister übertreffen selbst die italienischen: von dem Deutschen Peter
Arler von Gmünd ließen die Mailänder den Wunderbau ihres weißen Marmor¬
domes aufführen, deutsche Waffenschmiede standen neben denen der Lombardei,
Deutsche erfanden das Schießpulver und die Buchdruckerkunst, die Nürnberger
Kartenzeichner waren seit Johann Regiomontanus die ersten der Welt. Aber
welch ein Land war auch, trotz arger politischer und socialer Gebrechen, das
Deutschland am Ende des 15. Jahrhunderts! Welche Aufgaben bot es, welche
materiellen Mittel, welches Bildungsbedürfniß regte sich hier! Bewundernd
schildert der Italiener Enea Silvio, der die Welt kannte von Edinburg bis
Neapel, den Reichthum und die Wehrhaftigkeit der Deutschen, voran der
deutsche» Städte, der wahrhaften Herde der Cultur: sie stellten die Aufgaben,
daher die großartigen Bauten; sie mußten sich schlagen wider Fürsten und
Adel, daher die Blüthe der Eisenindustrie und die Ausbildung der Feuergeschütze;
in ihnen waltet ein reges und allgemeines Bildungsbedürfniß, daher die wunder¬
gleiche Verbreitung und Vervollkommnung des Bücherdrucks. Und dieser
ganze Zustand, als dessen Ausdruck eine hochentwickelte Technik erscheint, war


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/93>, abgerufen am 21.10.2024.