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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Forscher als einem Sohne seiner Zeit und seines Volkes ein unbefangenes
Urtheil überhaupt nicht möglich. Wie anders auf dem andern Gebiet! Der
Physiker, der Chemiker hat seinen Gegenstand unmittelbar vor sich: fehlt es
ihm jetzt an vollständiger Erkenntniß, so mag er hoffen, dnrch Verbesserung
seines Verfahrens, seiner Instrumente doch dereinst dazu zu gelangen. Die
Schwierigkeiten:, die er zu bewältigen hat, liegen nicht sowohl in der Sache
als in der Methode.

Genuß treten da überall scharfe Gegensätze heraus, Gegensätze, die in den
Dingen selber begründet und deßhalb unausgleichbar sind.

Und doch können beide Richtungen menschlicher Geistesarbeit einander
nicht entbehren.

Freilich ist, so scheint es, der Historiker eher geneigt, dies anzuerkennen,
als der andere Theil. Insofern er weiß, daß der Mensch, dessen Geschichte er
erforscht, selbst als ein Glied der Natur auftritt und natürlichen Bedingungen
ebenso unterworfen ist, wie jedes andere Geschöpf, weiß er auch, daß
er der exacten Wissenschaft nicht entrathen kann; er ruft die Erdkunde zu
Hilfe, um die Verhältnisse des Bodens, auf dem einst eine große Entwickelung
sich vollzog, sich zu vergegenwärtigen; er befragt die Anthropologie, um den
Menschen als Naturwesen zu erkennen; er ersucht den Astronomen, ihm eine
historisch wichtige Finsterniß zu bestimmen oder vergangene chronologische
Systeme zu berechnen. Der aber, dessen Hilft er braucht und dankend an¬
nimmt, der Mann der exacten Wissenschaft, richtet ähnliche Fragen nur selten
an den Kollegen, und wenn ihn dieser etwa über die Vergangenheit seiner
eignen Wissenschaft aufklärt, so wird er das mit Dank anerkennen, aber viel¬
leicht doch im Grunde seines Herzens dies schätzbare Material, das des andern
Fleiß zu Tage gefördert, als für die eigne Forschung wesentlich gleichgiltig
betrachten.

Was scheint darnach eine technische Hochschule, welche ihre Zög¬
linge so ganz auf die Basis der exakten Wissenschaft stellt und sie in ihrem
Wirken so energisch auf die Gegenwart und die Praxis weist, mit historischen
Studien zu thun zu haben!

Wäre dies richtig, dann freilich hätten jene, welche diese Fächer in den
Bau der technischen Hochschulen eindringen ließen, ihm fremdartige Elemente
beigemischt, unnützes Schnvrlelwerk ihm aufgesetzt, und die, welche selber die
historische!! Studien in ihnen vertreten, würden vergeblich sich abmühen, Dinge
auf einen Boden zu pflanzen, anf dem sie nicht gedeihen können.

Ich denke doch, es ist anders; jene Studien sind ein lebendiges und noth¬
wendiges Glied in dem Organismus dieser Anstalten.

Ich sehe aber die Bedeutung der historischen Studien für technische Hoch-


Forscher als einem Sohne seiner Zeit und seines Volkes ein unbefangenes
Urtheil überhaupt nicht möglich. Wie anders auf dem andern Gebiet! Der
Physiker, der Chemiker hat seinen Gegenstand unmittelbar vor sich: fehlt es
ihm jetzt an vollständiger Erkenntniß, so mag er hoffen, dnrch Verbesserung
seines Verfahrens, seiner Instrumente doch dereinst dazu zu gelangen. Die
Schwierigkeiten:, die er zu bewältigen hat, liegen nicht sowohl in der Sache
als in der Methode.

Genuß treten da überall scharfe Gegensätze heraus, Gegensätze, die in den
Dingen selber begründet und deßhalb unausgleichbar sind.

Und doch können beide Richtungen menschlicher Geistesarbeit einander
nicht entbehren.

Freilich ist, so scheint es, der Historiker eher geneigt, dies anzuerkennen,
als der andere Theil. Insofern er weiß, daß der Mensch, dessen Geschichte er
erforscht, selbst als ein Glied der Natur auftritt und natürlichen Bedingungen
ebenso unterworfen ist, wie jedes andere Geschöpf, weiß er auch, daß
er der exacten Wissenschaft nicht entrathen kann; er ruft die Erdkunde zu
Hilfe, um die Verhältnisse des Bodens, auf dem einst eine große Entwickelung
sich vollzog, sich zu vergegenwärtigen; er befragt die Anthropologie, um den
Menschen als Naturwesen zu erkennen; er ersucht den Astronomen, ihm eine
historisch wichtige Finsterniß zu bestimmen oder vergangene chronologische
Systeme zu berechnen. Der aber, dessen Hilft er braucht und dankend an¬
nimmt, der Mann der exacten Wissenschaft, richtet ähnliche Fragen nur selten
an den Kollegen, und wenn ihn dieser etwa über die Vergangenheit seiner
eignen Wissenschaft aufklärt, so wird er das mit Dank anerkennen, aber viel¬
leicht doch im Grunde seines Herzens dies schätzbare Material, das des andern
Fleiß zu Tage gefördert, als für die eigne Forschung wesentlich gleichgiltig
betrachten.

Was scheint darnach eine technische Hochschule, welche ihre Zög¬
linge so ganz auf die Basis der exakten Wissenschaft stellt und sie in ihrem
Wirken so energisch auf die Gegenwart und die Praxis weist, mit historischen
Studien zu thun zu haben!

Wäre dies richtig, dann freilich hätten jene, welche diese Fächer in den
Bau der technischen Hochschulen eindringen ließen, ihm fremdartige Elemente
beigemischt, unnützes Schnvrlelwerk ihm aufgesetzt, und die, welche selber die
historische!! Studien in ihnen vertreten, würden vergeblich sich abmühen, Dinge
auf einen Boden zu pflanzen, anf dem sie nicht gedeihen können.

Ich denke doch, es ist anders; jene Studien sind ein lebendiges und noth¬
wendiges Glied in dem Organismus dieser Anstalten.

Ich sehe aber die Bedeutung der historischen Studien für technische Hoch-


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[0091] Forscher als einem Sohne seiner Zeit und seines Volkes ein unbefangenes Urtheil überhaupt nicht möglich. Wie anders auf dem andern Gebiet! Der Physiker, der Chemiker hat seinen Gegenstand unmittelbar vor sich: fehlt es ihm jetzt an vollständiger Erkenntniß, so mag er hoffen, dnrch Verbesserung seines Verfahrens, seiner Instrumente doch dereinst dazu zu gelangen. Die Schwierigkeiten:, die er zu bewältigen hat, liegen nicht sowohl in der Sache als in der Methode. Genuß treten da überall scharfe Gegensätze heraus, Gegensätze, die in den Dingen selber begründet und deßhalb unausgleichbar sind. Und doch können beide Richtungen menschlicher Geistesarbeit einander nicht entbehren. Freilich ist, so scheint es, der Historiker eher geneigt, dies anzuerkennen, als der andere Theil. Insofern er weiß, daß der Mensch, dessen Geschichte er erforscht, selbst als ein Glied der Natur auftritt und natürlichen Bedingungen ebenso unterworfen ist, wie jedes andere Geschöpf, weiß er auch, daß er der exacten Wissenschaft nicht entrathen kann; er ruft die Erdkunde zu Hilfe, um die Verhältnisse des Bodens, auf dem einst eine große Entwickelung sich vollzog, sich zu vergegenwärtigen; er befragt die Anthropologie, um den Menschen als Naturwesen zu erkennen; er ersucht den Astronomen, ihm eine historisch wichtige Finsterniß zu bestimmen oder vergangene chronologische Systeme zu berechnen. Der aber, dessen Hilft er braucht und dankend an¬ nimmt, der Mann der exacten Wissenschaft, richtet ähnliche Fragen nur selten an den Kollegen, und wenn ihn dieser etwa über die Vergangenheit seiner eignen Wissenschaft aufklärt, so wird er das mit Dank anerkennen, aber viel¬ leicht doch im Grunde seines Herzens dies schätzbare Material, das des andern Fleiß zu Tage gefördert, als für die eigne Forschung wesentlich gleichgiltig betrachten. Was scheint darnach eine technische Hochschule, welche ihre Zög¬ linge so ganz auf die Basis der exakten Wissenschaft stellt und sie in ihrem Wirken so energisch auf die Gegenwart und die Praxis weist, mit historischen Studien zu thun zu haben! Wäre dies richtig, dann freilich hätten jene, welche diese Fächer in den Bau der technischen Hochschulen eindringen ließen, ihm fremdartige Elemente beigemischt, unnützes Schnvrlelwerk ihm aufgesetzt, und die, welche selber die historische!! Studien in ihnen vertreten, würden vergeblich sich abmühen, Dinge auf einen Boden zu pflanzen, anf dem sie nicht gedeihen können. Ich denke doch, es ist anders; jene Studien sind ein lebendiges und noth¬ wendiges Glied in dem Organismus dieser Anstalten. Ich sehe aber die Bedeutung der historischen Studien für technische Hoch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/91>, abgerufen am 21.10.2024.