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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Amtes entsetzt wurde, ein Mann von ebenso gründlicher theologischer Gelehr¬
samkeit, als warmer und aufrichtiger Frömmigkeit. Petersen, der damals noch
in Eutin war, kam, sobald er den Vorfall vernahm:, nach Lübeck, um, wie er
sagt, doch wo möglich den armen Menschen loszukriegen. Er erhielt leicht die
Erlaubniß, den Günther in seinen: Gefängniß zu besuchen, und fand
sogleich an ihm einen Menschen, bei dem von einer Gotteslästerung auch im
Entferntesten nicht die Rede sein konnte. Er war der Erste, der dein armen
Günther mit Liebe entgegenkam, redete ihm freundlich zu und suchte ihn zu
belehren, daß er allerdings einen groben Irrthum sich habe zu Schulden kommen
lassen, indem seine frühere Vorstellung eine falsche gewesen sei, daß er aber
durch die Soeinianer in einen anderen Irrthum gerathen sei. Günther, bald
merkend, daß er einen Mann vor sich habe, der in seinem innersten Wesen
ihn verstand, faßte ein Herz zu ihm, sprach sich unverhohlen aus, nahm Be¬
lehrung willig an und äußerte sich auf eine Weise, daß der Gerichtsaktnarius,
welcher zugegen war, äußerte: wenn Günther sich früher so erklärt hätte, so
wäre er niemals in die Büttelei gesetzt worden. Voll Freude ging Petersen
darauf zu dem Bürgermeister Rerkring, legte ihm den ganzen Zustand Günther's
und seine letzten Aeußerungen dar und stellte ihm eindringlich vor, welche
himmelschreiende Ungerechtigkeit man begehen würde, wenn man den armen
Menschen hinrichtete um eiues Verbrechens willen, das ihm nie in den Sinn
gekommen. Der Bürgermeister Rerkring ließ darauf auch dem Gefangenen
eine bessere Wohnung anweisen und schickte ihm weiße Wäsche. Er sowie
einige andere Mitglieder des Senates scheinen die Absicht gehabt zu haben,
die Sache gänzlich niederzuschlagen. Wenigstens wurde mit Günther unter¬
handelt, daß er fern von Lübeck wegziehen solle, wozu sich dieser natürlich
bereit erklärte.

Mit der Hoffnung, den armen Menschen gerettet zu haben, ging Petersen
nach Eutin zurück. Unterdessen aber ward von allen Kanzeln herab mit einer
solchen Heftigkeit gegen den Ketzer gepredigt, und die Obrigkeit theils der
Saumseligkeit und Gleichgültigkeit beschuldigt, theils zur schleunigen Bestrafung
des Verbrechers auf das dringendste aufgefordert, so daß die milder Gesinnten
nicht durchzudringen vermochten. -- Es erschien daher im August des Jahres
1688 ein Urtheil folgenden Inhalts: Wird Peter Günther beschuldigt, daß,
als er sich bei dem von den Schmiedegesellen gehaltenen Krugtage mit denselben
der Religion halber in Diskurs eingelassen, diese abscheulichen gotteslästerlichen
Worte ausgestoßen: Die Jesuiten haben den verfluchten Jesum zum Abgott gemacht.
Ob er nun wohl dessen nicht geständig sein will, sondern behauptet, die Worte seien
also gewesen: Die Jesuiten, die verfluchten Schelme und Diebe, haben unseren
Herrn Gott die Ehre abgestohlen, -- daneben vorschützt, daß er trunken und


Amtes entsetzt wurde, ein Mann von ebenso gründlicher theologischer Gelehr¬
samkeit, als warmer und aufrichtiger Frömmigkeit. Petersen, der damals noch
in Eutin war, kam, sobald er den Vorfall vernahm:, nach Lübeck, um, wie er
sagt, doch wo möglich den armen Menschen loszukriegen. Er erhielt leicht die
Erlaubniß, den Günther in seinen: Gefängniß zu besuchen, und fand
sogleich an ihm einen Menschen, bei dem von einer Gotteslästerung auch im
Entferntesten nicht die Rede sein konnte. Er war der Erste, der dein armen
Günther mit Liebe entgegenkam, redete ihm freundlich zu und suchte ihn zu
belehren, daß er allerdings einen groben Irrthum sich habe zu Schulden kommen
lassen, indem seine frühere Vorstellung eine falsche gewesen sei, daß er aber
durch die Soeinianer in einen anderen Irrthum gerathen sei. Günther, bald
merkend, daß er einen Mann vor sich habe, der in seinem innersten Wesen
ihn verstand, faßte ein Herz zu ihm, sprach sich unverhohlen aus, nahm Be¬
lehrung willig an und äußerte sich auf eine Weise, daß der Gerichtsaktnarius,
welcher zugegen war, äußerte: wenn Günther sich früher so erklärt hätte, so
wäre er niemals in die Büttelei gesetzt worden. Voll Freude ging Petersen
darauf zu dem Bürgermeister Rerkring, legte ihm den ganzen Zustand Günther's
und seine letzten Aeußerungen dar und stellte ihm eindringlich vor, welche
himmelschreiende Ungerechtigkeit man begehen würde, wenn man den armen
Menschen hinrichtete um eiues Verbrechens willen, das ihm nie in den Sinn
gekommen. Der Bürgermeister Rerkring ließ darauf auch dem Gefangenen
eine bessere Wohnung anweisen und schickte ihm weiße Wäsche. Er sowie
einige andere Mitglieder des Senates scheinen die Absicht gehabt zu haben,
die Sache gänzlich niederzuschlagen. Wenigstens wurde mit Günther unter¬
handelt, daß er fern von Lübeck wegziehen solle, wozu sich dieser natürlich
bereit erklärte.

Mit der Hoffnung, den armen Menschen gerettet zu haben, ging Petersen
nach Eutin zurück. Unterdessen aber ward von allen Kanzeln herab mit einer
solchen Heftigkeit gegen den Ketzer gepredigt, und die Obrigkeit theils der
Saumseligkeit und Gleichgültigkeit beschuldigt, theils zur schleunigen Bestrafung
des Verbrechers auf das dringendste aufgefordert, so daß die milder Gesinnten
nicht durchzudringen vermochten. — Es erschien daher im August des Jahres
1688 ein Urtheil folgenden Inhalts: Wird Peter Günther beschuldigt, daß,
als er sich bei dem von den Schmiedegesellen gehaltenen Krugtage mit denselben
der Religion halber in Diskurs eingelassen, diese abscheulichen gotteslästerlichen
Worte ausgestoßen: Die Jesuiten haben den verfluchten Jesum zum Abgott gemacht.
Ob er nun wohl dessen nicht geständig sein will, sondern behauptet, die Worte seien
also gewesen: Die Jesuiten, die verfluchten Schelme und Diebe, haben unseren
Herrn Gott die Ehre abgestohlen, — daneben vorschützt, daß er trunken und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/83>, abgerufen am 28.09.2024.