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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Erfahrungen des Lebens mögen ihn zum Nachdenken über sich selbst ange¬
trieben haben.

In seinem Gewissen geängstigt, erkannte er, auf wie schlechtem Wege er
war, und faßte den Vorsatz, von nun an ein anderer Mensch zu werden und
nicht mehr mit dem Uebrigen in der Gilde sich dem unordentlichen Leben
hinzugeben. In dieser Stimmung reiste er nach Danzig. Er glaubte hier nicht
besser für sein dunkel gefühltes Bedürfniß Befriedigung finden und für das
Heil seiner Seele sorgen zu können, als wenn er die Bekanntschaft der Jesuiten
suchte, weil er meinte und man ihm gesagt hatte, daß sie von Jesu herkämen.
Er fand Arbeit in ihrem Kloster und hoffte nun, bei ihnen sowohl Ruhe für
sein geängstigtes Gewissen, als anch eine Unterweisung zu erhalten, wie er
ein besserer Mensch werden könne. Da er aber nach und nach ein gottloses
Leben und viele schlechte Dinge an ihnen wahrnahm, ward er irre an ihnen,
und da er in der Geschichte des Christenthums nicht bewandert war, um ein¬
zusehen, wie es mit jener vermeintlichen Abstammung der Jesuiten von Jesu
eigentlich beschaffen sei, so war wohl der Schluß sehr natürlich, daß, wenn
solche Schelme von Jesu herkämen, er selbst auch nicht der fein könne, für den
Günther ihn bisher gehalten hatte; ja, er fing an ungewiß zu werden, ob es
auch wohl überhaupt einen Jesu gegeben habe. Zu tief und zu erregt, um
die ganze Sache dahingestellt sein zu lassen und es sich aus dem Sinne zu
schlagen, gequält von furchtbaren Zweifeln, verließ Günther das Kloster und
begab sich zu einem den Soeinianern angehörenden Kleinschmied. Diese Seete
scheint sehr wohlthätig ans ihn gewirkt zu haben. Die Soeinianer beruhigten
ihn nicht nur in seinem Gewissen und belehrten ihn über die wichtigsten An¬
gelegenheiten des Geistes und Herzens, sondern sie konnten auch auf seine ange¬
strebte Besserung um so mehr Einfluß haben, als er an ihnen selbst nur ein
sittliches und ernstes Leben wahrnahm. Allein leider nicht zufrieden damit,
ihm behülflich zu sein, ein guter Christ zu werden, wollten sie ihn auch zu
einem Soeinianer machen und benutzten absichtlich oder unbewußt Günther's
Beschränktheit und seinen Abscheu vor den Jesuiten, um ihm Alles, was mit
ihrer eigenen individuellen Ueberzeugung nicht übereinstimmte, als jesuitische
Betrügerei und von Jesuiten Ersonnenes darzustellen.

Woraus überhaupt die meisten, wo nicht alle Sekten der christlichen
Kirche entsprungen sind, das war auch die Quelle des Socinimnsmus, nämlich
Einseitigkeit, einseitige Auffassung der christlichen Lehre. Bei einer Sache, die
so tief und umfassend und eben darum so schwer zu durchdringen ist, wie das
Christenthum, liegt, bei der Verschiedenheit der menschlichen Erkenntniszkrüfte,
bei den verschiedenen herrschenden Geistesrichtungen, bei den besonderen Gegen¬
sätzen, die zu einer bestimmten Zeit vorhanden sind, bei den Irrthümern, denen


Erfahrungen des Lebens mögen ihn zum Nachdenken über sich selbst ange¬
trieben haben.

In seinem Gewissen geängstigt, erkannte er, auf wie schlechtem Wege er
war, und faßte den Vorsatz, von nun an ein anderer Mensch zu werden und
nicht mehr mit dem Uebrigen in der Gilde sich dem unordentlichen Leben
hinzugeben. In dieser Stimmung reiste er nach Danzig. Er glaubte hier nicht
besser für sein dunkel gefühltes Bedürfniß Befriedigung finden und für das
Heil seiner Seele sorgen zu können, als wenn er die Bekanntschaft der Jesuiten
suchte, weil er meinte und man ihm gesagt hatte, daß sie von Jesu herkämen.
Er fand Arbeit in ihrem Kloster und hoffte nun, bei ihnen sowohl Ruhe für
sein geängstigtes Gewissen, als anch eine Unterweisung zu erhalten, wie er
ein besserer Mensch werden könne. Da er aber nach und nach ein gottloses
Leben und viele schlechte Dinge an ihnen wahrnahm, ward er irre an ihnen,
und da er in der Geschichte des Christenthums nicht bewandert war, um ein¬
zusehen, wie es mit jener vermeintlichen Abstammung der Jesuiten von Jesu
eigentlich beschaffen sei, so war wohl der Schluß sehr natürlich, daß, wenn
solche Schelme von Jesu herkämen, er selbst auch nicht der fein könne, für den
Günther ihn bisher gehalten hatte; ja, er fing an ungewiß zu werden, ob es
auch wohl überhaupt einen Jesu gegeben habe. Zu tief und zu erregt, um
die ganze Sache dahingestellt sein zu lassen und es sich aus dem Sinne zu
schlagen, gequält von furchtbaren Zweifeln, verließ Günther das Kloster und
begab sich zu einem den Soeinianern angehörenden Kleinschmied. Diese Seete
scheint sehr wohlthätig ans ihn gewirkt zu haben. Die Soeinianer beruhigten
ihn nicht nur in seinem Gewissen und belehrten ihn über die wichtigsten An¬
gelegenheiten des Geistes und Herzens, sondern sie konnten auch auf seine ange¬
strebte Besserung um so mehr Einfluß haben, als er an ihnen selbst nur ein
sittliches und ernstes Leben wahrnahm. Allein leider nicht zufrieden damit,
ihm behülflich zu sein, ein guter Christ zu werden, wollten sie ihn auch zu
einem Soeinianer machen und benutzten absichtlich oder unbewußt Günther's
Beschränktheit und seinen Abscheu vor den Jesuiten, um ihm Alles, was mit
ihrer eigenen individuellen Ueberzeugung nicht übereinstimmte, als jesuitische
Betrügerei und von Jesuiten Ersonnenes darzustellen.

Woraus überhaupt die meisten, wo nicht alle Sekten der christlichen
Kirche entsprungen sind, das war auch die Quelle des Socinimnsmus, nämlich
Einseitigkeit, einseitige Auffassung der christlichen Lehre. Bei einer Sache, die
so tief und umfassend und eben darum so schwer zu durchdringen ist, wie das
Christenthum, liegt, bei der Verschiedenheit der menschlichen Erkenntniszkrüfte,
bei den verschiedenen herrschenden Geistesrichtungen, bei den besonderen Gegen¬
sätzen, die zu einer bestimmten Zeit vorhanden sind, bei den Irrthümern, denen


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[0077] Erfahrungen des Lebens mögen ihn zum Nachdenken über sich selbst ange¬ trieben haben. In seinem Gewissen geängstigt, erkannte er, auf wie schlechtem Wege er war, und faßte den Vorsatz, von nun an ein anderer Mensch zu werden und nicht mehr mit dem Uebrigen in der Gilde sich dem unordentlichen Leben hinzugeben. In dieser Stimmung reiste er nach Danzig. Er glaubte hier nicht besser für sein dunkel gefühltes Bedürfniß Befriedigung finden und für das Heil seiner Seele sorgen zu können, als wenn er die Bekanntschaft der Jesuiten suchte, weil er meinte und man ihm gesagt hatte, daß sie von Jesu herkämen. Er fand Arbeit in ihrem Kloster und hoffte nun, bei ihnen sowohl Ruhe für sein geängstigtes Gewissen, als anch eine Unterweisung zu erhalten, wie er ein besserer Mensch werden könne. Da er aber nach und nach ein gottloses Leben und viele schlechte Dinge an ihnen wahrnahm, ward er irre an ihnen, und da er in der Geschichte des Christenthums nicht bewandert war, um ein¬ zusehen, wie es mit jener vermeintlichen Abstammung der Jesuiten von Jesu eigentlich beschaffen sei, so war wohl der Schluß sehr natürlich, daß, wenn solche Schelme von Jesu herkämen, er selbst auch nicht der fein könne, für den Günther ihn bisher gehalten hatte; ja, er fing an ungewiß zu werden, ob es auch wohl überhaupt einen Jesu gegeben habe. Zu tief und zu erregt, um die ganze Sache dahingestellt sein zu lassen und es sich aus dem Sinne zu schlagen, gequält von furchtbaren Zweifeln, verließ Günther das Kloster und begab sich zu einem den Soeinianern angehörenden Kleinschmied. Diese Seete scheint sehr wohlthätig ans ihn gewirkt zu haben. Die Soeinianer beruhigten ihn nicht nur in seinem Gewissen und belehrten ihn über die wichtigsten An¬ gelegenheiten des Geistes und Herzens, sondern sie konnten auch auf seine ange¬ strebte Besserung um so mehr Einfluß haben, als er an ihnen selbst nur ein sittliches und ernstes Leben wahrnahm. Allein leider nicht zufrieden damit, ihm behülflich zu sein, ein guter Christ zu werden, wollten sie ihn auch zu einem Soeinianer machen und benutzten absichtlich oder unbewußt Günther's Beschränktheit und seinen Abscheu vor den Jesuiten, um ihm Alles, was mit ihrer eigenen individuellen Ueberzeugung nicht übereinstimmte, als jesuitische Betrügerei und von Jesuiten Ersonnenes darzustellen. Woraus überhaupt die meisten, wo nicht alle Sekten der christlichen Kirche entsprungen sind, das war auch die Quelle des Socinimnsmus, nämlich Einseitigkeit, einseitige Auffassung der christlichen Lehre. Bei einer Sache, die so tief und umfassend und eben darum so schwer zu durchdringen ist, wie das Christenthum, liegt, bei der Verschiedenheit der menschlichen Erkenntniszkrüfte, bei den verschiedenen herrschenden Geistesrichtungen, bei den besonderen Gegen¬ sätzen, die zu einer bestimmten Zeit vorhanden sind, bei den Irrthümern, denen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/77>, abgerufen am 21.10.2024.