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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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man sich vorzüglich entgegenstellt, eine Verschiedenheit der Ansichten über einzelne
Punkte ganz in der Natur der Sache. Sowie aber eine Partei sich findet, die ihre
individuelle Ueberzeugung über irgend einen einzelnen Gegenstand, zur objektiven
Wahrheit erhebt, oder gar nur ihre besondere Art und Weise, eine Sache im
Begriffe darzustellen, zur allgemein gültigen machen will, diese besonders scharf
hervorhebt, sie als Maßstab an Anderer Ueberzeugung anlegt, da entsteht noth¬
wendig eine Sekte. Das war auch der Fall bei den Soeinianern. Der Stifter
dieser Sekte, Laelins Svcinus, ein äußerst talentvoller, tiefer Mensch und vielleicht
unter alleu Soeinianern der einzige originelle Mann, ans dessen Individualität
und Leben ihre Lehre richtig verstanden werden kann, war Rechtsge¬
lehrter, und unleugbar ist die einseitige juristische Ansicht von dem Verhält¬
nisse Gottes zur Welt, von der er ausging, der Mittelpunkt seines ganzen
Systems und die Quelle, aus der alle seine Abweichungen von der christlichen
Lehre hergeleitet werden müssen. Um das kanonische Recht aus seiner Quelle
kennen zu lernen, studirte Laelius die Bibel. Die Willkür, die Zusätze, die
Menge offenbarer Widersprüche mit der heiligen Schrift, die er in dem Päpst¬
lichen Kirchenrechte fand, trieben seinen forschenden Geist, das ganze kirchliche
Lehrgebände einer sorgfältigen Prüfung zu unterwerfen. Seine Bekanntschaft
mit dem großen Calvin und vielen Theologen der lutherischen und refor-
mirten Kirche leistete ihm wesentliche Dienste. Jm Wesentlichen stimmte er
völlig mit den Reformatoren überein; allein er beging den Fehler, daß er, von
einem einmal aufgefaßten Gesichtspunkte ausgehend, Gott nur als Gesetzgeber
betrachtend, alles, was sich uicht aus diesem Prinzipe entwickeln ließ, als un¬
christlich verwarf. Da er damit eine unbegrenzte Hochachtung vor der Bibel
verband, so mußte er natürlich in jene widersinnige, mit der Klarheit dieses
Mannes ganz unvereinbare Auslegungsart verfallen, wie wir sie bei den
Soeinianern finden. Svein hatte es bei seiner Prüfung des kirchlichen Lehr¬
begriffes zunächst zu thun mit den Bekenntnißschriften der älteren Kirche, die
jedoch, wie jede Dogmatik, nichts Anderes sind, als ein menschlicher
Versuch, .das, was als Thatsache oder unmittelbares Zeugniß von unfehlbaren
Dingen gegeben ist und den ganzen Menschen in Anspruch nimmt, dnrch die
Sprache des Verstandes als Wissenschaft darzustellen. Wie weit solche Ver¬
suche gelungen sind oder gelingen können, mag dahingestellt sein. Soviel in¬
dessen lehrt die Erfahrung, daß über Abstraktionen des Verstandes, deren
Wahrheit einzig auf der Richtigkeit der Schlußfolgerungen beruht, noch nie
mehrere Menschen sich völlig vereinigt haben. Dazu kam aber besonders, daß
Svein's scharfem Verstände die Schwächen und Blößen der älteren kirchlichen
Symbole, besonders in den Bestimmungen derselben über die Trinitätslehre,
nicht entgehen konnten. Denn die älteren Kirchenlehrer hatten, um eine dog-


man sich vorzüglich entgegenstellt, eine Verschiedenheit der Ansichten über einzelne
Punkte ganz in der Natur der Sache. Sowie aber eine Partei sich findet, die ihre
individuelle Ueberzeugung über irgend einen einzelnen Gegenstand, zur objektiven
Wahrheit erhebt, oder gar nur ihre besondere Art und Weise, eine Sache im
Begriffe darzustellen, zur allgemein gültigen machen will, diese besonders scharf
hervorhebt, sie als Maßstab an Anderer Ueberzeugung anlegt, da entsteht noth¬
wendig eine Sekte. Das war auch der Fall bei den Soeinianern. Der Stifter
dieser Sekte, Laelins Svcinus, ein äußerst talentvoller, tiefer Mensch und vielleicht
unter alleu Soeinianern der einzige originelle Mann, ans dessen Individualität
und Leben ihre Lehre richtig verstanden werden kann, war Rechtsge¬
lehrter, und unleugbar ist die einseitige juristische Ansicht von dem Verhält¬
nisse Gottes zur Welt, von der er ausging, der Mittelpunkt seines ganzen
Systems und die Quelle, aus der alle seine Abweichungen von der christlichen
Lehre hergeleitet werden müssen. Um das kanonische Recht aus seiner Quelle
kennen zu lernen, studirte Laelius die Bibel. Die Willkür, die Zusätze, die
Menge offenbarer Widersprüche mit der heiligen Schrift, die er in dem Päpst¬
lichen Kirchenrechte fand, trieben seinen forschenden Geist, das ganze kirchliche
Lehrgebände einer sorgfältigen Prüfung zu unterwerfen. Seine Bekanntschaft
mit dem großen Calvin und vielen Theologen der lutherischen und refor-
mirten Kirche leistete ihm wesentliche Dienste. Jm Wesentlichen stimmte er
völlig mit den Reformatoren überein; allein er beging den Fehler, daß er, von
einem einmal aufgefaßten Gesichtspunkte ausgehend, Gott nur als Gesetzgeber
betrachtend, alles, was sich uicht aus diesem Prinzipe entwickeln ließ, als un¬
christlich verwarf. Da er damit eine unbegrenzte Hochachtung vor der Bibel
verband, so mußte er natürlich in jene widersinnige, mit der Klarheit dieses
Mannes ganz unvereinbare Auslegungsart verfallen, wie wir sie bei den
Soeinianern finden. Svein hatte es bei seiner Prüfung des kirchlichen Lehr¬
begriffes zunächst zu thun mit den Bekenntnißschriften der älteren Kirche, die
jedoch, wie jede Dogmatik, nichts Anderes sind, als ein menschlicher
Versuch, .das, was als Thatsache oder unmittelbares Zeugniß von unfehlbaren
Dingen gegeben ist und den ganzen Menschen in Anspruch nimmt, dnrch die
Sprache des Verstandes als Wissenschaft darzustellen. Wie weit solche Ver¬
suche gelungen sind oder gelingen können, mag dahingestellt sein. Soviel in¬
dessen lehrt die Erfahrung, daß über Abstraktionen des Verstandes, deren
Wahrheit einzig auf der Richtigkeit der Schlußfolgerungen beruht, noch nie
mehrere Menschen sich völlig vereinigt haben. Dazu kam aber besonders, daß
Svein's scharfem Verstände die Schwächen und Blößen der älteren kirchlichen
Symbole, besonders in den Bestimmungen derselben über die Trinitätslehre,
nicht entgehen konnten. Denn die älteren Kirchenlehrer hatten, um eine dog-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/78>, abgerufen am 28.09.2024.