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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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diese Erlaubniß erst einige Wochen später, nachdem der,/I^oäniK lekku-sti"
(Medizinische Wochenschrift), welche der Censur nicht unterliegt, die Blausäure
"1<>ol>.8 pruski" genannt hatte.

Ein anderes Mal brachte der Chefredaeteur der "KaMtii. 'AarWg.nKki."
einen laugen Artikel ans einer in allen Conditoreien Warschaus aufliegenden
deutschen Zeitung. Der Censor strich diesen im deutschen Blatte nicht
beanstandeten Artikel im Correeturbogen aus und schlug dem Redacteur als
dieser ihn frug, woher er denn in aller Eile statt dieses langen Artikels einen
anderen nehmen solle, vor, daß er doch einen Artikel über "die große See¬
schlange" bringen möge.

Ein Druckfehler kann nnter russischer Herrschaft die Veranlassung zur
Unterdrückung eines Blattes werden, wie dies die "(Z^Me-z, ?0itmng," (Morgen¬
zeitung) an sich erfahren hat. Sie brachte eines Tages an der Spitze ihrer
Mittheilungen die frohe Nachricht, daß "Ihre Majestät die Kaiserin Königin
allergnädigst geruht habe, Warschau, ohne sich aufzuhalten, zu passiren und
ins Ausland zu reisen". In diesen Satz schlich sich ein Druckfehler ein, der
für das Blatt verderblich wurde, "Königin" heißt nämlich anf Polnisch
"Krolong."; durch Zufall fehlten in diesem Worte die Buchstaben "ol", es
entstand das Wort "IQ-ora", Kuh, was selbst der Censor übersehen hatte,
dem ja jede periodische Zeitschrift in Correetnrfahnen vorgelegt wird. Erst die
Polizei entdeckte den unheilvollen Fehler und unterdrückte fofort das Blatt.

Schon diese wenigen Fälle dürften genügen, um zu beweisen, daß ein
politisches Blatt in Polen keine politische Färbung haben kann. Deßhalb
enthalten sie vielmehr unendlich lange Leaders über Straßenpflasterungen und
Pferdeeisenbahnen, über Hypothekeukredit und Feuerversicheruugsgesellschaften,
über die Nothwendigkeit der Asphaltiruug der Straßen, oder, -- wenn es hoch
kommt, -- über die Mißgriffe einer auswärtigen Regierung in Bezug auf eine
Administrativmaßregel. Für gewöhnlich bilden den politischen Theil kurze
Auszüge aus deutscheu, französischen, englischen und russischen Zeitungen, wobei
die Quelle immer angegeben werden muß. Hierauf folgen Correspondenzen,
welche sich immer fern von der Politik halten, oder doch höchstens sich tadelnd
über irgend einen Feind Rußlands auslassen. Regierungsverfügungen nehmen
ganze Spalten ein und eben so lang sind die kirchlichen Nachrichten. Dem
Theater, dem Ballette und der Oper, so wie überherhaupt den öffentlichen
Vergnügungen, wird ein bedeutender Raum angewiesen, und den Rest bilden
kleine, bedeutungslose Lokalnotizen. Dieses das Bild der unter russischer
Herrschaft erscheinenden "politischen" Presse, der es natürlich auch nicht erlaubt
ist, auf religiösem Gebiete offen aufzutreten.

Unter der gleichem Censur stehen natürlich auch die Familienwochenblätter,


Grenzbote" tu. 1877. !>

diese Erlaubniß erst einige Wochen später, nachdem der,/I^oäniK lekku-sti"
(Medizinische Wochenschrift), welche der Censur nicht unterliegt, die Blausäure
„1<>ol>.8 pruski" genannt hatte.

Ein anderes Mal brachte der Chefredaeteur der „KaMtii. 'AarWg.nKki."
einen laugen Artikel ans einer in allen Conditoreien Warschaus aufliegenden
deutschen Zeitung. Der Censor strich diesen im deutschen Blatte nicht
beanstandeten Artikel im Correeturbogen aus und schlug dem Redacteur als
dieser ihn frug, woher er denn in aller Eile statt dieses langen Artikels einen
anderen nehmen solle, vor, daß er doch einen Artikel über „die große See¬
schlange" bringen möge.

Ein Druckfehler kann nnter russischer Herrschaft die Veranlassung zur
Unterdrückung eines Blattes werden, wie dies die „(Z^Me-z, ?0itmng," (Morgen¬
zeitung) an sich erfahren hat. Sie brachte eines Tages an der Spitze ihrer
Mittheilungen die frohe Nachricht, daß „Ihre Majestät die Kaiserin Königin
allergnädigst geruht habe, Warschau, ohne sich aufzuhalten, zu passiren und
ins Ausland zu reisen". In diesen Satz schlich sich ein Druckfehler ein, der
für das Blatt verderblich wurde, „Königin" heißt nämlich anf Polnisch
„Krolong."; durch Zufall fehlten in diesem Worte die Buchstaben „ol", es
entstand das Wort „IQ-ora», Kuh, was selbst der Censor übersehen hatte,
dem ja jede periodische Zeitschrift in Correetnrfahnen vorgelegt wird. Erst die
Polizei entdeckte den unheilvollen Fehler und unterdrückte fofort das Blatt.

Schon diese wenigen Fälle dürften genügen, um zu beweisen, daß ein
politisches Blatt in Polen keine politische Färbung haben kann. Deßhalb
enthalten sie vielmehr unendlich lange Leaders über Straßenpflasterungen und
Pferdeeisenbahnen, über Hypothekeukredit und Feuerversicheruugsgesellschaften,
über die Nothwendigkeit der Asphaltiruug der Straßen, oder, — wenn es hoch
kommt, — über die Mißgriffe einer auswärtigen Regierung in Bezug auf eine
Administrativmaßregel. Für gewöhnlich bilden den politischen Theil kurze
Auszüge aus deutscheu, französischen, englischen und russischen Zeitungen, wobei
die Quelle immer angegeben werden muß. Hierauf folgen Correspondenzen,
welche sich immer fern von der Politik halten, oder doch höchstens sich tadelnd
über irgend einen Feind Rußlands auslassen. Regierungsverfügungen nehmen
ganze Spalten ein und eben so lang sind die kirchlichen Nachrichten. Dem
Theater, dem Ballette und der Oper, so wie überherhaupt den öffentlichen
Vergnügungen, wird ein bedeutender Raum angewiesen, und den Rest bilden
kleine, bedeutungslose Lokalnotizen. Dieses das Bild der unter russischer
Herrschaft erscheinenden „politischen" Presse, der es natürlich auch nicht erlaubt
ist, auf religiösem Gebiete offen aufzutreten.

Unter der gleichem Censur stehen natürlich auch die Familienwochenblätter,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/73>, abgerufen am 28.09.2024.