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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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der Frackjesuiten, da die Kirche selbst kein Geld dafür hergeben will. Der
Inseratenteil des echt katholischen Blattes hat eine Eigenthümlichkeit, die be¬
zeichnend ist. Er nimmt nämlich kein Inserat eines Restaurateurs auf, wenn
derselbe für den Freitag und Sonnabend, oder sonst einen von der Kirche ge¬
botenen Fasttag -- eine Fleischspeise annoneirt!

Bis vor sieben Jahren gab es für den polnischen Mittelstand und die
polnischen Bauer" unserer Provinz keine ihrer niedrigen Bildungsstufe ent¬
sprechende Zeitung. Adel wie Geistlichkeit fürchteten sich offenbar, daß die
niederen Stände durch das Lesen einer Zeitung aus ihrer Unbildung allmählich
heraustreten könnten, und überließen sie ihrem Schicksale. Endlich verfielen
einige Gutsbesitzer, deren Wappenschild durchaus uicht unangefochten ist, ans
den Gedanken ein Blättchen zu gründen, das diesen Volkslassen die Zeitereig¬
nisse in populärer Form mittheilen sollte. Mit verhältnißmäßig bedeuten¬
den Mitteln wurde der dreimal wöchentlich erscheinende "OrenäowniK" (Bote)
gegründet und der Redaktion des Dr. Szymanski übergeben. Dieser Herr be¬
gann bald einen sozialistischen Ton anzuschlagen und die Bauern und Kleinstädter
gegen die "Herrchen" zu Hetzen, und da sich seine Gönner zu diesen zählten,
kam es zwischen ihnen und dem Dr. Szymanski zum Bruche. Der
"OrenclowmK" wäre in Folge dessen am Hungertode gestorben, da er nicht so
viele Abonnenten hatte, als zu feiner Existenz nothwendig waren, da kam --
die kirchenpvlitische Frage und mit ihr für die ultramontane Partei das Be¬
dürfniß auf die ungebildeten Massen zu wirken. Ein schwarzer Versucher
trat an Dr. Szymanski heran, verlockte ihn mit Silberstimme, sich am Kampfe
gegen den Staat zu betheiligen, und da Noth Eisen bricht, ging Dr. Szymanski
auf den Handel ein und wurde zum Lohne hierfür nicht nur materiell wacker
unterstützt, sondern auch zum Volkstribun befördert, der alle polnisch-katho¬
lischen Volksversammlungen zusammenberuft und auf alleu das Wort führt.
Man ging sogar so weit, seinem Namen einen Platz am Ende einiger Ab¬
geordnetenkandidatenlisten anzuweisen, besonders für Kreise, von denen man im
Voraus wußte, daß in ihnen kein Pole durchkommen würde. Für redaktionelle
Fähigkeiten zeugt der "OrsnäowniK" nicht; es gibt kein zweites Blatt, das so
oft hineinfällt, wie er, und sein Chefredakteur, so wie sein "Verantwortlicher"
haben oft genug für ihre Leichtgläubigkeit, und rekrutenmäßige Hitze im Gefäng¬
nisse gebüßt, oder Geldstrafen bezahlt.

Trotz alledem ist dem "OreuäowniK" nicht eine gewisse Bedeutung abzu¬
sprechen; er hat, seitdem er vom "Kurier I>o2na,v8ki" ins Schlepptau ge¬
nommen ist, die untersten Volksklassen fanatisirt und hat diese Richtung selbst
jetzt noch nicht ganz aufgegeben, wo er wieder aus Anlaß der Arbeiterfrage
ein Stückchen sozialistischen Fells Heranskehrt.


Grenzboten in. 1877. L

der Frackjesuiten, da die Kirche selbst kein Geld dafür hergeben will. Der
Inseratenteil des echt katholischen Blattes hat eine Eigenthümlichkeit, die be¬
zeichnend ist. Er nimmt nämlich kein Inserat eines Restaurateurs auf, wenn
derselbe für den Freitag und Sonnabend, oder sonst einen von der Kirche ge¬
botenen Fasttag — eine Fleischspeise annoneirt!

Bis vor sieben Jahren gab es für den polnischen Mittelstand und die
polnischen Bauer» unserer Provinz keine ihrer niedrigen Bildungsstufe ent¬
sprechende Zeitung. Adel wie Geistlichkeit fürchteten sich offenbar, daß die
niederen Stände durch das Lesen einer Zeitung aus ihrer Unbildung allmählich
heraustreten könnten, und überließen sie ihrem Schicksale. Endlich verfielen
einige Gutsbesitzer, deren Wappenschild durchaus uicht unangefochten ist, ans
den Gedanken ein Blättchen zu gründen, das diesen Volkslassen die Zeitereig¬
nisse in populärer Form mittheilen sollte. Mit verhältnißmäßig bedeuten¬
den Mitteln wurde der dreimal wöchentlich erscheinende „OrenäowniK" (Bote)
gegründet und der Redaktion des Dr. Szymanski übergeben. Dieser Herr be¬
gann bald einen sozialistischen Ton anzuschlagen und die Bauern und Kleinstädter
gegen die „Herrchen" zu Hetzen, und da sich seine Gönner zu diesen zählten,
kam es zwischen ihnen und dem Dr. Szymanski zum Bruche. Der
„OrenclowmK" wäre in Folge dessen am Hungertode gestorben, da er nicht so
viele Abonnenten hatte, als zu feiner Existenz nothwendig waren, da kam —
die kirchenpvlitische Frage und mit ihr für die ultramontane Partei das Be¬
dürfniß auf die ungebildeten Massen zu wirken. Ein schwarzer Versucher
trat an Dr. Szymanski heran, verlockte ihn mit Silberstimme, sich am Kampfe
gegen den Staat zu betheiligen, und da Noth Eisen bricht, ging Dr. Szymanski
auf den Handel ein und wurde zum Lohne hierfür nicht nur materiell wacker
unterstützt, sondern auch zum Volkstribun befördert, der alle polnisch-katho¬
lischen Volksversammlungen zusammenberuft und auf alleu das Wort führt.
Man ging sogar so weit, seinem Namen einen Platz am Ende einiger Ab¬
geordnetenkandidatenlisten anzuweisen, besonders für Kreise, von denen man im
Voraus wußte, daß in ihnen kein Pole durchkommen würde. Für redaktionelle
Fähigkeiten zeugt der „OrsnäowniK" nicht; es gibt kein zweites Blatt, das so
oft hineinfällt, wie er, und sein Chefredakteur, so wie sein „Verantwortlicher"
haben oft genug für ihre Leichtgläubigkeit, und rekrutenmäßige Hitze im Gefäng¬
nisse gebüßt, oder Geldstrafen bezahlt.

Trotz alledem ist dem „OreuäowniK" nicht eine gewisse Bedeutung abzu¬
sprechen; er hat, seitdem er vom „Kurier I>o2na,v8ki" ins Schlepptau ge¬
nommen ist, die untersten Volksklassen fanatisirt und hat diese Richtung selbst
jetzt noch nicht ganz aufgegeben, wo er wieder aus Anlaß der Arbeiterfrage
ein Stückchen sozialistischen Fells Heranskehrt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/65>, abgerufen am 28.09.2024.