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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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gleichen, so finden wir, daß wir bedentend im Rückstände sind. Während dort
Klarheit und Gründlichkeit des Unterrichts und eine gesunde Moral die Basis
der Erziehung bilden, treffen wir hier, namentlich im Bereiche des Elementar¬
unterrichts, den trostlosesten Mechanismus und die Verkrüppelung und Ver¬
dummung der geistigen Fähigkeiten. Fünf volle Stunden des Tages befinden
sich die Kinder vom zartesten Alter an in unausgesetzter mechanischer Thätigkeit.
Da müssen sie Tag für Tag vier Stunden lang papageimäßig und mit der
Schnelligkeit des Blitzes die ersten elementaren Lektionen wiederholen und her¬
sagen, eine Beschäftigung, die Seele und Leib schädigt. Mit einer besseren
Methode könnte man in drei halben Stunden viel bessere Ergebnisse erzielen,
während in der Zwischenzeit die im Verhältniß zu ihrem Alter viel zu sehr
angestrengten Kinder sich durch körperliche Uebungen stärken könnten."

In Betreff der Lehrbücher selbst wird geklagt, daß der Schüler zu viele
haben muß, daß man zu oft mit ihnen wechselt, und daß sie vielfach einen
unpädagogischen Charakter haben. "Es ist Thatsache," heißt es in einem
amerikanischen Bericht über diese Lehrmittel, "daß die Lektionen, welche viele
unserer Schulbücher enthalten, gewöhnlich nichts als Uebungen in volltönenden
Worten sind. Diese philosophischen Lektionen über die Grundlage:: der Sprache,
wie sie den üblichen Regeln der Grammatik und der Lehre von der Anfertigung
von Aufsätzen beigemischt sind, sind meistentheils in einer unnöthig wissen¬
schaftlich gehaltenen Sprache abgefaßt, die ganz und gar über das Begriffs¬
vermögen und den Durchschnittsverstand von Zöglingen der Volksschule hin¬
ausgeht. Das Erlernen solcher Aufgaben durch die ungeheure Mehrzahl der
Zöglinge unserer Schulen ist nichts als ein Vollstopfen des Geistes mit werth¬
losen Abstraktionen, mit Worten, mit welchen sie keine wirklichen Vorstellungen
und keinen deutlichen Sinn verbinden."

Die Bücher werden vom Schulrathe approbirt, dessen Mitglieder aber
selten die hierzu erforderliche fachmännische Bildung besitzen. Sie kommen
ziemlich hoch zu stehen, doch ist das ein geringerer Uebelstand, als die Art,
wie sie abgefaßt sind und wie sie benutzt werden. Sehr weitschweifig, sind sie
stets mit der Vorstellung geschrieben, daß sie und nicht der lebendige Lehrer
den Unterricht zu ertheilen haben. Im Bericht des Vorstandes des Loarä ot' Datu-
m.lion heißt es: "Schüler treiben heutzutage sehr wenig wirkliches Studium.
Sie lernen bis zum Ueberfluß viel auswendig, aber sie studiren nicht genug.
Worte und Aufgaben auswendig lernen ist eine harte und beinahe fruchtlose
Arbeit. Es entwickelt weder die geistige Kraft noch das Selbstvertrauen.
Nach meinem Dafürhalten hat sich in den letzten Jahren eine erhebliche Ver¬
schlimmerung vollzogen. Jetzt gehen die Schüler in die Schule, um Aufgaben
Herznsagen, und die Lehrer, um dieses Hersagen anzuhören." "Sehr häufiges


gleichen, so finden wir, daß wir bedentend im Rückstände sind. Während dort
Klarheit und Gründlichkeit des Unterrichts und eine gesunde Moral die Basis
der Erziehung bilden, treffen wir hier, namentlich im Bereiche des Elementar¬
unterrichts, den trostlosesten Mechanismus und die Verkrüppelung und Ver¬
dummung der geistigen Fähigkeiten. Fünf volle Stunden des Tages befinden
sich die Kinder vom zartesten Alter an in unausgesetzter mechanischer Thätigkeit.
Da müssen sie Tag für Tag vier Stunden lang papageimäßig und mit der
Schnelligkeit des Blitzes die ersten elementaren Lektionen wiederholen und her¬
sagen, eine Beschäftigung, die Seele und Leib schädigt. Mit einer besseren
Methode könnte man in drei halben Stunden viel bessere Ergebnisse erzielen,
während in der Zwischenzeit die im Verhältniß zu ihrem Alter viel zu sehr
angestrengten Kinder sich durch körperliche Uebungen stärken könnten."

In Betreff der Lehrbücher selbst wird geklagt, daß der Schüler zu viele
haben muß, daß man zu oft mit ihnen wechselt, und daß sie vielfach einen
unpädagogischen Charakter haben. „Es ist Thatsache," heißt es in einem
amerikanischen Bericht über diese Lehrmittel, „daß die Lektionen, welche viele
unserer Schulbücher enthalten, gewöhnlich nichts als Uebungen in volltönenden
Worten sind. Diese philosophischen Lektionen über die Grundlage:: der Sprache,
wie sie den üblichen Regeln der Grammatik und der Lehre von der Anfertigung
von Aufsätzen beigemischt sind, sind meistentheils in einer unnöthig wissen¬
schaftlich gehaltenen Sprache abgefaßt, die ganz und gar über das Begriffs¬
vermögen und den Durchschnittsverstand von Zöglingen der Volksschule hin¬
ausgeht. Das Erlernen solcher Aufgaben durch die ungeheure Mehrzahl der
Zöglinge unserer Schulen ist nichts als ein Vollstopfen des Geistes mit werth¬
losen Abstraktionen, mit Worten, mit welchen sie keine wirklichen Vorstellungen
und keinen deutlichen Sinn verbinden."

Die Bücher werden vom Schulrathe approbirt, dessen Mitglieder aber
selten die hierzu erforderliche fachmännische Bildung besitzen. Sie kommen
ziemlich hoch zu stehen, doch ist das ein geringerer Uebelstand, als die Art,
wie sie abgefaßt sind und wie sie benutzt werden. Sehr weitschweifig, sind sie
stets mit der Vorstellung geschrieben, daß sie und nicht der lebendige Lehrer
den Unterricht zu ertheilen haben. Im Bericht des Vorstandes des Loarä ot' Datu-
m.lion heißt es: „Schüler treiben heutzutage sehr wenig wirkliches Studium.
Sie lernen bis zum Ueberfluß viel auswendig, aber sie studiren nicht genug.
Worte und Aufgaben auswendig lernen ist eine harte und beinahe fruchtlose
Arbeit. Es entwickelt weder die geistige Kraft noch das Selbstvertrauen.
Nach meinem Dafürhalten hat sich in den letzten Jahren eine erhebliche Ver¬
schlimmerung vollzogen. Jetzt gehen die Schüler in die Schule, um Aufgaben
Herznsagen, und die Lehrer, um dieses Hersagen anzuhören." „Sehr häufiges


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/509>, abgerufen am 28.09.2024.