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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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und immer fortgesetztes Dritten des Schülers im Hersagen mag ihm größere
Schlagfertigkeit und mehr Gewandheit im Ausdrucke verleihen und daher zum
Glänze der Prüfungen beitragen, aber sonst wird damit nicht viel Gutes er¬
reicht. Mehr wirkliches, eigentliches Studium, mehr unabhängiges, eigenes
Denken und Anstrengen sollte von unseren Schülern verlangt werden und
dafür weniger von der bloßen Routine-Arbeit des Anfsagens von Lektionen
aus Büchern. In manchen unserer Schulen ist den Schülern nicht eine einzige
halbe Stunde zu gefunden Studium übrig gelassen. Man verlangt von
ihnen, daß sie alles, was sie in der Schule lernen sollten, außerhalb der¬
selben lernen."

In einem Berichte, welchen die Lehrbücher-Kommission des Erziehungs-
rathes von San Francisco dem letzteren erstattete, heißt es: "Ihr Ausschuß
glaubt, daß ein Schulbüchersystem, wie es jetzt gutgeheißen ist, eine große
Zeit- und Geldvergeudung ist. Er stellt die Nothwendigkeit, einen so häufigen
Bücherwechsel vorzunehmen, in Abrede, zunächst deshalb, weil derselbe eine
Allsgabe bedingt, die ohne Schaden unterbleiben könnte, dann ans dem ge¬
wichtigeren Grnnde, weil der Schüler, so oft er Bücher wechselt, dieselben
Ideen in der Sprache des neuen Autors zu erlernen hat und dieß nicht nnr
Zeitverlust mit Memoriren, sondern auch Verwirrung im späteren Leben ver¬
anlaßt, indem der junge Mann oft einen Satz anzuwenden versucht, den er
einst lernen und abermals lernen und jedesmal in anderen Formen lernen zu
müssen das Unglück hatte. Dieselben Schwierigkeiten treten beim Gebrauche
neuer Bücher desselben Verfassers ein. In dem neuesten scheint er anzu¬
nehmen, der Leser werde voraussetzen, daß er seit Erscheinen seines letzten
Buches nicht vergeblich gelebt habe, und daß er jetzt wenigstens seine alten Ge¬
danken in bessere Worte kleiden könne als früher, und so wendet er in der
neuen "verbesserten" Auflage in der That neue Ausdrücke an. Ihr Ausschuß
ist der Ansicht, daß dieses System von den verschiedenen Unterrichtsbehörden
nicht blos in unserem Staate, sondern auch in anderen nicht etwa deshalb
angenommen worden ist, weil die neuen Werke den alten wirklich vorzuziehen
waren, sondern einzig und allein infolge des Druckes, welcher von Seiten der
Verfasser, der Verleger und der Sortimenter auf die Unterrichtsbehörde aus¬
geübt wurde, von denen jeder selbstverständlich bei jedem Buche seinen Nutzen
hat, und so ist hierin der Beweggrund für das Bestreben nach Einführung der
größtmöglichen Zahl von Büchern in die Schulen zu suchen."

Schon bemerkt wurde, daß in den Schulen zu viel Werth auf das Rechnen
gelegt wird. Ein amerikanischer Schulmann sagt hierüber: "In allen unseren
Schulen wird, dünkt mich, zu viel abstrakte Arithmetik getrieben, und sie sollten
deshalb Nechenschnlen heißen. Da mathematische Studien komplizirter als


und immer fortgesetztes Dritten des Schülers im Hersagen mag ihm größere
Schlagfertigkeit und mehr Gewandheit im Ausdrucke verleihen und daher zum
Glänze der Prüfungen beitragen, aber sonst wird damit nicht viel Gutes er¬
reicht. Mehr wirkliches, eigentliches Studium, mehr unabhängiges, eigenes
Denken und Anstrengen sollte von unseren Schülern verlangt werden und
dafür weniger von der bloßen Routine-Arbeit des Anfsagens von Lektionen
aus Büchern. In manchen unserer Schulen ist den Schülern nicht eine einzige
halbe Stunde zu gefunden Studium übrig gelassen. Man verlangt von
ihnen, daß sie alles, was sie in der Schule lernen sollten, außerhalb der¬
selben lernen."

In einem Berichte, welchen die Lehrbücher-Kommission des Erziehungs-
rathes von San Francisco dem letzteren erstattete, heißt es: „Ihr Ausschuß
glaubt, daß ein Schulbüchersystem, wie es jetzt gutgeheißen ist, eine große
Zeit- und Geldvergeudung ist. Er stellt die Nothwendigkeit, einen so häufigen
Bücherwechsel vorzunehmen, in Abrede, zunächst deshalb, weil derselbe eine
Allsgabe bedingt, die ohne Schaden unterbleiben könnte, dann ans dem ge¬
wichtigeren Grnnde, weil der Schüler, so oft er Bücher wechselt, dieselben
Ideen in der Sprache des neuen Autors zu erlernen hat und dieß nicht nnr
Zeitverlust mit Memoriren, sondern auch Verwirrung im späteren Leben ver¬
anlaßt, indem der junge Mann oft einen Satz anzuwenden versucht, den er
einst lernen und abermals lernen und jedesmal in anderen Formen lernen zu
müssen das Unglück hatte. Dieselben Schwierigkeiten treten beim Gebrauche
neuer Bücher desselben Verfassers ein. In dem neuesten scheint er anzu¬
nehmen, der Leser werde voraussetzen, daß er seit Erscheinen seines letzten
Buches nicht vergeblich gelebt habe, und daß er jetzt wenigstens seine alten Ge¬
danken in bessere Worte kleiden könne als früher, und so wendet er in der
neuen „verbesserten" Auflage in der That neue Ausdrücke an. Ihr Ausschuß
ist der Ansicht, daß dieses System von den verschiedenen Unterrichtsbehörden
nicht blos in unserem Staate, sondern auch in anderen nicht etwa deshalb
angenommen worden ist, weil die neuen Werke den alten wirklich vorzuziehen
waren, sondern einzig und allein infolge des Druckes, welcher von Seiten der
Verfasser, der Verleger und der Sortimenter auf die Unterrichtsbehörde aus¬
geübt wurde, von denen jeder selbstverständlich bei jedem Buche seinen Nutzen
hat, und so ist hierin der Beweggrund für das Bestreben nach Einführung der
größtmöglichen Zahl von Büchern in die Schulen zu suchen."

Schon bemerkt wurde, daß in den Schulen zu viel Werth auf das Rechnen
gelegt wird. Ein amerikanischer Schulmann sagt hierüber: „In allen unseren
Schulen wird, dünkt mich, zu viel abstrakte Arithmetik getrieben, und sie sollten
deshalb Nechenschnlen heißen. Da mathematische Studien komplizirter als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/510>, abgerufen am 21.10.2024.