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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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aber naturgemäß in noch höherem Maße da sein, wo dem Lehrbuch eine
überwiegende Bedeutung beigelegt wird, ja wo es gewissermaßen den Lehrer zu
ersetzen bestimmt ist wie in der amerikanischen Schule. In der That verlegt
das amerikanische Unterrichtssystem, wie den Lesern bekannt sein wird, und wie
sie sich aus dem Bericht unsere Schrift über das Columbia College (S. 25 bis 33)
überzeugen können, den Schwerpunkt der didaktischen Thätigkeit in das Anhalten
zum Auswendiglernen der Lehrbücher (loxtvooks). Der Schüler wird --
dieß gilt von den Schulen aller Grade bis hinauf zu den Colleges und größten-
theils auch von den Universitäten -- nicht zum selbständigen Denken angeleitet,
sondern in der Regel genügt er den Anforderungen des Lehrers, wenn er
anf die in den Lehrbüchern enthaltenen Fragen die ebendaselbst bereits gege¬
benen Antworten sich eingeprägt hat und ohne zu stocken Herznsagen weiß.
"Es ist," so klagt der Vorstand des obenerwähnten IZvarä 05 ZZäuWtion in
Washington, "in den Schulen zuviel des blos abstrakten Lehrens, zu viel
Schulbücher-Routine-Arbeit. Fortwährendes Auswendiglernen desjenigen, was
abstrakt und unverständlich', ist einfaches Zeittodtschlagen, Ersticken des Geistes,
Verzwergen des Denkvermögens (miiul ävvÄrün>>). Ich habe die Ergebnisse
davon gesehen und gebe mich keiner Täuschung hin. Die Lehrer tadle ich
deshalb nicht zu sehr; sie lehren eben, wie man es von ihnen verlangt, und
wie sie selbst unterrichtet worden sind. Sie bringen ihre Schüler in der vor¬
geschriebenen Weise empor, helfen den Klassen in der vorgeschriebenen Weise
dnrch die vorgeschriebenen Seiten und Kapitel des vorgeschriebenen und uner¬
bittlichen Lehrbuchs hindurch und thun dieß alles innerhalb der Zeit, welche
die Schablone angiebt. Welche Schuld kann man also dem Lehrer beimessen?
Ihre Klassen bestehen die Prüfungen" -- es folgt hier eine Aufzählung aller
der schönen Dinge, die den Kindern eingetrieben werden -- "ich aber bin so
anmaßend und radikal, zu behaupten, daß unsere Knaben und Mädchen nicht
so gut erzogen sind, als sie in der Grammar Schvol sein sollten, ja daß da¬
selbst Mangel an gesunder Bildung und an zweckmäßiger praktischer Vorbereitung
für die gewöhnlichen Berufszweige einer intelligenten Gesellschaft und die er¬
folgreiche Erfüllung ihrer gemeinschaftlichen Pflichten herrscht. Stunde für
Stunde, Tag für Tag, Monat für Monat, ja ich kann sagen, Jahr für Jahr
werden mit Dingen vergeudet, die keinen wirklichen Werth haben, ausgenommen
den, daß man Prüfungen bestehen kann, mit Abstraktionen, welche bedeutungs¬
los und für immer todt und dahin sind, wenn das Lehrbuch endlich zuge¬
klappt wird.

Eine andere Stimme aus dem Kreise amerikanischer Sachverständiger
äußert sich uoch abfälliger über die transatlantischen Schicken. "Wenn wir",
so heißt es da, "unsere Schulen mit denjenigen der europäische" Städte ver-


aber naturgemäß in noch höherem Maße da sein, wo dem Lehrbuch eine
überwiegende Bedeutung beigelegt wird, ja wo es gewissermaßen den Lehrer zu
ersetzen bestimmt ist wie in der amerikanischen Schule. In der That verlegt
das amerikanische Unterrichtssystem, wie den Lesern bekannt sein wird, und wie
sie sich aus dem Bericht unsere Schrift über das Columbia College (S. 25 bis 33)
überzeugen können, den Schwerpunkt der didaktischen Thätigkeit in das Anhalten
zum Auswendiglernen der Lehrbücher (loxtvooks). Der Schüler wird —
dieß gilt von den Schulen aller Grade bis hinauf zu den Colleges und größten-
theils auch von den Universitäten — nicht zum selbständigen Denken angeleitet,
sondern in der Regel genügt er den Anforderungen des Lehrers, wenn er
anf die in den Lehrbüchern enthaltenen Fragen die ebendaselbst bereits gege¬
benen Antworten sich eingeprägt hat und ohne zu stocken Herznsagen weiß.
„Es ist," so klagt der Vorstand des obenerwähnten IZvarä 05 ZZäuWtion in
Washington, „in den Schulen zuviel des blos abstrakten Lehrens, zu viel
Schulbücher-Routine-Arbeit. Fortwährendes Auswendiglernen desjenigen, was
abstrakt und unverständlich', ist einfaches Zeittodtschlagen, Ersticken des Geistes,
Verzwergen des Denkvermögens (miiul ävvÄrün>>). Ich habe die Ergebnisse
davon gesehen und gebe mich keiner Täuschung hin. Die Lehrer tadle ich
deshalb nicht zu sehr; sie lehren eben, wie man es von ihnen verlangt, und
wie sie selbst unterrichtet worden sind. Sie bringen ihre Schüler in der vor¬
geschriebenen Weise empor, helfen den Klassen in der vorgeschriebenen Weise
dnrch die vorgeschriebenen Seiten und Kapitel des vorgeschriebenen und uner¬
bittlichen Lehrbuchs hindurch und thun dieß alles innerhalb der Zeit, welche
die Schablone angiebt. Welche Schuld kann man also dem Lehrer beimessen?
Ihre Klassen bestehen die Prüfungen" — es folgt hier eine Aufzählung aller
der schönen Dinge, die den Kindern eingetrieben werden — „ich aber bin so
anmaßend und radikal, zu behaupten, daß unsere Knaben und Mädchen nicht
so gut erzogen sind, als sie in der Grammar Schvol sein sollten, ja daß da¬
selbst Mangel an gesunder Bildung und an zweckmäßiger praktischer Vorbereitung
für die gewöhnlichen Berufszweige einer intelligenten Gesellschaft und die er¬
folgreiche Erfüllung ihrer gemeinschaftlichen Pflichten herrscht. Stunde für
Stunde, Tag für Tag, Monat für Monat, ja ich kann sagen, Jahr für Jahr
werden mit Dingen vergeudet, die keinen wirklichen Werth haben, ausgenommen
den, daß man Prüfungen bestehen kann, mit Abstraktionen, welche bedeutungs¬
los und für immer todt und dahin sind, wenn das Lehrbuch endlich zuge¬
klappt wird.

Eine andere Stimme aus dem Kreise amerikanischer Sachverständiger
äußert sich uoch abfälliger über die transatlantischen Schicken. „Wenn wir",
so heißt es da, „unsere Schulen mit denjenigen der europäische« Städte ver-


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[0508] aber naturgemäß in noch höherem Maße da sein, wo dem Lehrbuch eine überwiegende Bedeutung beigelegt wird, ja wo es gewissermaßen den Lehrer zu ersetzen bestimmt ist wie in der amerikanischen Schule. In der That verlegt das amerikanische Unterrichtssystem, wie den Lesern bekannt sein wird, und wie sie sich aus dem Bericht unsere Schrift über das Columbia College (S. 25 bis 33) überzeugen können, den Schwerpunkt der didaktischen Thätigkeit in das Anhalten zum Auswendiglernen der Lehrbücher (loxtvooks). Der Schüler wird — dieß gilt von den Schulen aller Grade bis hinauf zu den Colleges und größten- theils auch von den Universitäten — nicht zum selbständigen Denken angeleitet, sondern in der Regel genügt er den Anforderungen des Lehrers, wenn er anf die in den Lehrbüchern enthaltenen Fragen die ebendaselbst bereits gege¬ benen Antworten sich eingeprägt hat und ohne zu stocken Herznsagen weiß. „Es ist," so klagt der Vorstand des obenerwähnten IZvarä 05 ZZäuWtion in Washington, „in den Schulen zuviel des blos abstrakten Lehrens, zu viel Schulbücher-Routine-Arbeit. Fortwährendes Auswendiglernen desjenigen, was abstrakt und unverständlich', ist einfaches Zeittodtschlagen, Ersticken des Geistes, Verzwergen des Denkvermögens (miiul ävvÄrün>>). Ich habe die Ergebnisse davon gesehen und gebe mich keiner Täuschung hin. Die Lehrer tadle ich deshalb nicht zu sehr; sie lehren eben, wie man es von ihnen verlangt, und wie sie selbst unterrichtet worden sind. Sie bringen ihre Schüler in der vor¬ geschriebenen Weise empor, helfen den Klassen in der vorgeschriebenen Weise dnrch die vorgeschriebenen Seiten und Kapitel des vorgeschriebenen und uner¬ bittlichen Lehrbuchs hindurch und thun dieß alles innerhalb der Zeit, welche die Schablone angiebt. Welche Schuld kann man also dem Lehrer beimessen? Ihre Klassen bestehen die Prüfungen" — es folgt hier eine Aufzählung aller der schönen Dinge, die den Kindern eingetrieben werden — „ich aber bin so anmaßend und radikal, zu behaupten, daß unsere Knaben und Mädchen nicht so gut erzogen sind, als sie in der Grammar Schvol sein sollten, ja daß da¬ selbst Mangel an gesunder Bildung und an zweckmäßiger praktischer Vorbereitung für die gewöhnlichen Berufszweige einer intelligenten Gesellschaft und die er¬ folgreiche Erfüllung ihrer gemeinschaftlichen Pflichten herrscht. Stunde für Stunde, Tag für Tag, Monat für Monat, ja ich kann sagen, Jahr für Jahr werden mit Dingen vergeudet, die keinen wirklichen Werth haben, ausgenommen den, daß man Prüfungen bestehen kann, mit Abstraktionen, welche bedeutungs¬ los und für immer todt und dahin sind, wenn das Lehrbuch endlich zuge¬ klappt wird. Eine andere Stimme aus dem Kreise amerikanischer Sachverständiger äußert sich uoch abfälliger über die transatlantischen Schicken. „Wenn wir", so heißt es da, „unsere Schulen mit denjenigen der europäische« Städte ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/508>, abgerufen am 21.10.2024.