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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Pennsylvanien wird sie in den meisten Schulen gelesen, in Missouri ist sie aus
den Schulen verbannt. Das Schulgesetz von Maine fordert vom Lehrerpersonale,
daß es den Kindern "die Grundsätze der Gerechtigkeit, der Ehrfurcht vor der
Wahrheit, der Liebe und Treue in Betreff des Vaterlandes und der Menschheit
einflöße und ihnen alle andern Tugenden lehre, welche die Zierde der Gesell¬
schaft sind, und welche dazu führen, die republikanische Verfassung zu erhalten
und zu vervollkommnen und den Segen der Freiheit zu sichern." Die Schul¬
ordnung der Stadt Boston endlich verlangt, daß "täglich guter Morcilnnterricht
ertheilt und jede Gelegenheit benutzt werde, die Grundsätze der Wahrheit und
Tugend einzuprägen."

Für die Beurtheilung der Leistungen des im Obigen skizzirten sehr kostspieligen
Lehr- und Erziehnngsapparates sind nun einige Momente näher zu betrachten,
welche ungünstig wirkende prinzipielle Eigenschaften des amerikanischen Unterrichts¬
wesens darstellen. Dieß sind: die bis an die Grenze des Denkbaren ausgedehnte
Dezentralisation der Verwaltung und Leitung der Schule und der hierdurch
bedingte Mangel eines einheitlichen pädagogischen Prinzips für die Schule der
Vereinigten Staaten, sodann die Berufung und Stellung der Lehrer, ferner
die Schulbücher und die Methode des Unterrichts, die gewisse Zweige des
letzteren vorwiegend Pflegt, endlich das dnrch Eigenheiten des Landes bedingte
Ziel des Unterrichts im Allgemeinen, welches die Heranbildung von Frühreife
und Oberflächlichkeit begünstigt.

Zu weit gehende Autonomie wirkt nirgendwo schädlicher als auf dem
Gebiete des Unterrichtswesens. Das zeigt mehr oder minder jeder Staat der
Union. Die Mitglieder des mit großer Machtbefngniß ausgestatteten Erziehnugs-
rathes, der seinerseits einen Superintendenten bestellt, gelangen meist durch
allgemeine Wahl zu ihrem Amte, das gleich dem des Superintendenten niemals
ein lebenslängliches, vielmehr immer nnr ans einige Jahre verliehen ist. Dieß
öffnet aber dem Ehrgeiz, der Eitelkeit und bisweilen Schlimmerem einen weiten
Spielraum. Schon die allgemeine Wahlberechtigung und das Parteiwesen bringen
es mit sich, daß Erfahrung und Befähigung für jenes wichtige Amt bei
Beurtheilung der Wählbarkeit nicht in dem Maße berücksichtigt werden, welches
zu wünschen ist. Traditionen, Folgerichtigkeit, Fortwirken gewisser Grundsätze
sind mit einer Amtsdauer von zwei bis drei Jahren fast unvereinbar. Dazu
kommt, daß die Macht, Bauten zu vergeben, Schulbücher einzuführen, Lehrer
anzustellen, lockt, die Wahl auch durch Mittel herbeizuführen, welche manchen
wirklich Berufenen von vornherein auf Bewerbung verzichten läßt, nud so darf
man sich nicht wundern, wenn häufig geklagt wird, daß Mitglieder des Schul¬
rathes uicht nur ohne Verständniß für ihre Aufgabe sind, souderu ihr Amt
auch mehr zu eignem Vortheil als zum Nutzen der Schule führen. Die Mit-


Grenzbotm III. 1877. <!lZ

Pennsylvanien wird sie in den meisten Schulen gelesen, in Missouri ist sie aus
den Schulen verbannt. Das Schulgesetz von Maine fordert vom Lehrerpersonale,
daß es den Kindern „die Grundsätze der Gerechtigkeit, der Ehrfurcht vor der
Wahrheit, der Liebe und Treue in Betreff des Vaterlandes und der Menschheit
einflöße und ihnen alle andern Tugenden lehre, welche die Zierde der Gesell¬
schaft sind, und welche dazu führen, die republikanische Verfassung zu erhalten
und zu vervollkommnen und den Segen der Freiheit zu sichern." Die Schul¬
ordnung der Stadt Boston endlich verlangt, daß „täglich guter Morcilnnterricht
ertheilt und jede Gelegenheit benutzt werde, die Grundsätze der Wahrheit und
Tugend einzuprägen."

Für die Beurtheilung der Leistungen des im Obigen skizzirten sehr kostspieligen
Lehr- und Erziehnngsapparates sind nun einige Momente näher zu betrachten,
welche ungünstig wirkende prinzipielle Eigenschaften des amerikanischen Unterrichts¬
wesens darstellen. Dieß sind: die bis an die Grenze des Denkbaren ausgedehnte
Dezentralisation der Verwaltung und Leitung der Schule und der hierdurch
bedingte Mangel eines einheitlichen pädagogischen Prinzips für die Schule der
Vereinigten Staaten, sodann die Berufung und Stellung der Lehrer, ferner
die Schulbücher und die Methode des Unterrichts, die gewisse Zweige des
letzteren vorwiegend Pflegt, endlich das dnrch Eigenheiten des Landes bedingte
Ziel des Unterrichts im Allgemeinen, welches die Heranbildung von Frühreife
und Oberflächlichkeit begünstigt.

Zu weit gehende Autonomie wirkt nirgendwo schädlicher als auf dem
Gebiete des Unterrichtswesens. Das zeigt mehr oder minder jeder Staat der
Union. Die Mitglieder des mit großer Machtbefngniß ausgestatteten Erziehnugs-
rathes, der seinerseits einen Superintendenten bestellt, gelangen meist durch
allgemeine Wahl zu ihrem Amte, das gleich dem des Superintendenten niemals
ein lebenslängliches, vielmehr immer nnr ans einige Jahre verliehen ist. Dieß
öffnet aber dem Ehrgeiz, der Eitelkeit und bisweilen Schlimmerem einen weiten
Spielraum. Schon die allgemeine Wahlberechtigung und das Parteiwesen bringen
es mit sich, daß Erfahrung und Befähigung für jenes wichtige Amt bei
Beurtheilung der Wählbarkeit nicht in dem Maße berücksichtigt werden, welches
zu wünschen ist. Traditionen, Folgerichtigkeit, Fortwirken gewisser Grundsätze
sind mit einer Amtsdauer von zwei bis drei Jahren fast unvereinbar. Dazu
kommt, daß die Macht, Bauten zu vergeben, Schulbücher einzuführen, Lehrer
anzustellen, lockt, die Wahl auch durch Mittel herbeizuführen, welche manchen
wirklich Berufenen von vornherein auf Bewerbung verzichten läßt, nud so darf
man sich nicht wundern, wenn häufig geklagt wird, daß Mitglieder des Schul¬
rathes uicht nur ohne Verständniß für ihre Aufgabe sind, souderu ihr Amt
auch mehr zu eignem Vortheil als zum Nutzen der Schule führen. Die Mit-


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[0505] Pennsylvanien wird sie in den meisten Schulen gelesen, in Missouri ist sie aus den Schulen verbannt. Das Schulgesetz von Maine fordert vom Lehrerpersonale, daß es den Kindern „die Grundsätze der Gerechtigkeit, der Ehrfurcht vor der Wahrheit, der Liebe und Treue in Betreff des Vaterlandes und der Menschheit einflöße und ihnen alle andern Tugenden lehre, welche die Zierde der Gesell¬ schaft sind, und welche dazu führen, die republikanische Verfassung zu erhalten und zu vervollkommnen und den Segen der Freiheit zu sichern." Die Schul¬ ordnung der Stadt Boston endlich verlangt, daß „täglich guter Morcilnnterricht ertheilt und jede Gelegenheit benutzt werde, die Grundsätze der Wahrheit und Tugend einzuprägen." Für die Beurtheilung der Leistungen des im Obigen skizzirten sehr kostspieligen Lehr- und Erziehnngsapparates sind nun einige Momente näher zu betrachten, welche ungünstig wirkende prinzipielle Eigenschaften des amerikanischen Unterrichts¬ wesens darstellen. Dieß sind: die bis an die Grenze des Denkbaren ausgedehnte Dezentralisation der Verwaltung und Leitung der Schule und der hierdurch bedingte Mangel eines einheitlichen pädagogischen Prinzips für die Schule der Vereinigten Staaten, sodann die Berufung und Stellung der Lehrer, ferner die Schulbücher und die Methode des Unterrichts, die gewisse Zweige des letzteren vorwiegend Pflegt, endlich das dnrch Eigenheiten des Landes bedingte Ziel des Unterrichts im Allgemeinen, welches die Heranbildung von Frühreife und Oberflächlichkeit begünstigt. Zu weit gehende Autonomie wirkt nirgendwo schädlicher als auf dem Gebiete des Unterrichtswesens. Das zeigt mehr oder minder jeder Staat der Union. Die Mitglieder des mit großer Machtbefngniß ausgestatteten Erziehnugs- rathes, der seinerseits einen Superintendenten bestellt, gelangen meist durch allgemeine Wahl zu ihrem Amte, das gleich dem des Superintendenten niemals ein lebenslängliches, vielmehr immer nnr ans einige Jahre verliehen ist. Dieß öffnet aber dem Ehrgeiz, der Eitelkeit und bisweilen Schlimmerem einen weiten Spielraum. Schon die allgemeine Wahlberechtigung und das Parteiwesen bringen es mit sich, daß Erfahrung und Befähigung für jenes wichtige Amt bei Beurtheilung der Wählbarkeit nicht in dem Maße berücksichtigt werden, welches zu wünschen ist. Traditionen, Folgerichtigkeit, Fortwirken gewisser Grundsätze sind mit einer Amtsdauer von zwei bis drei Jahren fast unvereinbar. Dazu kommt, daß die Macht, Bauten zu vergeben, Schulbücher einzuführen, Lehrer anzustellen, lockt, die Wahl auch durch Mittel herbeizuführen, welche manchen wirklich Berufenen von vornherein auf Bewerbung verzichten läßt, nud so darf man sich nicht wundern, wenn häufig geklagt wird, daß Mitglieder des Schul¬ rathes uicht nur ohne Verständniß für ihre Aufgabe sind, souderu ihr Amt auch mehr zu eignem Vortheil als zum Nutzen der Schule führen. Die Mit- Grenzbotm III. 1877. <!lZ

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/505>, abgerufen am 21.10.2024.