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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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auch Jngenieurwesen, Bergbau, Landwirthschaft, Handelswissenschaft und Navi¬
gationskunde. Ebenfalls hierher gehören die Militär- und die Marine-Akademien
der Vereinigten Staaten. Endlich ist noch der normal Lellcwls zu gedenken,
die nichts anderes als unsere Schullehrerseminarien sind, und deren es im
Jahre 1875: 137 mit 1031 Lehrern und 29,125 Zöglingen gab. Sämmtliche
Schulen des dritten Grades mit Einschluß der zuletzt genannten haben die
Befugniß, Grade und Titel zu verleihen, und es wird von diesem Rechte
stets (1L75 in 7,577 Fällen) reichlich Gebrauch gemacht, wobei auch das
schöne Geschlecht gebührend bedacht wird. Zur Ausübung gewisser gelehrter
Berufsarten ist übrigens weder der Nachweis, daß man eine höhere Schule
oder Universität besucht noch auch nur, daß man sich ein bestimmtes Maß
positiven Wissens angeeignet hat, erforderlich. Der Arzt, der Apotheker
u. a. können sich ausbilden, wo und wie sie wollen; jeder darf sich Doktor der
Medizin nennen und als solcher praktiziren; er läuft nur dann Gefahr, bestraft
zu werden, wenn er sich auffallend unwissend und sehr lässig zeigt und damit
Unglück anrichtet. Der Advokat wird allerdings von einem öffentlichen Gerichts¬
höfe geprüft und nur in dem bezüglichen Staate zur Praxis zugelassen; aber
es kommt nicht darauf an, daß er eine Universität oder eine Rechtsschule
frequentirt hat, sondern lediglich darauf, ob er eine Anzahl nicht sehr schwieriger
Fragen zu beantworten vermag. Die Prediger endlich haben nur in verhält¬
nißmäßig seltenen Fällen regelmäßig Theologie studirt; nur die katholischen
Geistlichen und die einiger wenigen protestantischen Sekten, z. B. die der Luther¬
aner, machen hiervon eine Ausnahme.

Religionsunterricht soll in Staats- und Gemeindeschulen niemals ertheilt
werden. Amerikanische Juristen sind sogar der Ansicht, daß es ungesetzlich sei,
jemand zur Steuerzahlung für Unterweisung in religiösen Dingen zu zwingen.
Andere behaupten, das Ideal der amerikanischen Gesetzgebung sei vollständige
Gleichgültigkeit des Staates gegenüber der Religion. Bei einem Streitfall in
Ohio entschied der oberste Gerichtshof dieses Staates, der Schulrath zu Cincinnati
sei gesetzlich berechtigt, den Gebrauch der Bibel in der Schule zu verbieten.
In anderen Staaten aber hat man andere Ansichten. In ganz Neuengland
hatte einst der Religionsunterricht den Vorrang vor allen übrigen Fächern, und
noch jetzt sind in den dortigen Schulen religiöse Uebungen fast allgemein. In
Massachusetts wird verlangt, daß in den Schulen täglich ein Bibelabschnitt
nach der Uebersetzung des Königs Jakob I. gelesen werde. In Connecticut ist
Bibellesen allgemein, in New-Jersey ist es erlaubt. In New-Iork und Jow
soll es von der Schule nicht ausgeschlossen, jedoch kein Schüler gegen den
Willen seiner Eltern dazu genöthigt werden. In Jndiana und Illinois soll
der Lehrer weder gezwungen, noch verhindert sein, die Bibel zu gebrauchen, in


auch Jngenieurwesen, Bergbau, Landwirthschaft, Handelswissenschaft und Navi¬
gationskunde. Ebenfalls hierher gehören die Militär- und die Marine-Akademien
der Vereinigten Staaten. Endlich ist noch der normal Lellcwls zu gedenken,
die nichts anderes als unsere Schullehrerseminarien sind, und deren es im
Jahre 1875: 137 mit 1031 Lehrern und 29,125 Zöglingen gab. Sämmtliche
Schulen des dritten Grades mit Einschluß der zuletzt genannten haben die
Befugniß, Grade und Titel zu verleihen, und es wird von diesem Rechte
stets (1L75 in 7,577 Fällen) reichlich Gebrauch gemacht, wobei auch das
schöne Geschlecht gebührend bedacht wird. Zur Ausübung gewisser gelehrter
Berufsarten ist übrigens weder der Nachweis, daß man eine höhere Schule
oder Universität besucht noch auch nur, daß man sich ein bestimmtes Maß
positiven Wissens angeeignet hat, erforderlich. Der Arzt, der Apotheker
u. a. können sich ausbilden, wo und wie sie wollen; jeder darf sich Doktor der
Medizin nennen und als solcher praktiziren; er läuft nur dann Gefahr, bestraft
zu werden, wenn er sich auffallend unwissend und sehr lässig zeigt und damit
Unglück anrichtet. Der Advokat wird allerdings von einem öffentlichen Gerichts¬
höfe geprüft und nur in dem bezüglichen Staate zur Praxis zugelassen; aber
es kommt nicht darauf an, daß er eine Universität oder eine Rechtsschule
frequentirt hat, sondern lediglich darauf, ob er eine Anzahl nicht sehr schwieriger
Fragen zu beantworten vermag. Die Prediger endlich haben nur in verhält¬
nißmäßig seltenen Fällen regelmäßig Theologie studirt; nur die katholischen
Geistlichen und die einiger wenigen protestantischen Sekten, z. B. die der Luther¬
aner, machen hiervon eine Ausnahme.

Religionsunterricht soll in Staats- und Gemeindeschulen niemals ertheilt
werden. Amerikanische Juristen sind sogar der Ansicht, daß es ungesetzlich sei,
jemand zur Steuerzahlung für Unterweisung in religiösen Dingen zu zwingen.
Andere behaupten, das Ideal der amerikanischen Gesetzgebung sei vollständige
Gleichgültigkeit des Staates gegenüber der Religion. Bei einem Streitfall in
Ohio entschied der oberste Gerichtshof dieses Staates, der Schulrath zu Cincinnati
sei gesetzlich berechtigt, den Gebrauch der Bibel in der Schule zu verbieten.
In anderen Staaten aber hat man andere Ansichten. In ganz Neuengland
hatte einst der Religionsunterricht den Vorrang vor allen übrigen Fächern, und
noch jetzt sind in den dortigen Schulen religiöse Uebungen fast allgemein. In
Massachusetts wird verlangt, daß in den Schulen täglich ein Bibelabschnitt
nach der Uebersetzung des Königs Jakob I. gelesen werde. In Connecticut ist
Bibellesen allgemein, in New-Jersey ist es erlaubt. In New-Iork und Jow
soll es von der Schule nicht ausgeschlossen, jedoch kein Schüler gegen den
Willen seiner Eltern dazu genöthigt werden. In Jndiana und Illinois soll
der Lehrer weder gezwungen, noch verhindert sein, die Bibel zu gebrauchen, in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/504>, abgerufen am 28.09.2024.