Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

glieder des Erziehungsrathes in NewDork sind Kaufleute, Bankiers, Advokaten
und Handwerker. Sie erscheinen höchst selten in der Schule und diskutiren in
ihren Comitesitzungen nur bisweilen Probleme der Erziehung, von denen sie
wellig oder nichts verstehen. Sie wählen für die Dauer von zwei Jcchreu
einen Superintendenten und seine Assistenten, die mit Rücksicht auf ihre Wieder¬
wahl uicht unabhängig handeln dürfen. Der Superintendent hat unbedingte
Autorität über seine Assistenten, die seine Ideen durchzuführen haben, gleichviel,
ob sie ihnen richtig erscheinen oder nicht. In gleicher Lage sind die Direktoren
der Schulen und die Lehrer; alle büßen mehr oder weniger an der Indivi¬
dualität ein, die für den Lehrer so wesentlich ist.

Die Stellung der Lehrer steht mit diesem Prinzipe autonomer und in ihren
Trägern wandelbarer Verwaltung in engem Zusammenhange. Der Lehrer
wird vom Erziehnngsrathe geprüft und ans Vorschlag des Superintendenten
bernfett. Bei seiner Anstellung spielen Connexionen und Gönnerschaften eine
große Rolle. Häufig werden junge Leute, namentlich Mädchen, die kaum die
Iligll Lelilwl verlassen und sonst keine Studien gemacht haben, als Lehrer
angestellt, und man findet nicht selten dieselben Mädchen, welche im Juli noch
auf der Schulbank saßen, im September desselben Jahres als Lehrerinnen in
Thätigkeit. Die Anstellttttg erfolgt gewöhnlich nur auf ein Jahr, vielfach auch
nur auf sechs Monate, nach deren Verlauf um Verlängerung derselben einzu¬
kommen ist, wo aber die Stabilität fehlt, ist an ein ernstes Interesse an dem
betreffenden Berufe oder gar an eine freudige Ausübung desselben nicht wohl
zu denken. Dem Erziehungsrathe steht es frei, den Lehrer nach dreißigtägiger
Kündigung zu entlassen, und es gibt gegen diese Maßregel eben so wenig ein
Appellativnsrecht, als der invalid gewordene Lehrer prinzipiell Anspruch auf
Pension hat. Natürlich betrachten sich die Lehrer bei solcher Lage der Dinge,
sobald sich eine sichere oder sonst vortheilhaftere Stellung zeigt, als dnrch das
Amt uicht gebunden, und so herrscht ein steter Wechsel in der Besetzung des
Katheders. Von einem vollkommen vertranenswürdigem Fachmanne wurde
dem Verfasser unserer Schrift mitgetheilt, daß die durchschnittliche Dienstzeit
der amerikanischen Lehrer nicht über drei Jahre hinausgehe. Die Gehalte
der Oberlehrer und Direktoren betragen an den Schulen zweiten Grades
2500 bis 4000, an den Elementarschulen 700 bis 2100 Dollars, je nach den
Orten. Sie erscheinen dem Europäer hoch, siud es aber uicht, wenn man weiß,
was für Einnahmen man mit Fleiß und Thätigkeit in anderen Berufskreisen in
Amerika sich schaffen kann. Die Gehalte sind gerade groß genug, um auf viele eben
Stellenlose Anziehungskraft zu üben, aber nicht groß genng, um in einem
Lande, wo Alles sich lediglich auf's Erwerben zuspitzt, dauernd zu fesseln.
Dazu köiiucu aber noch Dinge kommen wie im vorigen Jahre in New-Jersey,


glieder des Erziehungsrathes in NewDork sind Kaufleute, Bankiers, Advokaten
und Handwerker. Sie erscheinen höchst selten in der Schule und diskutiren in
ihren Comitesitzungen nur bisweilen Probleme der Erziehung, von denen sie
wellig oder nichts verstehen. Sie wählen für die Dauer von zwei Jcchreu
einen Superintendenten und seine Assistenten, die mit Rücksicht auf ihre Wieder¬
wahl uicht unabhängig handeln dürfen. Der Superintendent hat unbedingte
Autorität über seine Assistenten, die seine Ideen durchzuführen haben, gleichviel,
ob sie ihnen richtig erscheinen oder nicht. In gleicher Lage sind die Direktoren
der Schulen und die Lehrer; alle büßen mehr oder weniger an der Indivi¬
dualität ein, die für den Lehrer so wesentlich ist.

Die Stellung der Lehrer steht mit diesem Prinzipe autonomer und in ihren
Trägern wandelbarer Verwaltung in engem Zusammenhange. Der Lehrer
wird vom Erziehnngsrathe geprüft und ans Vorschlag des Superintendenten
bernfett. Bei seiner Anstellung spielen Connexionen und Gönnerschaften eine
große Rolle. Häufig werden junge Leute, namentlich Mädchen, die kaum die
Iligll Lelilwl verlassen und sonst keine Studien gemacht haben, als Lehrer
angestellt, und man findet nicht selten dieselben Mädchen, welche im Juli noch
auf der Schulbank saßen, im September desselben Jahres als Lehrerinnen in
Thätigkeit. Die Anstellttttg erfolgt gewöhnlich nur auf ein Jahr, vielfach auch
nur auf sechs Monate, nach deren Verlauf um Verlängerung derselben einzu¬
kommen ist, wo aber die Stabilität fehlt, ist an ein ernstes Interesse an dem
betreffenden Berufe oder gar an eine freudige Ausübung desselben nicht wohl
zu denken. Dem Erziehungsrathe steht es frei, den Lehrer nach dreißigtägiger
Kündigung zu entlassen, und es gibt gegen diese Maßregel eben so wenig ein
Appellativnsrecht, als der invalid gewordene Lehrer prinzipiell Anspruch auf
Pension hat. Natürlich betrachten sich die Lehrer bei solcher Lage der Dinge,
sobald sich eine sichere oder sonst vortheilhaftere Stellung zeigt, als dnrch das
Amt uicht gebunden, und so herrscht ein steter Wechsel in der Besetzung des
Katheders. Von einem vollkommen vertranenswürdigem Fachmanne wurde
dem Verfasser unserer Schrift mitgetheilt, daß die durchschnittliche Dienstzeit
der amerikanischen Lehrer nicht über drei Jahre hinausgehe. Die Gehalte
der Oberlehrer und Direktoren betragen an den Schulen zweiten Grades
2500 bis 4000, an den Elementarschulen 700 bis 2100 Dollars, je nach den
Orten. Sie erscheinen dem Europäer hoch, siud es aber uicht, wenn man weiß,
was für Einnahmen man mit Fleiß und Thätigkeit in anderen Berufskreisen in
Amerika sich schaffen kann. Die Gehalte sind gerade groß genug, um auf viele eben
Stellenlose Anziehungskraft zu üben, aber nicht groß genng, um in einem
Lande, wo Alles sich lediglich auf's Erwerben zuspitzt, dauernd zu fesseln.
Dazu köiiucu aber noch Dinge kommen wie im vorigen Jahre in New-Jersey,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0506" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138737"/>
          <p xml:id="ID_1538" prev="#ID_1537"> glieder des Erziehungsrathes in NewDork sind Kaufleute, Bankiers, Advokaten<lb/>
und Handwerker. Sie erscheinen höchst selten in der Schule und diskutiren in<lb/>
ihren Comitesitzungen nur bisweilen Probleme der Erziehung, von denen sie<lb/>
wellig oder nichts verstehen. Sie wählen für die Dauer von zwei Jcchreu<lb/>
einen Superintendenten und seine Assistenten, die mit Rücksicht auf ihre Wieder¬<lb/>
wahl uicht unabhängig handeln dürfen. Der Superintendent hat unbedingte<lb/>
Autorität über seine Assistenten, die seine Ideen durchzuführen haben, gleichviel,<lb/>
ob sie ihnen richtig erscheinen oder nicht. In gleicher Lage sind die Direktoren<lb/>
der Schulen und die Lehrer; alle büßen mehr oder weniger an der Indivi¬<lb/>
dualität ein, die für den Lehrer so wesentlich ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1539" next="#ID_1540"> Die Stellung der Lehrer steht mit diesem Prinzipe autonomer und in ihren<lb/>
Trägern wandelbarer Verwaltung in engem Zusammenhange. Der Lehrer<lb/>
wird vom Erziehnngsrathe geprüft und ans Vorschlag des Superintendenten<lb/>
bernfett. Bei seiner Anstellung spielen Connexionen und Gönnerschaften eine<lb/>
große Rolle. Häufig werden junge Leute, namentlich Mädchen, die kaum die<lb/>
Iligll Lelilwl verlassen und sonst keine Studien gemacht haben, als Lehrer<lb/>
angestellt, und man findet nicht selten dieselben Mädchen, welche im Juli noch<lb/>
auf der Schulbank saßen, im September desselben Jahres als Lehrerinnen in<lb/>
Thätigkeit. Die Anstellttttg erfolgt gewöhnlich nur auf ein Jahr, vielfach auch<lb/>
nur auf sechs Monate, nach deren Verlauf um Verlängerung derselben einzu¬<lb/>
kommen ist, wo aber die Stabilität fehlt, ist an ein ernstes Interesse an dem<lb/>
betreffenden Berufe oder gar an eine freudige Ausübung desselben nicht wohl<lb/>
zu denken. Dem Erziehungsrathe steht es frei, den Lehrer nach dreißigtägiger<lb/>
Kündigung zu entlassen, und es gibt gegen diese Maßregel eben so wenig ein<lb/>
Appellativnsrecht, als der invalid gewordene Lehrer prinzipiell Anspruch auf<lb/>
Pension hat. Natürlich betrachten sich die Lehrer bei solcher Lage der Dinge,<lb/>
sobald sich eine sichere oder sonst vortheilhaftere Stellung zeigt, als dnrch das<lb/>
Amt uicht gebunden, und so herrscht ein steter Wechsel in der Besetzung des<lb/>
Katheders. Von einem vollkommen vertranenswürdigem Fachmanne wurde<lb/>
dem Verfasser unserer Schrift mitgetheilt, daß die durchschnittliche Dienstzeit<lb/>
der amerikanischen Lehrer nicht über drei Jahre hinausgehe. Die Gehalte<lb/>
der Oberlehrer und Direktoren betragen an den Schulen zweiten Grades<lb/>
2500 bis 4000, an den Elementarschulen 700 bis 2100 Dollars, je nach den<lb/>
Orten. Sie erscheinen dem Europäer hoch, siud es aber uicht, wenn man weiß,<lb/>
was für Einnahmen man mit Fleiß und Thätigkeit in anderen Berufskreisen in<lb/>
Amerika sich schaffen kann. Die Gehalte sind gerade groß genug, um auf viele eben<lb/>
Stellenlose Anziehungskraft zu üben, aber nicht groß genng, um in einem<lb/>
Lande, wo Alles sich lediglich auf's Erwerben zuspitzt, dauernd zu fesseln.<lb/>
Dazu köiiucu aber noch Dinge kommen wie im vorigen Jahre in New-Jersey,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0506] glieder des Erziehungsrathes in NewDork sind Kaufleute, Bankiers, Advokaten und Handwerker. Sie erscheinen höchst selten in der Schule und diskutiren in ihren Comitesitzungen nur bisweilen Probleme der Erziehung, von denen sie wellig oder nichts verstehen. Sie wählen für die Dauer von zwei Jcchreu einen Superintendenten und seine Assistenten, die mit Rücksicht auf ihre Wieder¬ wahl uicht unabhängig handeln dürfen. Der Superintendent hat unbedingte Autorität über seine Assistenten, die seine Ideen durchzuführen haben, gleichviel, ob sie ihnen richtig erscheinen oder nicht. In gleicher Lage sind die Direktoren der Schulen und die Lehrer; alle büßen mehr oder weniger an der Indivi¬ dualität ein, die für den Lehrer so wesentlich ist. Die Stellung der Lehrer steht mit diesem Prinzipe autonomer und in ihren Trägern wandelbarer Verwaltung in engem Zusammenhange. Der Lehrer wird vom Erziehnngsrathe geprüft und ans Vorschlag des Superintendenten bernfett. Bei seiner Anstellung spielen Connexionen und Gönnerschaften eine große Rolle. Häufig werden junge Leute, namentlich Mädchen, die kaum die Iligll Lelilwl verlassen und sonst keine Studien gemacht haben, als Lehrer angestellt, und man findet nicht selten dieselben Mädchen, welche im Juli noch auf der Schulbank saßen, im September desselben Jahres als Lehrerinnen in Thätigkeit. Die Anstellttttg erfolgt gewöhnlich nur auf ein Jahr, vielfach auch nur auf sechs Monate, nach deren Verlauf um Verlängerung derselben einzu¬ kommen ist, wo aber die Stabilität fehlt, ist an ein ernstes Interesse an dem betreffenden Berufe oder gar an eine freudige Ausübung desselben nicht wohl zu denken. Dem Erziehungsrathe steht es frei, den Lehrer nach dreißigtägiger Kündigung zu entlassen, und es gibt gegen diese Maßregel eben so wenig ein Appellativnsrecht, als der invalid gewordene Lehrer prinzipiell Anspruch auf Pension hat. Natürlich betrachten sich die Lehrer bei solcher Lage der Dinge, sobald sich eine sichere oder sonst vortheilhaftere Stellung zeigt, als dnrch das Amt uicht gebunden, und so herrscht ein steter Wechsel in der Besetzung des Katheders. Von einem vollkommen vertranenswürdigem Fachmanne wurde dem Verfasser unserer Schrift mitgetheilt, daß die durchschnittliche Dienstzeit der amerikanischen Lehrer nicht über drei Jahre hinausgehe. Die Gehalte der Oberlehrer und Direktoren betragen an den Schulen zweiten Grades 2500 bis 4000, an den Elementarschulen 700 bis 2100 Dollars, je nach den Orten. Sie erscheinen dem Europäer hoch, siud es aber uicht, wenn man weiß, was für Einnahmen man mit Fleiß und Thätigkeit in anderen Berufskreisen in Amerika sich schaffen kann. Die Gehalte sind gerade groß genug, um auf viele eben Stellenlose Anziehungskraft zu üben, aber nicht groß genng, um in einem Lande, wo Alles sich lediglich auf's Erwerben zuspitzt, dauernd zu fesseln. Dazu köiiucu aber noch Dinge kommen wie im vorigen Jahre in New-Jersey,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/506
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/506>, abgerufen am 28.09.2024.