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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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zur Zeit der Säkularisation Großkeller und die leitende Persönlichkeit in der ge¬
nannten Abtei. Er galt bei seinen Konfratres offenbar für die vornehmste Autorität
in geschichtlichen Fragen, und ein gewisser historischer Sinn kann ihm anch nicht
abgesprochen werden; jedenfalls interessirte er sich lebhaft für die Geschichte
seines Stiftes. Vom April 1788 an führte er im Auftrage des Konventes die
Klosterchronik, nachdem er schon lange zuvor angefangen hatte, privatim und
zu seiner eigenen Unterhaltung die ihm merkwürdig erscheinenden Begebenheiten
aufzuzeichnen. Als das Kloster aufgehoben wurde, nahm er, ohne Zweifel
mit Wissen und Willen des Abtes und der angesehensten Mitglieder des Kapitels,
aus dem Archive alles zu sich, was ihm wichtig erschien oder was nicht in
unberufene Hände gerathen sollte. Später hat er dann noch vieles andere
hinzngescunmelt, und nach seinem Tode ist endlich alles, zusammen mit.seinen
Privatpapieren, in das Augsburger Stadtarchiv gekommen.

Für die Kenntniß der älteren Neresheimer Geschichte bietet uns diese
Sammlung wenig Gewinn. Die ältesten der vorhandenen Dokumente reichen
nur bis ins 16. Jahrhundert zurück, und es sind nur wenige, die überhaupt
über 1700 hinaufgehen. Der bei weitem größte Theil derselben ist neueren
Datums und beginnt etwa in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Darunter
befindet sich viel unbedeutendes. Ueber die Verwandtschaft und Freundschaft
des Verfassers erfahren wir mehr als nothwendig. Doch hat er neben vielem
geringfügigen, vielem, was höchstens noch lokalen Werth haben mag, uns
glücklicher Weise auch mancherlei aufbewahrt, was ein allgemeineres Interesse
beanspruchen darf. Vorzüglich verdienen die Tagebücher unseres Sammlers
selbst Beachtung, besonders deren erster Theil, den er aufzeichnete, ehe er
anfing, im Auftrage des Konventes zu schreiben. Sie beginnen im August 1777
und reichen mit verschiedenen größeren und kleineren Unterbrechungen bis Ende
1803. Einige kleinere Partieen. sind von dem Pater Placidus Calligari, einem
Mitbruder und Gesinnungsgenossen Karl nack's versaßt. Ab und zu finden
sich auch Randbemerkungen noch von andern Händen.

Diese Tagebücher sind in der That in hohem Grade merkwürdig und
unterscheiden sich sehr wesentlich von andern Aufzeichnungen der Art. Die
gewöhnlichen Klosterchroniken, Annalen und Tagebücher wissen fast nur von
den Schicksalen der klösterlichen Gemeinschaft im ganzen zu erzählen. Daß diese Ge¬
meinschaft sich aus verschiedenen verschieden denkenden und fühlenden Individuen
zusammensetzt, wird man kaum gewahr. Anders bei Karl nack. Er meldet
nicht allein die äußeren Vorkommnisse, sondern er beschreibt auch ausführlich,
wie sich die einzelnen Personen dazu stellten, was sie fühlten, dachten, sagten
und thaten. Er führt uns Menschen vor, aus Fleisch und Blut; von allen


zur Zeit der Säkularisation Großkeller und die leitende Persönlichkeit in der ge¬
nannten Abtei. Er galt bei seinen Konfratres offenbar für die vornehmste Autorität
in geschichtlichen Fragen, und ein gewisser historischer Sinn kann ihm anch nicht
abgesprochen werden; jedenfalls interessirte er sich lebhaft für die Geschichte
seines Stiftes. Vom April 1788 an führte er im Auftrage des Konventes die
Klosterchronik, nachdem er schon lange zuvor angefangen hatte, privatim und
zu seiner eigenen Unterhaltung die ihm merkwürdig erscheinenden Begebenheiten
aufzuzeichnen. Als das Kloster aufgehoben wurde, nahm er, ohne Zweifel
mit Wissen und Willen des Abtes und der angesehensten Mitglieder des Kapitels,
aus dem Archive alles zu sich, was ihm wichtig erschien oder was nicht in
unberufene Hände gerathen sollte. Später hat er dann noch vieles andere
hinzngescunmelt, und nach seinem Tode ist endlich alles, zusammen mit.seinen
Privatpapieren, in das Augsburger Stadtarchiv gekommen.

Für die Kenntniß der älteren Neresheimer Geschichte bietet uns diese
Sammlung wenig Gewinn. Die ältesten der vorhandenen Dokumente reichen
nur bis ins 16. Jahrhundert zurück, und es sind nur wenige, die überhaupt
über 1700 hinaufgehen. Der bei weitem größte Theil derselben ist neueren
Datums und beginnt etwa in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Darunter
befindet sich viel unbedeutendes. Ueber die Verwandtschaft und Freundschaft
des Verfassers erfahren wir mehr als nothwendig. Doch hat er neben vielem
geringfügigen, vielem, was höchstens noch lokalen Werth haben mag, uns
glücklicher Weise auch mancherlei aufbewahrt, was ein allgemeineres Interesse
beanspruchen darf. Vorzüglich verdienen die Tagebücher unseres Sammlers
selbst Beachtung, besonders deren erster Theil, den er aufzeichnete, ehe er
anfing, im Auftrage des Konventes zu schreiben. Sie beginnen im August 1777
und reichen mit verschiedenen größeren und kleineren Unterbrechungen bis Ende
1803. Einige kleinere Partieen. sind von dem Pater Placidus Calligari, einem
Mitbruder und Gesinnungsgenossen Karl nack's versaßt. Ab und zu finden
sich auch Randbemerkungen noch von andern Händen.

Diese Tagebücher sind in der That in hohem Grade merkwürdig und
unterscheiden sich sehr wesentlich von andern Aufzeichnungen der Art. Die
gewöhnlichen Klosterchroniken, Annalen und Tagebücher wissen fast nur von
den Schicksalen der klösterlichen Gemeinschaft im ganzen zu erzählen. Daß diese Ge¬
meinschaft sich aus verschiedenen verschieden denkenden und fühlenden Individuen
zusammensetzt, wird man kaum gewahr. Anders bei Karl nack. Er meldet
nicht allein die äußeren Vorkommnisse, sondern er beschreibt auch ausführlich,
wie sich die einzelnen Personen dazu stellten, was sie fühlten, dachten, sagten
und thaten. Er führt uns Menschen vor, aus Fleisch und Blut; von allen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/420>, abgerufen am 28.09.2024.