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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Ans diesen verflachenden Tagen äußerlichen Virtnosenthums, in der der Werth
des Gedankens unbeachtet blieb und nnr der Flitter der Kunst erstrebt war,
hebt sich Chopin's Erscheinung rein und hoch empor. Auch er war ja ein
Virtuos, aber ein Virtuos, wie jeder Künstler es sein muß. Die technische
Meisterschaft war ihm nur Zweck, die schönsten Wirkungen zu erreichen und
seinen Gedanken die feinste, edelste und graziöseste Ausdrucksweise zu geben.
Daher, und weil sie seiner tiefsten Seele entströmten, weil sie uns nicht von
der Fingerfertigkeit ihres Erfinders allein, sondern auch und mehr noch vom
Leid, Sehnen, Träumen und Hoffen eines vielgetäuschteu Menschenherzens
Kunde geben, haben Chopins Kompositionen die aller feiner virtuosen Zeitge¬
nossen überdauert. Das vorliegende Buch enthält zudem eine große Zahl von
Berichtigungen irriger, über Chopin verbreiteter Meinungen und Nachrichten,
und wenn auch mit warmer Begeisterung geschrieben, bleibt doch die ganze
Darstellung desselben stets eine ruhige und von jeder Berhimmelung freie. Die
Verlagshandlung hat das Werk, das schon um der mitgetheilten Briefe willen
unschätzbar ist, ansprechend ausgestattet.




Klosterleben zur Zeit der Aufklärung.
(Aus dem Tagebuche eines Mönches.)
Von Adolf Bttff. I.

In dem städtischen Archive zu Augsburg befinden sich gegen 130 Bündel
beschriebener Papiere, deren Inhalt durchweg in näherer oder entfernterer Be¬
ziehung zu der ehemaligen reichsunmittelbaren Benediktinerabtei Neresheim
steht. Das Städtchen Neresheim liegt in dem östlichsten Winkel Würtembergs,
etwa in der Mitte zwischen Heidenheim und Nördlingen. Das Kloster gleichen
Namens wurde, wie es heißt, im Jahre 1095 gegründet oder eigentlich neu-
gegründet, denn es soll schon vorher bestanden haben, aber wieder zu Grunde
gegangen sein. Nach mancherlei wechselnden Geschicken wurde es im Anfange
unseres Jahrhunderts bei der allgemeinen Säkularisation der geistlichen Stifter
aufgelöst. Sein Gebiet fiel zuerst, 1803, an Thurm und Taxis, denn, 1807,
an Baiern und wurde endlich, 1810, an Würtemberg abgetreten.

Die erwähnten Papiere stammen sämmtlich ans dem Nachlasse des am
18. IM 1828 verstorbenen Augsburger Domherrn Karl nack. Dieser war


Ans diesen verflachenden Tagen äußerlichen Virtnosenthums, in der der Werth
des Gedankens unbeachtet blieb und nnr der Flitter der Kunst erstrebt war,
hebt sich Chopin's Erscheinung rein und hoch empor. Auch er war ja ein
Virtuos, aber ein Virtuos, wie jeder Künstler es sein muß. Die technische
Meisterschaft war ihm nur Zweck, die schönsten Wirkungen zu erreichen und
seinen Gedanken die feinste, edelste und graziöseste Ausdrucksweise zu geben.
Daher, und weil sie seiner tiefsten Seele entströmten, weil sie uns nicht von
der Fingerfertigkeit ihres Erfinders allein, sondern auch und mehr noch vom
Leid, Sehnen, Träumen und Hoffen eines vielgetäuschteu Menschenherzens
Kunde geben, haben Chopins Kompositionen die aller feiner virtuosen Zeitge¬
nossen überdauert. Das vorliegende Buch enthält zudem eine große Zahl von
Berichtigungen irriger, über Chopin verbreiteter Meinungen und Nachrichten,
und wenn auch mit warmer Begeisterung geschrieben, bleibt doch die ganze
Darstellung desselben stets eine ruhige und von jeder Berhimmelung freie. Die
Verlagshandlung hat das Werk, das schon um der mitgetheilten Briefe willen
unschätzbar ist, ansprechend ausgestattet.




Klosterleben zur Zeit der Aufklärung.
(Aus dem Tagebuche eines Mönches.)
Von Adolf Bttff. I.

In dem städtischen Archive zu Augsburg befinden sich gegen 130 Bündel
beschriebener Papiere, deren Inhalt durchweg in näherer oder entfernterer Be¬
ziehung zu der ehemaligen reichsunmittelbaren Benediktinerabtei Neresheim
steht. Das Städtchen Neresheim liegt in dem östlichsten Winkel Würtembergs,
etwa in der Mitte zwischen Heidenheim und Nördlingen. Das Kloster gleichen
Namens wurde, wie es heißt, im Jahre 1095 gegründet oder eigentlich neu-
gegründet, denn es soll schon vorher bestanden haben, aber wieder zu Grunde
gegangen sein. Nach mancherlei wechselnden Geschicken wurde es im Anfange
unseres Jahrhunderts bei der allgemeinen Säkularisation der geistlichen Stifter
aufgelöst. Sein Gebiet fiel zuerst, 1803, an Thurm und Taxis, denn, 1807,
an Baiern und wurde endlich, 1810, an Würtemberg abgetreten.

Die erwähnten Papiere stammen sämmtlich ans dem Nachlasse des am
18. IM 1828 verstorbenen Augsburger Domherrn Karl nack. Dieser war


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[0419] Ans diesen verflachenden Tagen äußerlichen Virtnosenthums, in der der Werth des Gedankens unbeachtet blieb und nnr der Flitter der Kunst erstrebt war, hebt sich Chopin's Erscheinung rein und hoch empor. Auch er war ja ein Virtuos, aber ein Virtuos, wie jeder Künstler es sein muß. Die technische Meisterschaft war ihm nur Zweck, die schönsten Wirkungen zu erreichen und seinen Gedanken die feinste, edelste und graziöseste Ausdrucksweise zu geben. Daher, und weil sie seiner tiefsten Seele entströmten, weil sie uns nicht von der Fingerfertigkeit ihres Erfinders allein, sondern auch und mehr noch vom Leid, Sehnen, Träumen und Hoffen eines vielgetäuschteu Menschenherzens Kunde geben, haben Chopins Kompositionen die aller feiner virtuosen Zeitge¬ nossen überdauert. Das vorliegende Buch enthält zudem eine große Zahl von Berichtigungen irriger, über Chopin verbreiteter Meinungen und Nachrichten, und wenn auch mit warmer Begeisterung geschrieben, bleibt doch die ganze Darstellung desselben stets eine ruhige und von jeder Berhimmelung freie. Die Verlagshandlung hat das Werk, das schon um der mitgetheilten Briefe willen unschätzbar ist, ansprechend ausgestattet. Klosterleben zur Zeit der Aufklärung. (Aus dem Tagebuche eines Mönches.) Von Adolf Bttff. I. In dem städtischen Archive zu Augsburg befinden sich gegen 130 Bündel beschriebener Papiere, deren Inhalt durchweg in näherer oder entfernterer Be¬ ziehung zu der ehemaligen reichsunmittelbaren Benediktinerabtei Neresheim steht. Das Städtchen Neresheim liegt in dem östlichsten Winkel Würtembergs, etwa in der Mitte zwischen Heidenheim und Nördlingen. Das Kloster gleichen Namens wurde, wie es heißt, im Jahre 1095 gegründet oder eigentlich neu- gegründet, denn es soll schon vorher bestanden haben, aber wieder zu Grunde gegangen sein. Nach mancherlei wechselnden Geschicken wurde es im Anfange unseres Jahrhunderts bei der allgemeinen Säkularisation der geistlichen Stifter aufgelöst. Sein Gebiet fiel zuerst, 1803, an Thurm und Taxis, denn, 1807, an Baiern und wurde endlich, 1810, an Würtemberg abgetreten. Die erwähnten Papiere stammen sämmtlich ans dem Nachlasse des am 18. IM 1828 verstorbenen Augsburger Domherrn Karl nack. Dieser war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/419>, abgerufen am 28.09.2024.