Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

daher Alles im Jahre 1858 nach Warschau gebracht. Drei Jahre später ging
der Besitz in die Hände der Schwester Chopin's über, welche die zweite Etage
zweier neben einander stehender Häuser, die Grenzscheide der "Neuen-Welt" und
der "Krakauer Vorstadt" bildend und dem Grafen Andr. Zamoyski gehörend,
bewohnte. Im Herbste 1863 machten einige exaltirte junge Leute einen An¬
schlag ans das Leben des Statthalters Grafen Berg. Als derselbe am Abend
des 19. Sept. in einem von einer Tscherkesseneskorte umgebenen Wagen aus
dem Belvedere nach dem Schlosse zurückfuhr, fiel aus der vierten Etage des
Zamoyski'schen Hauses ein Schuß, dem einige Orsini-Bomben folgten. Auf
der Straße entstand große Verwirrung, doch wurde Niemand verwundet.
Sofort wurden beide Häuser vom Militär umringt, die Frauen auf die
Straße, die Männer in die Zitadelle geschleppt. Die wüthende Soldateska
stürzte dann, Alles vernichtend und demvlirend, vou Stockwerk zu Stockwerk;
darauf wurde das ganze Mobiliqr der nur vou wohlhabenden Leuten be¬
wohnten Zimmer auf die Straße geworfen, (darunter allein 15 bis 20 Flügel)
zu einem riesigen Holzstoß geschichtet und von den rasenden, bis zur Sinn¬
losigkeit betrunkenen Soldaten verbrannt. Mit Büchern, Briefschaften und
Gemälden nährte man das Feuer. Man erzählt, daß ein Offizier lange das
von Arry Schäffer gemalte herrliche und unersetzliche Portrait des Künstler's,
dessen ganzer Nachlaß hier elendester und brutalster Vernichtung anheim fiel,
betrachtete, ehe er es ebenfalls in's Feuer warf.

Daß die Biographie Chopin's, aus der wir hier eine flüchtige Skizze
gaben, nicht allein für den, der dem Studium seiner Kompositionen mit Inte¬
resse sich zuwendet oder der sie mit Vorliebe hört, von Wichtigkeit ist, braucht
nicht versichert zu werden. Es liegt hier ein Buch vor, wohl geeignet, allge¬
meinste Theilnahme hervorzurufen. Wird doch ein edler, liebenswürdiger, auch
geistig hochbedeutender Mensch stets ein Gegenstand der Verehrung und eine
sympathische Erscheinung fein, selbst wenn er nicht ein so hervorragender
Künstler wäre. Das Buch versetzt uns in eine nicht zu ferne Zeit zurück, die
doch ihrem ganzen Empfinden und Streben nach für uns schon so weitab liegt.
Es war die Periode des glänzendsten Virtuosenthums. Namen, deren Ruhm
für alle Zeiten gesichert schien, klingen, mehr oder minder zum leeren Schall
geworden, noch bis zur Stunde aus ihr zu uns herüber. Man darf wohl
behaupten, ein neuer Geist durchdringt und belebt heute die musikalische Kunst.
Die Zeit der ausschließlichen Virtuosität, wenn wir auch zu ihrem letzten
großen Vertreter, der heute noch in ungebrochener Kraft unter uns wandelt,
mit Verehrung aufblicken, ist vorüber. Die Gegenwart macht höhere Ansprüche
an einen Künstler und feine Leistung als die, uns nnr mit technischem Ton¬
geklingel oder gauklerischen, halsbrecherischen Kunststücken unterhalten zu können.


daher Alles im Jahre 1858 nach Warschau gebracht. Drei Jahre später ging
der Besitz in die Hände der Schwester Chopin's über, welche die zweite Etage
zweier neben einander stehender Häuser, die Grenzscheide der „Neuen-Welt" und
der „Krakauer Vorstadt" bildend und dem Grafen Andr. Zamoyski gehörend,
bewohnte. Im Herbste 1863 machten einige exaltirte junge Leute einen An¬
schlag ans das Leben des Statthalters Grafen Berg. Als derselbe am Abend
des 19. Sept. in einem von einer Tscherkesseneskorte umgebenen Wagen aus
dem Belvedere nach dem Schlosse zurückfuhr, fiel aus der vierten Etage des
Zamoyski'schen Hauses ein Schuß, dem einige Orsini-Bomben folgten. Auf
der Straße entstand große Verwirrung, doch wurde Niemand verwundet.
Sofort wurden beide Häuser vom Militär umringt, die Frauen auf die
Straße, die Männer in die Zitadelle geschleppt. Die wüthende Soldateska
stürzte dann, Alles vernichtend und demvlirend, vou Stockwerk zu Stockwerk;
darauf wurde das ganze Mobiliqr der nur vou wohlhabenden Leuten be¬
wohnten Zimmer auf die Straße geworfen, (darunter allein 15 bis 20 Flügel)
zu einem riesigen Holzstoß geschichtet und von den rasenden, bis zur Sinn¬
losigkeit betrunkenen Soldaten verbrannt. Mit Büchern, Briefschaften und
Gemälden nährte man das Feuer. Man erzählt, daß ein Offizier lange das
von Arry Schäffer gemalte herrliche und unersetzliche Portrait des Künstler's,
dessen ganzer Nachlaß hier elendester und brutalster Vernichtung anheim fiel,
betrachtete, ehe er es ebenfalls in's Feuer warf.

Daß die Biographie Chopin's, aus der wir hier eine flüchtige Skizze
gaben, nicht allein für den, der dem Studium seiner Kompositionen mit Inte¬
resse sich zuwendet oder der sie mit Vorliebe hört, von Wichtigkeit ist, braucht
nicht versichert zu werden. Es liegt hier ein Buch vor, wohl geeignet, allge¬
meinste Theilnahme hervorzurufen. Wird doch ein edler, liebenswürdiger, auch
geistig hochbedeutender Mensch stets ein Gegenstand der Verehrung und eine
sympathische Erscheinung fein, selbst wenn er nicht ein so hervorragender
Künstler wäre. Das Buch versetzt uns in eine nicht zu ferne Zeit zurück, die
doch ihrem ganzen Empfinden und Streben nach für uns schon so weitab liegt.
Es war die Periode des glänzendsten Virtuosenthums. Namen, deren Ruhm
für alle Zeiten gesichert schien, klingen, mehr oder minder zum leeren Schall
geworden, noch bis zur Stunde aus ihr zu uns herüber. Man darf wohl
behaupten, ein neuer Geist durchdringt und belebt heute die musikalische Kunst.
Die Zeit der ausschließlichen Virtuosität, wenn wir auch zu ihrem letzten
großen Vertreter, der heute noch in ungebrochener Kraft unter uns wandelt,
mit Verehrung aufblicken, ist vorüber. Die Gegenwart macht höhere Ansprüche
an einen Künstler und feine Leistung als die, uns nnr mit technischem Ton¬
geklingel oder gauklerischen, halsbrecherischen Kunststücken unterhalten zu können.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0418" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138649"/>
          <p xml:id="ID_1274" prev="#ID_1273"> daher Alles im Jahre 1858 nach Warschau gebracht. Drei Jahre später ging<lb/>
der Besitz in die Hände der Schwester Chopin's über, welche die zweite Etage<lb/>
zweier neben einander stehender Häuser, die Grenzscheide der &#x201E;Neuen-Welt" und<lb/>
der &#x201E;Krakauer Vorstadt" bildend und dem Grafen Andr. Zamoyski gehörend,<lb/>
bewohnte. Im Herbste 1863 machten einige exaltirte junge Leute einen An¬<lb/>
schlag ans das Leben des Statthalters Grafen Berg. Als derselbe am Abend<lb/>
des 19. Sept. in einem von einer Tscherkesseneskorte umgebenen Wagen aus<lb/>
dem Belvedere nach dem Schlosse zurückfuhr, fiel aus der vierten Etage des<lb/>
Zamoyski'schen Hauses ein Schuß, dem einige Orsini-Bomben folgten. Auf<lb/>
der Straße entstand große Verwirrung, doch wurde Niemand verwundet.<lb/>
Sofort wurden beide Häuser vom Militär umringt, die Frauen auf die<lb/>
Straße, die Männer in die Zitadelle geschleppt. Die wüthende Soldateska<lb/>
stürzte dann, Alles vernichtend und demvlirend, vou Stockwerk zu Stockwerk;<lb/>
darauf wurde das ganze Mobiliqr der nur vou wohlhabenden Leuten be¬<lb/>
wohnten Zimmer auf die Straße geworfen, (darunter allein 15 bis 20 Flügel)<lb/>
zu einem riesigen Holzstoß geschichtet und von den rasenden, bis zur Sinn¬<lb/>
losigkeit betrunkenen Soldaten verbrannt. Mit Büchern, Briefschaften und<lb/>
Gemälden nährte man das Feuer. Man erzählt, daß ein Offizier lange das<lb/>
von Arry Schäffer gemalte herrliche und unersetzliche Portrait des Künstler's,<lb/>
dessen ganzer Nachlaß hier elendester und brutalster Vernichtung anheim fiel,<lb/>
betrachtete, ehe er es ebenfalls in's Feuer warf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1275" next="#ID_1276"> Daß die Biographie Chopin's, aus der wir hier eine flüchtige Skizze<lb/>
gaben, nicht allein für den, der dem Studium seiner Kompositionen mit Inte¬<lb/>
resse sich zuwendet oder der sie mit Vorliebe hört, von Wichtigkeit ist, braucht<lb/>
nicht versichert zu werden. Es liegt hier ein Buch vor, wohl geeignet, allge¬<lb/>
meinste Theilnahme hervorzurufen. Wird doch ein edler, liebenswürdiger, auch<lb/>
geistig hochbedeutender Mensch stets ein Gegenstand der Verehrung und eine<lb/>
sympathische Erscheinung fein, selbst wenn er nicht ein so hervorragender<lb/>
Künstler wäre. Das Buch versetzt uns in eine nicht zu ferne Zeit zurück, die<lb/>
doch ihrem ganzen Empfinden und Streben nach für uns schon so weitab liegt.<lb/>
Es war die Periode des glänzendsten Virtuosenthums. Namen, deren Ruhm<lb/>
für alle Zeiten gesichert schien, klingen, mehr oder minder zum leeren Schall<lb/>
geworden, noch bis zur Stunde aus ihr zu uns herüber. Man darf wohl<lb/>
behaupten, ein neuer Geist durchdringt und belebt heute die musikalische Kunst.<lb/>
Die Zeit der ausschließlichen Virtuosität, wenn wir auch zu ihrem letzten<lb/>
großen Vertreter, der heute noch in ungebrochener Kraft unter uns wandelt,<lb/>
mit Verehrung aufblicken, ist vorüber. Die Gegenwart macht höhere Ansprüche<lb/>
an einen Künstler und feine Leistung als die, uns nnr mit technischem Ton¬<lb/>
geklingel oder gauklerischen, halsbrecherischen Kunststücken unterhalten zu können.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0418] daher Alles im Jahre 1858 nach Warschau gebracht. Drei Jahre später ging der Besitz in die Hände der Schwester Chopin's über, welche die zweite Etage zweier neben einander stehender Häuser, die Grenzscheide der „Neuen-Welt" und der „Krakauer Vorstadt" bildend und dem Grafen Andr. Zamoyski gehörend, bewohnte. Im Herbste 1863 machten einige exaltirte junge Leute einen An¬ schlag ans das Leben des Statthalters Grafen Berg. Als derselbe am Abend des 19. Sept. in einem von einer Tscherkesseneskorte umgebenen Wagen aus dem Belvedere nach dem Schlosse zurückfuhr, fiel aus der vierten Etage des Zamoyski'schen Hauses ein Schuß, dem einige Orsini-Bomben folgten. Auf der Straße entstand große Verwirrung, doch wurde Niemand verwundet. Sofort wurden beide Häuser vom Militär umringt, die Frauen auf die Straße, die Männer in die Zitadelle geschleppt. Die wüthende Soldateska stürzte dann, Alles vernichtend und demvlirend, vou Stockwerk zu Stockwerk; darauf wurde das ganze Mobiliqr der nur vou wohlhabenden Leuten be¬ wohnten Zimmer auf die Straße geworfen, (darunter allein 15 bis 20 Flügel) zu einem riesigen Holzstoß geschichtet und von den rasenden, bis zur Sinn¬ losigkeit betrunkenen Soldaten verbrannt. Mit Büchern, Briefschaften und Gemälden nährte man das Feuer. Man erzählt, daß ein Offizier lange das von Arry Schäffer gemalte herrliche und unersetzliche Portrait des Künstler's, dessen ganzer Nachlaß hier elendester und brutalster Vernichtung anheim fiel, betrachtete, ehe er es ebenfalls in's Feuer warf. Daß die Biographie Chopin's, aus der wir hier eine flüchtige Skizze gaben, nicht allein für den, der dem Studium seiner Kompositionen mit Inte¬ resse sich zuwendet oder der sie mit Vorliebe hört, von Wichtigkeit ist, braucht nicht versichert zu werden. Es liegt hier ein Buch vor, wohl geeignet, allge¬ meinste Theilnahme hervorzurufen. Wird doch ein edler, liebenswürdiger, auch geistig hochbedeutender Mensch stets ein Gegenstand der Verehrung und eine sympathische Erscheinung fein, selbst wenn er nicht ein so hervorragender Künstler wäre. Das Buch versetzt uns in eine nicht zu ferne Zeit zurück, die doch ihrem ganzen Empfinden und Streben nach für uns schon so weitab liegt. Es war die Periode des glänzendsten Virtuosenthums. Namen, deren Ruhm für alle Zeiten gesichert schien, klingen, mehr oder minder zum leeren Schall geworden, noch bis zur Stunde aus ihr zu uns herüber. Man darf wohl behaupten, ein neuer Geist durchdringt und belebt heute die musikalische Kunst. Die Zeit der ausschließlichen Virtuosität, wenn wir auch zu ihrem letzten großen Vertreter, der heute noch in ungebrochener Kraft unter uns wandelt, mit Verehrung aufblicken, ist vorüber. Die Gegenwart macht höhere Ansprüche an einen Künstler und feine Leistung als die, uns nnr mit technischem Ton¬ geklingel oder gauklerischen, halsbrecherischen Kunststücken unterhalten zu können.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/418
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/418>, abgerufen am 28.09.2024.