Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.Zerstreuung auf einer Reise nach London. Aber sein Zustand war schon zu "Chopin war ein musterhafter Sohn, ein anhänglicher Bruder, ein treuer Der beklagenswerthe Verlust des größten Theiles der Chopinschen Korre¬ Grenzboten III. 1377. S2
Zerstreuung auf einer Reise nach London. Aber sein Zustand war schon zu „Chopin war ein musterhafter Sohn, ein anhänglicher Bruder, ein treuer Der beklagenswerthe Verlust des größten Theiles der Chopinschen Korre¬ Grenzboten III. 1377. S2
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0417" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138648"/> <p xml:id="ID_1271" prev="#ID_1270"> Zerstreuung auf einer Reise nach London. Aber sein Zustand war schon zu<lb/> hoffnungslos, als daß er die Aufregungen eines Aufenthaltes in England und<lb/> Schottland) wo er sich zudem vielfach zu öffentlichem Spiele gezwungen sah,<lb/> hätte ertragen können. Sein Lebensüberdruß nahm in London von Tag zu<lb/> zu Tage zu. Die Engländerinnen waren allerdings sehr gut und liebenswürdig<lb/> gegen ihn, „aber auch so langweilig, daß Gott erbarm!" Anfangs 1849 kehrte<lb/> er in sein geliebtes Paris zurück. Nun aber machte seine Krankheit rapide<lb/> Fortschritte. Seine Schwester Louise, seine Freundin, die Gräfin Delphine<lb/> Potocka, eilten aus weiter Ferne an das Bett des Sterbenden; er verschied in<lb/> den Armen seines Schülers und treuen Pflegers Gutmann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1272"> „Chopin war ein musterhafter Sohn, ein anhänglicher Bruder, ein treuer<lb/> Freund, seinen Landsleuten ein aufopfernder Wohlthäter. Sein Aeußeres hatte<lb/> etwas so harmonisches, angenehmes, daß der Blick nur gerne ans ihm<lb/> weilte: sein dunkelbraunes Auge erglänzte eher heiter als träumerisch, sein<lb/> Lächeln blieb liebenswürdig und frei von aller Bitterkeit. Sehr schön war<lb/> feine feine, fast durchsichtige Gesichtsfarbe, sein reiches Haar dunkelblond und<lb/> weich wie Seide; seine Nase war leicht gebogen, von römischem Schnitt.<lb/> Seine Bewegungen erschienen elegant, und in seinem Umgange hatte er die<lb/> Manieren eines Aristokraten von höchster und edelster Art. Jeder, der sich<lb/> auf wahre Vornehmheit und echte Genialität verstand, mußte, sobald er ihn<lb/> sah, sagen: „Das ist ein außerordentlicher Mann!" Der Klang seiner Stimme<lb/> wahr wohllautend und etwas gedämpft. Er war nicht über Mittelgröße, von<lb/> Natur zart und ähnelte im allgemeinen seiner Mutter. Sem Gemüth war<lb/> heiter, aber sein Herz voll träumerischer Sehnsucht; durch sein ganzes Wesen<lb/> ging ein Zug von Wehmuth und Schwärmerei, der jeden anzog und sür ihn<lb/> einnahm. An Eleganz und Behaglichkeit gewöhnt, liebte er es, sich mit Luxus<lb/> W umgeben. Zierliche Möbel, kostbare Teppiche, kostbare, mit Andenken reich<lb/> bedeckte Etageren mußten seine Gemächer schmücken. Blumen liebte er leiden¬<lb/> schaftlich. Sein Anzug war stets fein und gewählt, seine Wäsche blendend.<lb/> Hatte er ja einmal öffentlich zu spielen, so bestellte er sich bei den ersten<lb/> Schneidern der Hauptstadt Fräcke, die ihm dann alle nicht genügten, so daß<lb/> er zuletzt sich den Frack Gntmanns borgte, der ihm doch viel zu weit war."<lb/> '</p><lb/> <p xml:id="ID_1273" next="#ID_1274"> Der beklagenswerthe Verlust des größten Theiles der Chopinschen Korre¬<lb/> spondenz wurde auf folgende Weise herbeigeführt: Als nach des Meisters Hin¬<lb/> scheiden sein Nachlaß zum öffentlichen Verkaufe ausgestellt wurde, erwarb<lb/> Miß Stirling, seine Schülerin und enthusiastische Verehrerin, den größten und<lb/> werthvollsten Theil desselben. Sie nahm ihn mit nach Schottland und bildete<lb/> daraus eine Art Chopin-Museum. In ihrem Testamente bestimmte sie, daß<lb/> dasselbe nach ihrem Tode der Mutter des Künstlers zufallen sollte. Es wurde</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1377. S2</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0417]
Zerstreuung auf einer Reise nach London. Aber sein Zustand war schon zu
hoffnungslos, als daß er die Aufregungen eines Aufenthaltes in England und
Schottland) wo er sich zudem vielfach zu öffentlichem Spiele gezwungen sah,
hätte ertragen können. Sein Lebensüberdruß nahm in London von Tag zu
zu Tage zu. Die Engländerinnen waren allerdings sehr gut und liebenswürdig
gegen ihn, „aber auch so langweilig, daß Gott erbarm!" Anfangs 1849 kehrte
er in sein geliebtes Paris zurück. Nun aber machte seine Krankheit rapide
Fortschritte. Seine Schwester Louise, seine Freundin, die Gräfin Delphine
Potocka, eilten aus weiter Ferne an das Bett des Sterbenden; er verschied in
den Armen seines Schülers und treuen Pflegers Gutmann.
„Chopin war ein musterhafter Sohn, ein anhänglicher Bruder, ein treuer
Freund, seinen Landsleuten ein aufopfernder Wohlthäter. Sein Aeußeres hatte
etwas so harmonisches, angenehmes, daß der Blick nur gerne ans ihm
weilte: sein dunkelbraunes Auge erglänzte eher heiter als träumerisch, sein
Lächeln blieb liebenswürdig und frei von aller Bitterkeit. Sehr schön war
feine feine, fast durchsichtige Gesichtsfarbe, sein reiches Haar dunkelblond und
weich wie Seide; seine Nase war leicht gebogen, von römischem Schnitt.
Seine Bewegungen erschienen elegant, und in seinem Umgange hatte er die
Manieren eines Aristokraten von höchster und edelster Art. Jeder, der sich
auf wahre Vornehmheit und echte Genialität verstand, mußte, sobald er ihn
sah, sagen: „Das ist ein außerordentlicher Mann!" Der Klang seiner Stimme
wahr wohllautend und etwas gedämpft. Er war nicht über Mittelgröße, von
Natur zart und ähnelte im allgemeinen seiner Mutter. Sem Gemüth war
heiter, aber sein Herz voll träumerischer Sehnsucht; durch sein ganzes Wesen
ging ein Zug von Wehmuth und Schwärmerei, der jeden anzog und sür ihn
einnahm. An Eleganz und Behaglichkeit gewöhnt, liebte er es, sich mit Luxus
W umgeben. Zierliche Möbel, kostbare Teppiche, kostbare, mit Andenken reich
bedeckte Etageren mußten seine Gemächer schmücken. Blumen liebte er leiden¬
schaftlich. Sein Anzug war stets fein und gewählt, seine Wäsche blendend.
Hatte er ja einmal öffentlich zu spielen, so bestellte er sich bei den ersten
Schneidern der Hauptstadt Fräcke, die ihm dann alle nicht genügten, so daß
er zuletzt sich den Frack Gntmanns borgte, der ihm doch viel zu weit war."
'
Der beklagenswerthe Verlust des größten Theiles der Chopinschen Korre¬
spondenz wurde auf folgende Weise herbeigeführt: Als nach des Meisters Hin¬
scheiden sein Nachlaß zum öffentlichen Verkaufe ausgestellt wurde, erwarb
Miß Stirling, seine Schülerin und enthusiastische Verehrerin, den größten und
werthvollsten Theil desselben. Sie nahm ihn mit nach Schottland und bildete
daraus eine Art Chopin-Museum. In ihrem Testamente bestimmte sie, daß
dasselbe nach ihrem Tode der Mutter des Künstlers zufallen sollte. Es wurde
Grenzboten III. 1377. S2
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |