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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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drei größten Zeitungen der deutschen Schweiz, die "Neue Züricher Zeitung",
der "Berner Bund" und die "Basler Grenzpost" den Gedanken, daß die Gott-
hardbahn gebaut werden müsse, die Schweiz unter allen Umständen die ihr
zugemessenen acht Millionen aufzubringen habe, theilweise aus Kantons- und
theilweise aus Buudesmitteln, Den letzteren Ausweg befürwortet namentlich
die "Grenzpost" in beredter und überzeugender Weise durch Aufzählung aller
Subsidien, welche der Bund in den letzten Jahren für ganz lokale Interessen
gezahlt habe. Daß die rennenden Kantone ihr letztes Wort noch nicht gesprochen,
wird allgemein geglaubt.*) Im Ganzen trägt aber doch die Stimmung in
der Schweiz über die Mittel zur Beschaffung der acht Millionen zur Zeit
noch sehr den Charakter der Rathlosigkeit. Denkwürdige Aeußerungen ganz
besonders kundiger Thebaner werden dabei mit großer Würde auf den politischen
Markt gebracht. So schreibt der "Bund", nachdem er ausgeführt, daß über
die "leitende Person in der Direktion der Gvtthardbahngesellschaft" -- Alfred
Escher, der, einer der reichsten Schweizer, uneigennützig viele Jahre lang mit
größter Energie an der Verwirklichung-der Gotthardlinie gearbeitet hat --
"von den verschiedendsten Seiten in privaten (!) Gesprächen harte Worte fielen",
wörtlich den klassischen Satz: "Der Eisenbahnbaron kann in der Sache nichts
mehr thun, er muß die Arbeit den Volkstribunen überlassen!"

Das ist allerdings die einfachste Lösung der Gotthardfrage. Man entferne
aus der Direktion die sachverständigen Männer und setze an ihre Stelle den
radikalen Unverstand, der mit dem Munde Millionen aus der Erde stampft,
und man wird alle "verschobenen" Linien gleichzeitig mit Jmmensee-Pluv
herstellen können. Nur die eine Frage dürfte ihre Schwierigkeiten haben,
wo diese Sorte von Volkstribunen zu finden ist. Und vielleicht auch die
andere, ob, wenn es gelingt, Leute aufzutreiben, welche zu diesen Volks¬
tribunenamt Standhaftigkeit genug besitzen, Deutschland und Italien nicht
vielleicht ihre Millionen lieber einer weniger kühnen und radikalen Verwaltung
anvertrauen.

Eine ebenso einfache und noch viel zuverlässigere Lösung der Frage würde
die sein, die Beschaffung aller noch fehlenden Millionen irgend einer anonymen
französischen Gesellschaft zu übertragen. Frankreich wartet nur darauf, diese
Losung ausgegeben zu hören. Seine Millionen stehen dem Gotthard bestimmt
zur Verfügung, so bestimmt wie die mit Gold beladenen Esel des makedonischer
Philipp bedürftigen griechischen Festungskvmmandanten zur Verfügung standen.
Der Kantönligeist braucht dann keine Opfer zu bringen. Aber er wird dann



*) Nach den neuesten Nachrichten hat der Bundesrath eine Kommission von Vertrauens¬
männern zur Einreichnng von Vorschlagen betreffs der Aufbringung der acht Millionen aus
den 14. August uach Bern einberufen.

drei größten Zeitungen der deutschen Schweiz, die „Neue Züricher Zeitung",
der „Berner Bund" und die „Basler Grenzpost" den Gedanken, daß die Gott-
hardbahn gebaut werden müsse, die Schweiz unter allen Umständen die ihr
zugemessenen acht Millionen aufzubringen habe, theilweise aus Kantons- und
theilweise aus Buudesmitteln, Den letzteren Ausweg befürwortet namentlich
die „Grenzpost" in beredter und überzeugender Weise durch Aufzählung aller
Subsidien, welche der Bund in den letzten Jahren für ganz lokale Interessen
gezahlt habe. Daß die rennenden Kantone ihr letztes Wort noch nicht gesprochen,
wird allgemein geglaubt.*) Im Ganzen trägt aber doch die Stimmung in
der Schweiz über die Mittel zur Beschaffung der acht Millionen zur Zeit
noch sehr den Charakter der Rathlosigkeit. Denkwürdige Aeußerungen ganz
besonders kundiger Thebaner werden dabei mit großer Würde auf den politischen
Markt gebracht. So schreibt der „Bund", nachdem er ausgeführt, daß über
die „leitende Person in der Direktion der Gvtthardbahngesellschaft" — Alfred
Escher, der, einer der reichsten Schweizer, uneigennützig viele Jahre lang mit
größter Energie an der Verwirklichung-der Gotthardlinie gearbeitet hat —
„von den verschiedendsten Seiten in privaten (!) Gesprächen harte Worte fielen",
wörtlich den klassischen Satz: „Der Eisenbahnbaron kann in der Sache nichts
mehr thun, er muß die Arbeit den Volkstribunen überlassen!"

Das ist allerdings die einfachste Lösung der Gotthardfrage. Man entferne
aus der Direktion die sachverständigen Männer und setze an ihre Stelle den
radikalen Unverstand, der mit dem Munde Millionen aus der Erde stampft,
und man wird alle „verschobenen" Linien gleichzeitig mit Jmmensee-Pluv
herstellen können. Nur die eine Frage dürfte ihre Schwierigkeiten haben,
wo diese Sorte von Volkstribunen zu finden ist. Und vielleicht auch die
andere, ob, wenn es gelingt, Leute aufzutreiben, welche zu diesen Volks¬
tribunenamt Standhaftigkeit genug besitzen, Deutschland und Italien nicht
vielleicht ihre Millionen lieber einer weniger kühnen und radikalen Verwaltung
anvertrauen.

Eine ebenso einfache und noch viel zuverlässigere Lösung der Frage würde
die sein, die Beschaffung aller noch fehlenden Millionen irgend einer anonymen
französischen Gesellschaft zu übertragen. Frankreich wartet nur darauf, diese
Losung ausgegeben zu hören. Seine Millionen stehen dem Gotthard bestimmt
zur Verfügung, so bestimmt wie die mit Gold beladenen Esel des makedonischer
Philipp bedürftigen griechischen Festungskvmmandanten zur Verfügung standen.
Der Kantönligeist braucht dann keine Opfer zu bringen. Aber er wird dann



*) Nach den neuesten Nachrichten hat der Bundesrath eine Kommission von Vertrauens¬
männern zur Einreichnng von Vorschlagen betreffs der Aufbringung der acht Millionen aus
den 14. August uach Bern einberufen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/394>, abgerufen am 28.09.2024.