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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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nach einiger Zeit auch die Sorge für die Regierung französischen Händen über¬
lassen können und in der Gotthardstraße eine treffliche Heerstraße der friedfertigen
französischen Nation besitzen. Die starken Forts, welche Frankreich in diesem
Augenblick in der Gegend von Blamont am Ausgange des Thales von Pruntrut
fertig stellt, als moderne Zwing-Aris der benachbarten Jurapässe der neutralen
Schweiz, bilden die erste Etappe auf dieser französischen Heerstraße.


Viäeg.ut con3ulL8, yuiä rosxudliog. äiztrimsuti e^xiat.


Wiewohl Karlsbad mit Vorliebe gerade im Frühsommer aufgesucht wird,
hielt doch in diesem Jahre, wie schon so manches Mal, der naßkalte Mai die
Badegäste fern. Noch in der letzten Woche des Mai fand man fast an jedem
Hause die bekannte Tafel mit der Aufschrift "Wohnung" und vor der Thüre
in der Regel die ganze Familie des Hausbesitzers, Vater, Mutter, Töchter,
Mägde und Hausknecht (oder, wie man ihn hier gebildeter Weise nennt, Haus-
Meister), welche mit vereinten Kräften auslugten, um einen Einmiether aufzu-
fangen. Sowie aber wärmere Witterung eintrat, gab es auch in den besseren
Lagen bald Häuser genug, welche völlig besetzt waren, und Ende Juni wies
die Kurliste schon über 10,000 Kurgäste und damit bereits 500 Personen mehr
auf, als die gleichzeitige Kurliste des vorigen Jahres, ein Beweis, daß trotz
der "schlechten Zeiten" die Anziehungskraft Karlsbads in immer weiteren
Kreisen wirkt.

Ehemals, als das Reisen noch kostspielig war, hatte auch Karlsbad, wie
andere Badeorte, einen durchaus aristokratischen Charakter; noch bis in die
dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts hinein genossen fast nur Kaiser, Könige,
Fürsten, Grafen und Barone, aus dem Bürgerstande aber nur die reichsten
Leute das Vorrecht, Bäder zu besuchen, und an diese Zeiten mit ihren glän¬
zenden Festlichkeiten und ihrem strömenden Goldregen denkt das ältere Ge¬
schlecht der Karlsbader Hausbesitzer nur mit stiller Wehmuth als an eine
längst verschwundene Herrlichkeit zurück. Heutzutage üben die Eisenbahnen
ihren demokratischen Einfluß auch auf den Besuch der Bäder aus: aus aller
Herren Ländern und aus den entlegensten Fernen strömen selbst kleine Leute,
sobald sie die Summe von 60, 80 oder 100 Thaler für die vierwöchentliche
Badekur beisammen haben, herbei, um an den vielbewährten Heilquellen Lin¬
derung ihrer Leiden zu suchen. Der mittlere Bürgerstand hat in den Bade-


nach einiger Zeit auch die Sorge für die Regierung französischen Händen über¬
lassen können und in der Gotthardstraße eine treffliche Heerstraße der friedfertigen
französischen Nation besitzen. Die starken Forts, welche Frankreich in diesem
Augenblick in der Gegend von Blamont am Ausgange des Thales von Pruntrut
fertig stellt, als moderne Zwing-Aris der benachbarten Jurapässe der neutralen
Schweiz, bilden die erste Etappe auf dieser französischen Heerstraße.


Viäeg.ut con3ulL8, yuiä rosxudliog. äiztrimsuti e^xiat.


Wiewohl Karlsbad mit Vorliebe gerade im Frühsommer aufgesucht wird,
hielt doch in diesem Jahre, wie schon so manches Mal, der naßkalte Mai die
Badegäste fern. Noch in der letzten Woche des Mai fand man fast an jedem
Hause die bekannte Tafel mit der Aufschrift „Wohnung" und vor der Thüre
in der Regel die ganze Familie des Hausbesitzers, Vater, Mutter, Töchter,
Mägde und Hausknecht (oder, wie man ihn hier gebildeter Weise nennt, Haus-
Meister), welche mit vereinten Kräften auslugten, um einen Einmiether aufzu-
fangen. Sowie aber wärmere Witterung eintrat, gab es auch in den besseren
Lagen bald Häuser genug, welche völlig besetzt waren, und Ende Juni wies
die Kurliste schon über 10,000 Kurgäste und damit bereits 500 Personen mehr
auf, als die gleichzeitige Kurliste des vorigen Jahres, ein Beweis, daß trotz
der „schlechten Zeiten" die Anziehungskraft Karlsbads in immer weiteren
Kreisen wirkt.

Ehemals, als das Reisen noch kostspielig war, hatte auch Karlsbad, wie
andere Badeorte, einen durchaus aristokratischen Charakter; noch bis in die
dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts hinein genossen fast nur Kaiser, Könige,
Fürsten, Grafen und Barone, aus dem Bürgerstande aber nur die reichsten
Leute das Vorrecht, Bäder zu besuchen, und an diese Zeiten mit ihren glän¬
zenden Festlichkeiten und ihrem strömenden Goldregen denkt das ältere Ge¬
schlecht der Karlsbader Hausbesitzer nur mit stiller Wehmuth als an eine
längst verschwundene Herrlichkeit zurück. Heutzutage üben die Eisenbahnen
ihren demokratischen Einfluß auch auf den Besuch der Bäder aus: aus aller
Herren Ländern und aus den entlegensten Fernen strömen selbst kleine Leute,
sobald sie die Summe von 60, 80 oder 100 Thaler für die vierwöchentliche
Badekur beisammen haben, herbei, um an den vielbewährten Heilquellen Lin¬
derung ihrer Leiden zu suchen. Der mittlere Bürgerstand hat in den Bade-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/395>, abgerufen am 28.09.2024.