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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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zu sein. Daß die Schwierigkeiten, nuf welche seine Anerkennung bei den Nord-
mächten naturgemäß stoßen mußte, so rasch und glücklich überwunden wurden,
ist hauptsächlich durch das Vorurtheilslose Vorgehen Friedrich Wilhelm's III.
bewirkt worden. Louis Philipp hat dies damals auch rückhaltlos anerkannt.
Er fand nicht Worte genng, um dem König von Preußen "seiner ewigen
Dankbarkeit für die Unterstützung" zu versichern, "die er ihm in diesem schwie¬
rigen Augenblicke gegönnt hatte; die Erinnerung an dieses freundschaftliche
Verfahren werde nie aus seinem Gedächtnisse schwinden." Schade nnr, daß
diese Erinnerung deu Bürgerkönig vollständig verließ, sobald sich seine Pläne
mit deu preußischen Interessen kreuzten! Deutschland gegenüber kannte er nur
die Politik des Rheinbundes. Von vornherein wurden die Mittelstaaten gegen
Preußen und Oesterreich systematisch aufgehetzt. Gelegentlich der Besetzung
Frankfurts durch preußische Truppen in Folge des Aprilputsches von 1833
beanspruchte der Herzog von Broglie für Frankreich rundweg ein Recht, die
Unabhängigkeit der deutschen Kleinstaaten zu schlitzen. Die Revanche Preußens
bestand darin, daß es die direkt gegen Frankreich gerichteteten Beschlüsse der
Münchengrätzer Zusammenkunft abschwächte. Louis Philipp trug sich dafür
mit dem Plane, die Mittelstaaten gegen die Großmächte durch offene und ge¬
heime Begünstigung der dortigen Volksbewegung zu iusurgireu. "Durch diese
Politik", so heißt es in einem Memorandum, welches mit großer Wahrschein¬
lichkeit dem Könige selbst zugeschrieben wird, "würde Frankreich die konstitutio-
nellen Staaten Deutschlands unmerklich von dem Joche des Bundestags be¬
freien. Die Kammern der kleinen Staaten, welche nicht mehr die bewaffnete
Macht Oesterreichs und Preußens zu fürchten hätten, würden ihre Fürsten
bald in die Alternative versetzen, entweder sich vom Bundestage zu trennen
und sich mit Frankreich zu verbinden oder ihre Kronen infolge einer Revolution
Zu verlieren, welche Frankreich gegen jede fremde Intervention beschützen würde.
Alsdann würde Frankreich sich an die Spitze einer zahlreichen Konföderation
der sekundären Staaten stellen, welche Belgien sammt dem Großherzogthum
Luxemburg, dann, sei es in einem oder in mehreren Staaten, Rheinpreußen
und Rheinbaiern, das Großherzogthum Baden, das Herzogthum Nassau, Hessen-
Darmstadt und das Königreich Würtemberg, endlich die Schweiz und das
Königreich Sardinien umfassen würde- Alle diese Staaten mit Frankreich auf
immer durch das doppelte Band ihrer Einrichtungen und ihrer geographischen
Lage verknüpft, würden Frankreich sür immer gegen jeden fremden Angriff sicher¬
stellen und ihm zugleich jenen Einfluß ans die Angelegenheiten Deutschlands
wiedergeben, welchen es seit dem westphälischen Frieden verloren habe."

Was das innere Leben Frankreichs anlangt, so sind die Bewegungen auf
socialem und geistigem Gebiete dein nächsten Bande vorbehalten; der gegen-


zu sein. Daß die Schwierigkeiten, nuf welche seine Anerkennung bei den Nord-
mächten naturgemäß stoßen mußte, so rasch und glücklich überwunden wurden,
ist hauptsächlich durch das Vorurtheilslose Vorgehen Friedrich Wilhelm's III.
bewirkt worden. Louis Philipp hat dies damals auch rückhaltlos anerkannt.
Er fand nicht Worte genng, um dem König von Preußen „seiner ewigen
Dankbarkeit für die Unterstützung" zu versichern, „die er ihm in diesem schwie¬
rigen Augenblicke gegönnt hatte; die Erinnerung an dieses freundschaftliche
Verfahren werde nie aus seinem Gedächtnisse schwinden." Schade nnr, daß
diese Erinnerung deu Bürgerkönig vollständig verließ, sobald sich seine Pläne
mit deu preußischen Interessen kreuzten! Deutschland gegenüber kannte er nur
die Politik des Rheinbundes. Von vornherein wurden die Mittelstaaten gegen
Preußen und Oesterreich systematisch aufgehetzt. Gelegentlich der Besetzung
Frankfurts durch preußische Truppen in Folge des Aprilputsches von 1833
beanspruchte der Herzog von Broglie für Frankreich rundweg ein Recht, die
Unabhängigkeit der deutschen Kleinstaaten zu schlitzen. Die Revanche Preußens
bestand darin, daß es die direkt gegen Frankreich gerichteteten Beschlüsse der
Münchengrätzer Zusammenkunft abschwächte. Louis Philipp trug sich dafür
mit dem Plane, die Mittelstaaten gegen die Großmächte durch offene und ge¬
heime Begünstigung der dortigen Volksbewegung zu iusurgireu. „Durch diese
Politik", so heißt es in einem Memorandum, welches mit großer Wahrschein¬
lichkeit dem Könige selbst zugeschrieben wird, „würde Frankreich die konstitutio-
nellen Staaten Deutschlands unmerklich von dem Joche des Bundestags be¬
freien. Die Kammern der kleinen Staaten, welche nicht mehr die bewaffnete
Macht Oesterreichs und Preußens zu fürchten hätten, würden ihre Fürsten
bald in die Alternative versetzen, entweder sich vom Bundestage zu trennen
und sich mit Frankreich zu verbinden oder ihre Kronen infolge einer Revolution
Zu verlieren, welche Frankreich gegen jede fremde Intervention beschützen würde.
Alsdann würde Frankreich sich an die Spitze einer zahlreichen Konföderation
der sekundären Staaten stellen, welche Belgien sammt dem Großherzogthum
Luxemburg, dann, sei es in einem oder in mehreren Staaten, Rheinpreußen
und Rheinbaiern, das Großherzogthum Baden, das Herzogthum Nassau, Hessen-
Darmstadt und das Königreich Würtemberg, endlich die Schweiz und das
Königreich Sardinien umfassen würde- Alle diese Staaten mit Frankreich auf
immer durch das doppelte Band ihrer Einrichtungen und ihrer geographischen
Lage verknüpft, würden Frankreich sür immer gegen jeden fremden Angriff sicher¬
stellen und ihm zugleich jenen Einfluß ans die Angelegenheiten Deutschlands
wiedergeben, welchen es seit dem westphälischen Frieden verloren habe."

Was das innere Leben Frankreichs anlangt, so sind die Bewegungen auf
socialem und geistigem Gebiete dein nächsten Bande vorbehalten; der gegen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/371>, abgerufen am 28.09.2024.