Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.wärtige beschränkt sich auf die Darstellung der rein politischen Verhältnisse. wärtige beschränkt sich auf die Darstellung der rein politischen Verhältnisse. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0372" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138603"/> <p xml:id="ID_1144" prev="#ID_1143" next="#ID_1145"> wärtige beschränkt sich auf die Darstellung der rein politischen Verhältnisse.<lb/> Die parlamentarischen Parteien wie die politischen Gegensätze in der großen<lb/> Masse des Volles sind scharf und deutlich geschildert. Die Aufstände und<lb/> Straßenkampfe entrollen sich, obwohl jede Effekthascherei durchaus vermieden<lb/> ist, in lebensvollen, fesselnden Bildern vor unsern Augen. Die Glanzpunkte<lb/> des ganzen Werkes aber bilden unbestreitbar die Charakterzeichnungen. Der<lb/> Verfasser selbst legt in der Vorrede Nachdruck darauf, daß er die Entstehung<lb/> und Entwickelung der Ereignisse „nicht nur in den Verhältnissen und der Vor¬<lb/> geschichte, sondern auch in der Natur der Menschen sucht, welche in bedeuten¬<lb/> der Weise dabei thätig gewesen." Und in der That sind seine Schilderungen<lb/> der hervorragenden Personen Meisterwerke politischen Urtheils und psycholo¬<lb/> gischen Scharfblicks. In erster Linie stehen hier, außer Louis Philipp selbst,<lb/> die drei bedeutenden Staatsmänner des Julikönigthnms: Perier, Guizot, Thiers.<lb/> Wer die vergangenen Dinge vorwiegend unter dem Gesichtspunkt der Gegen¬<lb/> wart betrachtet, für deu wird des Letzteren Bild die größte Anziehungskraft<lb/> haben. Der ruhige Geschichtsbevbachter Nur mit Vorliebe bei Perier ver¬<lb/> weilen, dieser eigenartigen, in sich abgeschlossenen Erscheinung, die, obgleich am<lb/> Himmel des Julikönigthums fast mit der Flüchtigkeit des Meteors vorüberge¬<lb/> zogen, dennoch ihm und Frankreich werthvollere Dienste geleistet hat, als alle<lb/> Größen der nächstfolgenden zwei Jahrzehnte. Das edelste Denkmal, welches<lb/> Paris auf der weithin scheinenden Höhe der gewaltigen Todtenstadt des Pere 4<lb/> Lachaise besitzt, gilt Casimir Perier. Fast bedeutsamer noch als diese Dankes-<lb/> bezeugung des Vaterlandes will uns aber das Monument bedrücken, welches<lb/> der unbetheiligte, kühl und gerecht urtheilende Geschichtschreiber dem fremden<lb/> Staatsmanne gesetzt hat. Nachdem er sein frühzeitiges Eude — er starb an<lb/> der Cholera am 16. Mai 1832 — berichtet, faßt er Perier's Wirken in fol¬<lb/> genden Sätzen zusammen: „Mit ihm verschwand der einzige Staatsmann des<lb/> Julikönigthums, der trotz vieler und augenfälliger Charakterfehler, Geisteslücken<lb/> und thatsächlicher Mißgriffe diejenigen Eigenschaften in sich vereinigte, welche<lb/> das französische Volk von seinen Leitern fordert, auch die, welche überall und<lb/> immer die zum Herrschen nothwendigsten sind. Casimir Perier imponirte durch<lb/> feine gesellschaftliche Stellung wie durch seine Persönlichkeit gleicher Weise. Er<lb/> hatte einen kalten, praktischen Verstand und war mehr als ein Feind politischer<lb/> Theorien: er verstand sie nicht. Aller Pedantismus war ihm fremd. Selber<lb/> fleckenlos, als Mensch wie als Geschäftsmann, stand er nicht an, sich auch<lb/> solcher Werkzeuge zu bedienen, welche er nicht achten konnte; und da seiner<lb/> Feldherreunatur der Sieg vor Allem ging, verschmähte er auch nicht Ver¬<lb/> bündete, die in anderen Lagen seine Gegner sein konnten. Mit echt französi¬<lb/> scher Streitlust und echt französischer Leidenschaft vereinigte er die klarste Ein-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0372]
wärtige beschränkt sich auf die Darstellung der rein politischen Verhältnisse.
Die parlamentarischen Parteien wie die politischen Gegensätze in der großen
Masse des Volles sind scharf und deutlich geschildert. Die Aufstände und
Straßenkampfe entrollen sich, obwohl jede Effekthascherei durchaus vermieden
ist, in lebensvollen, fesselnden Bildern vor unsern Augen. Die Glanzpunkte
des ganzen Werkes aber bilden unbestreitbar die Charakterzeichnungen. Der
Verfasser selbst legt in der Vorrede Nachdruck darauf, daß er die Entstehung
und Entwickelung der Ereignisse „nicht nur in den Verhältnissen und der Vor¬
geschichte, sondern auch in der Natur der Menschen sucht, welche in bedeuten¬
der Weise dabei thätig gewesen." Und in der That sind seine Schilderungen
der hervorragenden Personen Meisterwerke politischen Urtheils und psycholo¬
gischen Scharfblicks. In erster Linie stehen hier, außer Louis Philipp selbst,
die drei bedeutenden Staatsmänner des Julikönigthnms: Perier, Guizot, Thiers.
Wer die vergangenen Dinge vorwiegend unter dem Gesichtspunkt der Gegen¬
wart betrachtet, für deu wird des Letzteren Bild die größte Anziehungskraft
haben. Der ruhige Geschichtsbevbachter Nur mit Vorliebe bei Perier ver¬
weilen, dieser eigenartigen, in sich abgeschlossenen Erscheinung, die, obgleich am
Himmel des Julikönigthums fast mit der Flüchtigkeit des Meteors vorüberge¬
zogen, dennoch ihm und Frankreich werthvollere Dienste geleistet hat, als alle
Größen der nächstfolgenden zwei Jahrzehnte. Das edelste Denkmal, welches
Paris auf der weithin scheinenden Höhe der gewaltigen Todtenstadt des Pere 4
Lachaise besitzt, gilt Casimir Perier. Fast bedeutsamer noch als diese Dankes-
bezeugung des Vaterlandes will uns aber das Monument bedrücken, welches
der unbetheiligte, kühl und gerecht urtheilende Geschichtschreiber dem fremden
Staatsmanne gesetzt hat. Nachdem er sein frühzeitiges Eude — er starb an
der Cholera am 16. Mai 1832 — berichtet, faßt er Perier's Wirken in fol¬
genden Sätzen zusammen: „Mit ihm verschwand der einzige Staatsmann des
Julikönigthums, der trotz vieler und augenfälliger Charakterfehler, Geisteslücken
und thatsächlicher Mißgriffe diejenigen Eigenschaften in sich vereinigte, welche
das französische Volk von seinen Leitern fordert, auch die, welche überall und
immer die zum Herrschen nothwendigsten sind. Casimir Perier imponirte durch
feine gesellschaftliche Stellung wie durch seine Persönlichkeit gleicher Weise. Er
hatte einen kalten, praktischen Verstand und war mehr als ein Feind politischer
Theorien: er verstand sie nicht. Aller Pedantismus war ihm fremd. Selber
fleckenlos, als Mensch wie als Geschäftsmann, stand er nicht an, sich auch
solcher Werkzeuge zu bedienen, welche er nicht achten konnte; und da seiner
Feldherreunatur der Sieg vor Allem ging, verschmähte er auch nicht Ver¬
bündete, die in anderen Lagen seine Gegner sein konnten. Mit echt französi¬
scher Streitlust und echt französischer Leidenschaft vereinigte er die klarste Ein-
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