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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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drein den Charakter des Epos haben aufheben und als trockne Beschreibung
eingeflochten werden müssen. Uhland mochte sie indeß wohl nicht ganz missen,
weil sie die Größe der Niederlage treffend veranschaulicht. Wie geistvoll ist
er nun beiden Uebelständen ans dem Wege gegangen! Er führt uns die Ge¬
fallenen im Leichenzuge vor. Hierdurch schafft er sich einmal die Möglichkeit,
sie aus der Mitte der Erzählung fort und an den Schluß derselben zu ver¬
weisen, und sodann setzt er dadurch die Beschreibung in Handlung um und
wahrt so aufs strengste den Charakter des Epos. Ist es nicht, als ob ihm
Lessing's so oft übertretenes und doch ewig giltiges Gesetz aus dem "Laokoon"
vorgeschwebt hätte, daß der Dichter erzählen, aber nicht malen solle? Ebenso
richtig aber ist es, wenn Uhland in der Aufzählung der Todten sich Schranken
auferlegt und nicht den ganzen en^Iogus uns vorführt. Nur sechs nennt er
mit Namen, die drei hervorragendsten: Tübingen, Zollern und Schwarzenberg
und drei, von denen er etwas besonderes aus Crusius oder andern Quellen
hinzuzufügen wußte, Götz Weißeuheim, vou dein auch Crusius schreibt: "Er
war damals Bannerträger gewesen", Sachsenheim, Vater und Sohn, und
Lustnau. Die schönen Worte, die er außerdem einem der drei erstgenannten
widmet:


O Zollern, deine Leiche umschwebt ein lichter Kranz.
Sahst du vielleicht noch sterbend dein Haus in kunst'czcm Glanz?

haben für unsere Tage noch eine tiefere und großartigere Bedeutung gewonnen,
als Uhland ahnen und in sie hineinlegen konnte, als er sie schrieb.

Nach der Niederlage bei Reutlingen kam es zwischen den streitenden Par¬
teien zu einer zehnjährigen Waffenruhe. Uebrigens sollte die Hauptursache der
ewigen Fehden dadurch hinweggeräumt werden, daß dein Grafen Eberhard die
Landvogtei Niederschwaben abgenommen wurde. Inzwischen rüstete man sich
aber beiderseits zu neuem Kampfe. Der Städtebund verstärkte sich mehr und
mehr, und wie sein Selbstgefühl wuchs, so steigerte sich auf der andern Seite
die Rachbegier. Endlich kam es zu dem lange vorbereiteten und beschlossenen
Entscheidungskampfe, in welchem Eberhard den Sieg theuer erkaufte, die Macht
des schwäbischen Städtebundes aber thatsächlich wieder gebrochen wurde. Dies
ist die von Uhland in der vierten Ballade besungene "Döffinger Schlacht"
im Jahre 1388.

Von diesem Zusammenstoß gibt Crusius eine sehr eingehende Schilderung-
Hier mag ein Stück aus der Episode von der Hilfsleistung des Wunueusteiners
anstatt des Ganzen genügen. Crusius erzählt: "Eberhard erkannte die Wohl¬
that, eine Wohlthat, die ihm der Feind zur rechten Zeit erwiesen hatte; er
dankt ihm laut, er tat ihn freundlich ein, mit ihm nach Stuttgart zu ziehen.
Ich werde mitziehen, sagte Wolf, ich werde deine Güte erproben. Als sie aber


drein den Charakter des Epos haben aufheben und als trockne Beschreibung
eingeflochten werden müssen. Uhland mochte sie indeß wohl nicht ganz missen,
weil sie die Größe der Niederlage treffend veranschaulicht. Wie geistvoll ist
er nun beiden Uebelständen ans dem Wege gegangen! Er führt uns die Ge¬
fallenen im Leichenzuge vor. Hierdurch schafft er sich einmal die Möglichkeit,
sie aus der Mitte der Erzählung fort und an den Schluß derselben zu ver¬
weisen, und sodann setzt er dadurch die Beschreibung in Handlung um und
wahrt so aufs strengste den Charakter des Epos. Ist es nicht, als ob ihm
Lessing's so oft übertretenes und doch ewig giltiges Gesetz aus dem „Laokoon"
vorgeschwebt hätte, daß der Dichter erzählen, aber nicht malen solle? Ebenso
richtig aber ist es, wenn Uhland in der Aufzählung der Todten sich Schranken
auferlegt und nicht den ganzen en^Iogus uns vorführt. Nur sechs nennt er
mit Namen, die drei hervorragendsten: Tübingen, Zollern und Schwarzenberg
und drei, von denen er etwas besonderes aus Crusius oder andern Quellen
hinzuzufügen wußte, Götz Weißeuheim, vou dein auch Crusius schreibt: „Er
war damals Bannerträger gewesen", Sachsenheim, Vater und Sohn, und
Lustnau. Die schönen Worte, die er außerdem einem der drei erstgenannten
widmet:


O Zollern, deine Leiche umschwebt ein lichter Kranz.
Sahst du vielleicht noch sterbend dein Haus in kunst'czcm Glanz?

haben für unsere Tage noch eine tiefere und großartigere Bedeutung gewonnen,
als Uhland ahnen und in sie hineinlegen konnte, als er sie schrieb.

Nach der Niederlage bei Reutlingen kam es zwischen den streitenden Par¬
teien zu einer zehnjährigen Waffenruhe. Uebrigens sollte die Hauptursache der
ewigen Fehden dadurch hinweggeräumt werden, daß dein Grafen Eberhard die
Landvogtei Niederschwaben abgenommen wurde. Inzwischen rüstete man sich
aber beiderseits zu neuem Kampfe. Der Städtebund verstärkte sich mehr und
mehr, und wie sein Selbstgefühl wuchs, so steigerte sich auf der andern Seite
die Rachbegier. Endlich kam es zu dem lange vorbereiteten und beschlossenen
Entscheidungskampfe, in welchem Eberhard den Sieg theuer erkaufte, die Macht
des schwäbischen Städtebundes aber thatsächlich wieder gebrochen wurde. Dies
ist die von Uhland in der vierten Ballade besungene „Döffinger Schlacht"
im Jahre 1388.

Von diesem Zusammenstoß gibt Crusius eine sehr eingehende Schilderung-
Hier mag ein Stück aus der Episode von der Hilfsleistung des Wunueusteiners
anstatt des Ganzen genügen. Crusius erzählt: „Eberhard erkannte die Wohl¬
that, eine Wohlthat, die ihm der Feind zur rechten Zeit erwiesen hatte; er
dankt ihm laut, er tat ihn freundlich ein, mit ihm nach Stuttgart zu ziehen.
Ich werde mitziehen, sagte Wolf, ich werde deine Güte erproben. Als sie aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/340>, abgerufen am 28.09.2024.