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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Crusius erzählt die Begebenheit folgendermaßen: "Eine blutige Nieder¬
lage erlitt 1377 der Graf von Wirtenberg und die Ritter zwischen der Feste
Achalm und der Stadt Rentlingen.... In der Nacht, die diesem Tage vor¬
herging, zogen die Rentlinger mit ihren Genossen ans, 700 an der Zahl, um
Beute zu machen und dem Herrn von Wirtenberg zu schaden. Sie kamen in
der Frühe zur Stadt Urach und raubten, was sie konnten. Ans dem Rück¬
wege durch das Urachthal verbrannten sie Tettingen, nachdem sie einige Land-
leute getödtet, trieben vor dem Frühmahl 300 Stück Vieh weg, und es gesellten
sich noch andere zu ihnen, die aus der Stadt Reutlingen auszogen. Da stieg
Ulrich von Wirtenberg, des Grafen Eberhard's Sohn, den Berg umgehend
von der Feste Achalm herab mit vielen tapfern und bewaffneten Männern
(ungefähr 232 Lanzenträgern), Grafen und Baronen, goldstrahlenden Rittern
und Edlen, um die Beute den Städtern zu entreißen und womöglich uner¬
wartet die Stadt anzugreifen und zu besetzen. Die Ritter stiegen zwischen der
Vorstadt und der Kapelle von Se. Leonhard auf Wiesen und Feldern von den
Pferden und kämpften zu Fuß. Aber eine Menge, die in der Stadt war und
indessen nicht vergeblich gewacht hatte, brach durch ein Thor, welches sonst
verschlossen gehalten wurde, plötzlich heraus und kam den ihrigen tapfer zu
Hilfe. Da kam es zu einem hitzigen Kampfe, der Adel wurde zwischen den
früheren und den späteren Feinden abgeschnitten und besiegt, und viele Helden
und berühmte Männer fielen." Nun folgt eine lange Liste der Gefallenen.
"Darauf kamen mit sicherem Geleite nach Reutlingen viele Knechte und Schild¬
träger, die ihre Herren suchten, aber nicht alle fanden. Diese sagten, es wür¬
den sechsundachtzig Ritter und Edle vermißt. Mehr jedoch, als oben genannt
-- die Todtenliste nennt über sechzig -- waren von der Bürgerschaft nicht
weggetragen, und diese waren gewaschen und mit weißen Kleidern angethan
worden. Sie fügten hinzu, daß auch viele verwundet wären. Von diesen
waren einige von den Wirtembergern ans die Feste Achalm gebracht worden.
Die Rentlinger wollten aber keinen hinwegfahren lassen, wenn ihn nicht sein
Knecht mit Namen .genannt hätte... Der erlauchte Graf Ulrich von Wirten¬
berg aber, der verwundet worden war, hatte sich mit Mühe und Noth zu
Pferde nach der Feste Achalm gerettet____ Noch im Jahre 1378 verdroß
den Grafen Eberhard von Wirtenberg die Niederlage, die vor Rentlingen er¬
litten worden war. Daher wird erzählt, er habe das Tischtuch zwischen sich
und seinein Sohne zerschnitten."

Hier hat sich der Dichter vor allem in der Anordnung des Stoffes eine
Abweichung von der Quelle gestattet, die wiederum von großer künstlerischer
Einsicht zeugt. Die lange Aufzählung der Gefallenen unterbricht an der Stelle,
wo sie Crusius hat, den Faden der Erzählung und würde im Gedichte oben-


Crusius erzählt die Begebenheit folgendermaßen: „Eine blutige Nieder¬
lage erlitt 1377 der Graf von Wirtenberg und die Ritter zwischen der Feste
Achalm und der Stadt Rentlingen.... In der Nacht, die diesem Tage vor¬
herging, zogen die Rentlinger mit ihren Genossen ans, 700 an der Zahl, um
Beute zu machen und dem Herrn von Wirtenberg zu schaden. Sie kamen in
der Frühe zur Stadt Urach und raubten, was sie konnten. Ans dem Rück¬
wege durch das Urachthal verbrannten sie Tettingen, nachdem sie einige Land-
leute getödtet, trieben vor dem Frühmahl 300 Stück Vieh weg, und es gesellten
sich noch andere zu ihnen, die aus der Stadt Reutlingen auszogen. Da stieg
Ulrich von Wirtenberg, des Grafen Eberhard's Sohn, den Berg umgehend
von der Feste Achalm herab mit vielen tapfern und bewaffneten Männern
(ungefähr 232 Lanzenträgern), Grafen und Baronen, goldstrahlenden Rittern
und Edlen, um die Beute den Städtern zu entreißen und womöglich uner¬
wartet die Stadt anzugreifen und zu besetzen. Die Ritter stiegen zwischen der
Vorstadt und der Kapelle von Se. Leonhard auf Wiesen und Feldern von den
Pferden und kämpften zu Fuß. Aber eine Menge, die in der Stadt war und
indessen nicht vergeblich gewacht hatte, brach durch ein Thor, welches sonst
verschlossen gehalten wurde, plötzlich heraus und kam den ihrigen tapfer zu
Hilfe. Da kam es zu einem hitzigen Kampfe, der Adel wurde zwischen den
früheren und den späteren Feinden abgeschnitten und besiegt, und viele Helden
und berühmte Männer fielen." Nun folgt eine lange Liste der Gefallenen.
„Darauf kamen mit sicherem Geleite nach Reutlingen viele Knechte und Schild¬
träger, die ihre Herren suchten, aber nicht alle fanden. Diese sagten, es wür¬
den sechsundachtzig Ritter und Edle vermißt. Mehr jedoch, als oben genannt
— die Todtenliste nennt über sechzig — waren von der Bürgerschaft nicht
weggetragen, und diese waren gewaschen und mit weißen Kleidern angethan
worden. Sie fügten hinzu, daß auch viele verwundet wären. Von diesen
waren einige von den Wirtembergern ans die Feste Achalm gebracht worden.
Die Rentlinger wollten aber keinen hinwegfahren lassen, wenn ihn nicht sein
Knecht mit Namen .genannt hätte... Der erlauchte Graf Ulrich von Wirten¬
berg aber, der verwundet worden war, hatte sich mit Mühe und Noth zu
Pferde nach der Feste Achalm gerettet____ Noch im Jahre 1378 verdroß
den Grafen Eberhard von Wirtenberg die Niederlage, die vor Rentlingen er¬
litten worden war. Daher wird erzählt, er habe das Tischtuch zwischen sich
und seinein Sohne zerschnitten."

Hier hat sich der Dichter vor allem in der Anordnung des Stoffes eine
Abweichung von der Quelle gestattet, die wiederum von großer künstlerischer
Einsicht zeugt. Die lange Aufzählung der Gefallenen unterbricht an der Stelle,
wo sie Crusius hat, den Faden der Erzählung und würde im Gedichte oben-


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[0339] Crusius erzählt die Begebenheit folgendermaßen: „Eine blutige Nieder¬ lage erlitt 1377 der Graf von Wirtenberg und die Ritter zwischen der Feste Achalm und der Stadt Rentlingen.... In der Nacht, die diesem Tage vor¬ herging, zogen die Rentlinger mit ihren Genossen ans, 700 an der Zahl, um Beute zu machen und dem Herrn von Wirtenberg zu schaden. Sie kamen in der Frühe zur Stadt Urach und raubten, was sie konnten. Ans dem Rück¬ wege durch das Urachthal verbrannten sie Tettingen, nachdem sie einige Land- leute getödtet, trieben vor dem Frühmahl 300 Stück Vieh weg, und es gesellten sich noch andere zu ihnen, die aus der Stadt Reutlingen auszogen. Da stieg Ulrich von Wirtenberg, des Grafen Eberhard's Sohn, den Berg umgehend von der Feste Achalm herab mit vielen tapfern und bewaffneten Männern (ungefähr 232 Lanzenträgern), Grafen und Baronen, goldstrahlenden Rittern und Edlen, um die Beute den Städtern zu entreißen und womöglich uner¬ wartet die Stadt anzugreifen und zu besetzen. Die Ritter stiegen zwischen der Vorstadt und der Kapelle von Se. Leonhard auf Wiesen und Feldern von den Pferden und kämpften zu Fuß. Aber eine Menge, die in der Stadt war und indessen nicht vergeblich gewacht hatte, brach durch ein Thor, welches sonst verschlossen gehalten wurde, plötzlich heraus und kam den ihrigen tapfer zu Hilfe. Da kam es zu einem hitzigen Kampfe, der Adel wurde zwischen den früheren und den späteren Feinden abgeschnitten und besiegt, und viele Helden und berühmte Männer fielen." Nun folgt eine lange Liste der Gefallenen. „Darauf kamen mit sicherem Geleite nach Reutlingen viele Knechte und Schild¬ träger, die ihre Herren suchten, aber nicht alle fanden. Diese sagten, es wür¬ den sechsundachtzig Ritter und Edle vermißt. Mehr jedoch, als oben genannt — die Todtenliste nennt über sechzig — waren von der Bürgerschaft nicht weggetragen, und diese waren gewaschen und mit weißen Kleidern angethan worden. Sie fügten hinzu, daß auch viele verwundet wären. Von diesen waren einige von den Wirtembergern ans die Feste Achalm gebracht worden. Die Rentlinger wollten aber keinen hinwegfahren lassen, wenn ihn nicht sein Knecht mit Namen .genannt hätte... Der erlauchte Graf Ulrich von Wirten¬ berg aber, der verwundet worden war, hatte sich mit Mühe und Noth zu Pferde nach der Feste Achalm gerettet____ Noch im Jahre 1378 verdroß den Grafen Eberhard von Wirtenberg die Niederlage, die vor Rentlingen er¬ litten worden war. Daher wird erzählt, er habe das Tischtuch zwischen sich und seinein Sohne zerschnitten." Hier hat sich der Dichter vor allem in der Anordnung des Stoffes eine Abweichung von der Quelle gestattet, die wiederum von großer künstlerischer Einsicht zeugt. Die lange Aufzählung der Gefallenen unterbricht an der Stelle, wo sie Crusius hat, den Faden der Erzählung und würde im Gedichte oben-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/339>, abgerufen am 28.09.2024.