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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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ein Ende gemacht worden war, so entspann sich bald darauf ein sehr ernster
Zwist innerhalb der Familie.

Der damalige regierende Graf, Wilhelm Gustav, mit dem wir bereits Be¬
kanntschaft gemacht haben, war in erster Ehe mit einer Gräfin Reede vermählt.
Seine Gemahlin starb schon 1799, und ihr folgte im Jahre 1813 der einzige
in dieser Ehe geborene Sohn. Nach dem Tode seiner Gemahlin hatte der
Graf ein Verhältniß mit einem jungen Mädchen bäuerlicher Abkunft, Mar¬
garethe Gerdes aus Bockhorn, angeknüpft und sie dann schließlich geehelicht.
Ans dieser Verbindung stammten drei Söhne. Nachdem der älteste derselben
nach Amerika ausgewandert war, kam der zweite Sohn, Gustav Adolph, schon
bei Lebzeiten des Vaters, unter Zusicherung der Nachfolge, in den Mitbesitz
der Herrlichkeit Kniphausen und der Herrschaft Varel.

Gegen solch ein Abkommen erhoben der Bruder des regierenden Grafen,
der großbrittcmische General-Major Graf von Bentinck mit seinen drei Söhnen
Protest. Sie stellten eine Klage gegen den regierenden Grafen an, mit dem
Verlangen, daß dessen Sohne als der gräflichen Familien- und Successions¬
rechte für unfähig erkannt und ein Sequester zur Sicherstellung der legitimen
Nachfolge angelegt werde.

Am 22. October 1835 starb der regierende Graf, Wilhelm Gustav, nachdem
sein so eben erwähnter jüngerer Bruder schon 2 Jahre früher mit Tode abge¬
gangen war. Die beiden ältesten Söhne dieses letzteren trafen zwei Tage nach
dem Tode ihres Oheims noch zur Leichenfeier in Varel ein, >um ihre Rechte
geltend zu machen. Allein sie kamen zu spät. Die gräflichen Beamten hatten
bereits für den zweiten Sohn des letztregierenden Grafen Besitz von den gräf¬
lichen Schlössern und Herrschaften genommen und leisteten den gegnerischen
Agnaten unbedingten Widerstand. Desgleichen hatte der gräfliche Amtmann
zu Varel, als General-Bevollmächtigter des neuen Herrn, den Regierungs¬
nutritt desselben dem Großherzog von Oldenburg zur Anzeige gebracht und
die Annahme des Huldigungseides seines Mandanten nachgesucht. Als um
der älteste der beiden protestirenden Agnaten, Graf Wilhelm von Bentinck,
königlich niederländischer Kammerherr, sich ebenfalls an den Großherzog von
Oldenburg wandte und um seine Anerkennung als Herr von Kniphausen bat,
wurde von der oldenbnrgschen Regierung dahin entschieden, daß der faktische
Besitzer der Bentinck'schen Fideicommißgüter, d. h. Graf Gustav Adolph, bis
auf Weiteres anzuerkennen und in Ausübung der Regierungsrechte in Varel
sowie der Landeshoheit in Kniphausen zu schützen sei.

Es entspann sich nun ein langer Erbschaftsproceß, der das Interesse der
ganzen juristischen Welt in Anspruch nahm. Mit den den Proceß behandelnden
Schriften, es waren 1847 bereits gegen 60 im Buchhandel erschienen, ließe


ein Ende gemacht worden war, so entspann sich bald darauf ein sehr ernster
Zwist innerhalb der Familie.

Der damalige regierende Graf, Wilhelm Gustav, mit dem wir bereits Be¬
kanntschaft gemacht haben, war in erster Ehe mit einer Gräfin Reede vermählt.
Seine Gemahlin starb schon 1799, und ihr folgte im Jahre 1813 der einzige
in dieser Ehe geborene Sohn. Nach dem Tode seiner Gemahlin hatte der
Graf ein Verhältniß mit einem jungen Mädchen bäuerlicher Abkunft, Mar¬
garethe Gerdes aus Bockhorn, angeknüpft und sie dann schließlich geehelicht.
Ans dieser Verbindung stammten drei Söhne. Nachdem der älteste derselben
nach Amerika ausgewandert war, kam der zweite Sohn, Gustav Adolph, schon
bei Lebzeiten des Vaters, unter Zusicherung der Nachfolge, in den Mitbesitz
der Herrlichkeit Kniphausen und der Herrschaft Varel.

Gegen solch ein Abkommen erhoben der Bruder des regierenden Grafen,
der großbrittcmische General-Major Graf von Bentinck mit seinen drei Söhnen
Protest. Sie stellten eine Klage gegen den regierenden Grafen an, mit dem
Verlangen, daß dessen Sohne als der gräflichen Familien- und Successions¬
rechte für unfähig erkannt und ein Sequester zur Sicherstellung der legitimen
Nachfolge angelegt werde.

Am 22. October 1835 starb der regierende Graf, Wilhelm Gustav, nachdem
sein so eben erwähnter jüngerer Bruder schon 2 Jahre früher mit Tode abge¬
gangen war. Die beiden ältesten Söhne dieses letzteren trafen zwei Tage nach
dem Tode ihres Oheims noch zur Leichenfeier in Varel ein, >um ihre Rechte
geltend zu machen. Allein sie kamen zu spät. Die gräflichen Beamten hatten
bereits für den zweiten Sohn des letztregierenden Grafen Besitz von den gräf¬
lichen Schlössern und Herrschaften genommen und leisteten den gegnerischen
Agnaten unbedingten Widerstand. Desgleichen hatte der gräfliche Amtmann
zu Varel, als General-Bevollmächtigter des neuen Herrn, den Regierungs¬
nutritt desselben dem Großherzog von Oldenburg zur Anzeige gebracht und
die Annahme des Huldigungseides seines Mandanten nachgesucht. Als um
der älteste der beiden protestirenden Agnaten, Graf Wilhelm von Bentinck,
königlich niederländischer Kammerherr, sich ebenfalls an den Großherzog von
Oldenburg wandte und um seine Anerkennung als Herr von Kniphausen bat,
wurde von der oldenbnrgschen Regierung dahin entschieden, daß der faktische
Besitzer der Bentinck'schen Fideicommißgüter, d. h. Graf Gustav Adolph, bis
auf Weiteres anzuerkennen und in Ausübung der Regierungsrechte in Varel
sowie der Landeshoheit in Kniphausen zu schützen sei.

Es entspann sich nun ein langer Erbschaftsproceß, der das Interesse der
ganzen juristischen Welt in Anspruch nahm. Mit den den Proceß behandelnden
Schriften, es waren 1847 bereits gegen 60 im Buchhandel erschienen, ließe


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[0277] ein Ende gemacht worden war, so entspann sich bald darauf ein sehr ernster Zwist innerhalb der Familie. Der damalige regierende Graf, Wilhelm Gustav, mit dem wir bereits Be¬ kanntschaft gemacht haben, war in erster Ehe mit einer Gräfin Reede vermählt. Seine Gemahlin starb schon 1799, und ihr folgte im Jahre 1813 der einzige in dieser Ehe geborene Sohn. Nach dem Tode seiner Gemahlin hatte der Graf ein Verhältniß mit einem jungen Mädchen bäuerlicher Abkunft, Mar¬ garethe Gerdes aus Bockhorn, angeknüpft und sie dann schließlich geehelicht. Ans dieser Verbindung stammten drei Söhne. Nachdem der älteste derselben nach Amerika ausgewandert war, kam der zweite Sohn, Gustav Adolph, schon bei Lebzeiten des Vaters, unter Zusicherung der Nachfolge, in den Mitbesitz der Herrlichkeit Kniphausen und der Herrschaft Varel. Gegen solch ein Abkommen erhoben der Bruder des regierenden Grafen, der großbrittcmische General-Major Graf von Bentinck mit seinen drei Söhnen Protest. Sie stellten eine Klage gegen den regierenden Grafen an, mit dem Verlangen, daß dessen Sohne als der gräflichen Familien- und Successions¬ rechte für unfähig erkannt und ein Sequester zur Sicherstellung der legitimen Nachfolge angelegt werde. Am 22. October 1835 starb der regierende Graf, Wilhelm Gustav, nachdem sein so eben erwähnter jüngerer Bruder schon 2 Jahre früher mit Tode abge¬ gangen war. Die beiden ältesten Söhne dieses letzteren trafen zwei Tage nach dem Tode ihres Oheims noch zur Leichenfeier in Varel ein, >um ihre Rechte geltend zu machen. Allein sie kamen zu spät. Die gräflichen Beamten hatten bereits für den zweiten Sohn des letztregierenden Grafen Besitz von den gräf¬ lichen Schlössern und Herrschaften genommen und leisteten den gegnerischen Agnaten unbedingten Widerstand. Desgleichen hatte der gräfliche Amtmann zu Varel, als General-Bevollmächtigter des neuen Herrn, den Regierungs¬ nutritt desselben dem Großherzog von Oldenburg zur Anzeige gebracht und die Annahme des Huldigungseides seines Mandanten nachgesucht. Als um der älteste der beiden protestirenden Agnaten, Graf Wilhelm von Bentinck, königlich niederländischer Kammerherr, sich ebenfalls an den Großherzog von Oldenburg wandte und um seine Anerkennung als Herr von Kniphausen bat, wurde von der oldenbnrgschen Regierung dahin entschieden, daß der faktische Besitzer der Bentinck'schen Fideicommißgüter, d. h. Graf Gustav Adolph, bis auf Weiteres anzuerkennen und in Ausübung der Regierungsrechte in Varel sowie der Landeshoheit in Kniphausen zu schützen sei. Es entspann sich nun ein langer Erbschaftsproceß, der das Interesse der ganzen juristischen Welt in Anspruch nahm. Mit den den Proceß behandelnden Schriften, es waren 1847 bereits gegen 60 im Buchhandel erschienen, ließe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/277>, abgerufen am 30.09.2024.