Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Gottes auf die Meuterer hernbrufend zum Himmelspalaste auffährt mit den
Schaaren seiner Getreuen, begrüßt Belzebub, nun umgewandelt, den erscheinenden
Lucifer, der Empörung Haupt. Auch der erheuchelt anfangs Friedensworte;
er läßt den Glauben aufkommen, als ob er in die Opposition gezwungen werde


"So wollt ihr alle mir bezeugen.
Daß ich aus Noth und Zwang die Stellung übernehme, --
Um Unglück abzuwenden."

Im Triumph ziehen die empörten Schaaren davon, und der Chor schließt
den Act mit Wehklage über das himmelstürmerische Streben.*)

Im 4. Aete sind die himmlischen Heerschaaren im vollen Aufruhr; der
dritte Theil des Himmels hat zur Fahne des "falschen Morgensterns" ge¬
schworen und


"seinen Thron, als wäre er ein Gott,
Mit Weihrauchduft umgeben." "

Tiefe Trauer über den Abfall hat sich Gottes bemächtigt, Gabriel hat


"Gottes Stirn mit einer Trauerwolke
Bedeckt gesehn, wie aus des Lichtes Augen dann
Des Zornes Flamme brach, bis er, dem Schlag zu wehren,
Zuletzt den Zug befahl, vernahm, wie Gottes Gnade
Geraume Zeit hindurch in Wort und Widerrede
Im Gleichgewicht sich hielt mit der Gerechtigkeit."

Und nun ruft Michael, in Lallten höchsten poetischen Aufschwungs seine
Schaaren zum Streite:


"Auf, Schildknapp Uriel, bring schnell den Blitz herbei,
Die Rüstung, Helm und Schild, das Banner Gottes," ?c.

Die Friedensmission Raphaels^) an die zum Kampfe aufmarschierenden
Luciferisten mißglückt; auch seine Drohungen ewigen Verderbens vermögen
der blinden Wuth gegenüber nichts mehr. Gott gelte ja fein Kampf nicht,
heuchelt Lucifer:


"Zu Gott und Lucifer hat meine Schaar geschworen

Und unter diesem Eid das Banner aufgepflanzt;

Man breite, was man will, im Himmel aus: Ich fechte

Und kämpfe unter Gott als Führer seiner Chöre

Zum Schutze ihres Rechts.

Kein Mcuschenjoch soll dieser Geister Nacken drücken,
Was ich veredelt'ge, ist das heil'ge Recht. Ich thu's
Nach vielem Widerstand .... nur gezwungen"




Milton behandelt diese Stufe der sich vollziehenden Empörung summarischer, aber
Prägnanter; das Ganze findet sich bei ihm, oft mit den überraschendsten Anklängen im
Einzelnen, Geh. 6, 616--71".''
"*) Die Berbindung dieses Engels mit Miltons Abdiel von feiten K, ^V. S.s halte
ich für mißglückt; die Position beider Engel ist durchaus verschieden. Die angeführten
Parallelen treffen im Grunde nicht zu, und auf die Verschiedenheiten macht ^V. 0. selbst
aufmerksam, ohne eine genügende Erklärung für sie bieten zu können. (A. a. O. 8. 609.)
Grenzboten III. 1877. ">2

Gottes auf die Meuterer hernbrufend zum Himmelspalaste auffährt mit den
Schaaren seiner Getreuen, begrüßt Belzebub, nun umgewandelt, den erscheinenden
Lucifer, der Empörung Haupt. Auch der erheuchelt anfangs Friedensworte;
er läßt den Glauben aufkommen, als ob er in die Opposition gezwungen werde


„So wollt ihr alle mir bezeugen.
Daß ich aus Noth und Zwang die Stellung übernehme, —
Um Unglück abzuwenden."

Im Triumph ziehen die empörten Schaaren davon, und der Chor schließt
den Act mit Wehklage über das himmelstürmerische Streben.*)

Im 4. Aete sind die himmlischen Heerschaaren im vollen Aufruhr; der
dritte Theil des Himmels hat zur Fahne des „falschen Morgensterns" ge¬
schworen und


„seinen Thron, als wäre er ein Gott,
Mit Weihrauchduft umgeben." »

Tiefe Trauer über den Abfall hat sich Gottes bemächtigt, Gabriel hat


„Gottes Stirn mit einer Trauerwolke
Bedeckt gesehn, wie aus des Lichtes Augen dann
Des Zornes Flamme brach, bis er, dem Schlag zu wehren,
Zuletzt den Zug befahl, vernahm, wie Gottes Gnade
Geraume Zeit hindurch in Wort und Widerrede
Im Gleichgewicht sich hielt mit der Gerechtigkeit."

Und nun ruft Michael, in Lallten höchsten poetischen Aufschwungs seine
Schaaren zum Streite:


„Auf, Schildknapp Uriel, bring schnell den Blitz herbei,
Die Rüstung, Helm und Schild, das Banner Gottes," ?c.

Die Friedensmission Raphaels^) an die zum Kampfe aufmarschierenden
Luciferisten mißglückt; auch seine Drohungen ewigen Verderbens vermögen
der blinden Wuth gegenüber nichts mehr. Gott gelte ja fein Kampf nicht,
heuchelt Lucifer:


„Zu Gott und Lucifer hat meine Schaar geschworen

Und unter diesem Eid das Banner aufgepflanzt;

Man breite, was man will, im Himmel aus: Ich fechte

Und kämpfe unter Gott als Führer seiner Chöre

Zum Schutze ihres Rechts.

Kein Mcuschenjoch soll dieser Geister Nacken drücken,
Was ich veredelt'ge, ist das heil'ge Recht. Ich thu's
Nach vielem Widerstand .... nur gezwungen"




Milton behandelt diese Stufe der sich vollziehenden Empörung summarischer, aber
Prägnanter; das Ganze findet sich bei ihm, oft mit den überraschendsten Anklängen im
Einzelnen, Geh. 6, 616—71«.''
»*) Die Berbindung dieses Engels mit Miltons Abdiel von feiten K, ^V. S.s halte
ich für mißglückt; die Position beider Engel ist durchaus verschieden. Die angeführten
Parallelen treffen im Grunde nicht zu, und auf die Verschiedenheiten macht ^V. 0. selbst
aufmerksam, ohne eine genügende Erklärung für sie bieten zu können. (A. a. O. 8. 609.)
Grenzboten III. 1877. ">2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0257" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138488"/>
          <p xml:id="ID_764" prev="#ID_763"> Gottes auf die Meuterer hernbrufend zum Himmelspalaste auffährt mit den<lb/>
Schaaren seiner Getreuen, begrüßt Belzebub, nun umgewandelt, den erscheinenden<lb/>
Lucifer, der Empörung Haupt. Auch der erheuchelt anfangs Friedensworte;<lb/>
er läßt den Glauben aufkommen, als ob er in die Opposition gezwungen werde</p><lb/>
          <quote> &#x201E;So wollt ihr alle mir bezeugen.<lb/>
Daß ich aus Noth und Zwang die Stellung übernehme, &#x2014;<lb/>
Um Unglück abzuwenden."</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_765"> Im Triumph ziehen die empörten Schaaren davon, und der Chor schließt<lb/>
den Act mit Wehklage über das himmelstürmerische Streben.*)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_766"> Im 4. Aete sind die himmlischen Heerschaaren im vollen Aufruhr; der<lb/>
dritte Theil des Himmels hat zur Fahne des &#x201E;falschen Morgensterns" ge¬<lb/>
schworen und</p><lb/>
          <quote> &#x201E;seinen Thron, als wäre er ein Gott,<lb/>
Mit Weihrauchduft umgeben." »</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_767"> Tiefe Trauer über den Abfall hat sich Gottes bemächtigt, Gabriel hat</p><lb/>
          <quote> &#x201E;Gottes Stirn mit einer Trauerwolke<lb/>
Bedeckt gesehn, wie aus des Lichtes Augen dann<lb/>
Des Zornes Flamme brach, bis er, dem Schlag zu wehren,<lb/>
Zuletzt den Zug befahl, vernahm, wie Gottes Gnade<lb/>
Geraume Zeit hindurch in Wort und Widerrede<lb/>
Im Gleichgewicht sich hielt mit der Gerechtigkeit."</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_768"> Und nun ruft Michael, in Lallten höchsten poetischen Aufschwungs seine<lb/>
Schaaren zum Streite:</p><lb/>
          <quote> &#x201E;Auf, Schildknapp Uriel, bring schnell den Blitz herbei,<lb/>
Die Rüstung, Helm und Schild, das Banner Gottes," ?c.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_769"> Die Friedensmission Raphaels^) an die zum Kampfe aufmarschierenden<lb/>
Luciferisten mißglückt; auch seine Drohungen ewigen Verderbens vermögen<lb/>
der blinden Wuth gegenüber nichts mehr. Gott gelte ja fein Kampf nicht,<lb/>
heuchelt Lucifer:</p><lb/>
          <quote>
            <p xml:id="ID_770"> &#x201E;Zu Gott und Lucifer hat meine Schaar geschworen</p>
            <p xml:id="ID_771"> Und unter diesem Eid das Banner aufgepflanzt;</p>
            <p xml:id="ID_772"> Man breite, was man will, im Himmel aus: Ich fechte</p>
            <p xml:id="ID_773"> Und kämpfe unter Gott als Führer seiner Chöre</p>
            <p xml:id="ID_774"> Zum Schutze ihres Rechts.</p>
            <p xml:id="ID_775" next="#ID_776"> Kein Mcuschenjoch soll dieser Geister Nacken drücken,<lb/>
Was ich veredelt'ge, ist das heil'ge Recht. Ich thu's<lb/>
Nach vielem Widerstand .... nur gezwungen"</p>
          </quote><lb/>
          <note xml:id="FID_30" place="foot"> Milton behandelt diese Stufe der sich vollziehenden Empörung summarischer, aber<lb/>
Prägnanter; das Ganze findet sich bei ihm, oft mit den überraschendsten Anklängen im<lb/>
Einzelnen, Geh. 6, 616&#x2014;71«.''</note><lb/>
          <note xml:id="FID_31" place="foot"> »*) Die Berbindung dieses Engels mit Miltons Abdiel von feiten K, ^V. S.s halte<lb/>
ich für mißglückt; die Position beider Engel ist durchaus verschieden.  Die angeführten<lb/>
Parallelen treffen im Grunde nicht zu, und auf die Verschiedenheiten macht   ^V. 0. selbst<lb/>
aufmerksam, ohne eine genügende Erklärung für sie bieten zu können. (A. a. O. 8. 609.)</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1877. "&gt;2</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0257] Gottes auf die Meuterer hernbrufend zum Himmelspalaste auffährt mit den Schaaren seiner Getreuen, begrüßt Belzebub, nun umgewandelt, den erscheinenden Lucifer, der Empörung Haupt. Auch der erheuchelt anfangs Friedensworte; er läßt den Glauben aufkommen, als ob er in die Opposition gezwungen werde „So wollt ihr alle mir bezeugen. Daß ich aus Noth und Zwang die Stellung übernehme, — Um Unglück abzuwenden." Im Triumph ziehen die empörten Schaaren davon, und der Chor schließt den Act mit Wehklage über das himmelstürmerische Streben.*) Im 4. Aete sind die himmlischen Heerschaaren im vollen Aufruhr; der dritte Theil des Himmels hat zur Fahne des „falschen Morgensterns" ge¬ schworen und „seinen Thron, als wäre er ein Gott, Mit Weihrauchduft umgeben." » Tiefe Trauer über den Abfall hat sich Gottes bemächtigt, Gabriel hat „Gottes Stirn mit einer Trauerwolke Bedeckt gesehn, wie aus des Lichtes Augen dann Des Zornes Flamme brach, bis er, dem Schlag zu wehren, Zuletzt den Zug befahl, vernahm, wie Gottes Gnade Geraume Zeit hindurch in Wort und Widerrede Im Gleichgewicht sich hielt mit der Gerechtigkeit." Und nun ruft Michael, in Lallten höchsten poetischen Aufschwungs seine Schaaren zum Streite: „Auf, Schildknapp Uriel, bring schnell den Blitz herbei, Die Rüstung, Helm und Schild, das Banner Gottes," ?c. Die Friedensmission Raphaels^) an die zum Kampfe aufmarschierenden Luciferisten mißglückt; auch seine Drohungen ewigen Verderbens vermögen der blinden Wuth gegenüber nichts mehr. Gott gelte ja fein Kampf nicht, heuchelt Lucifer: „Zu Gott und Lucifer hat meine Schaar geschworen Und unter diesem Eid das Banner aufgepflanzt; Man breite, was man will, im Himmel aus: Ich fechte Und kämpfe unter Gott als Führer seiner Chöre Zum Schutze ihres Rechts. Kein Mcuschenjoch soll dieser Geister Nacken drücken, Was ich veredelt'ge, ist das heil'ge Recht. Ich thu's Nach vielem Widerstand .... nur gezwungen" Milton behandelt diese Stufe der sich vollziehenden Empörung summarischer, aber Prägnanter; das Ganze findet sich bei ihm, oft mit den überraschendsten Anklängen im Einzelnen, Geh. 6, 616—71«.'' »*) Die Berbindung dieses Engels mit Miltons Abdiel von feiten K, ^V. S.s halte ich für mißglückt; die Position beider Engel ist durchaus verschieden. Die angeführten Parallelen treffen im Grunde nicht zu, und auf die Verschiedenheiten macht ^V. 0. selbst aufmerksam, ohne eine genügende Erklärung für sie bieten zu können. (A. a. O. 8. 609.) Grenzboten III. 1877. ">2

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/257
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/257>, abgerufen am 28.09.2024.