Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

auch wenn sie zu ihren Vermuthungen nicht passen, anerkennen, wird denn
auch ganz unumwunden eingestanden, daß die von ihrer Lehre geforderten
Zwischenstufen zwischen Mensch und Affe bis jetzt nirgends gesunden worden
sind, und gewöhnlich nur die Hoffnung geäußert, daß sie sich wohl noch finden
würden. Diese Hoffnung können wir ihnen billig lassen; so lange sie sich aber
nicht erfüllt hat, darf man nicht blos, sondern muß man, dem Grundsatz
folgend, daß nicht mit Vermuthungen, sondern nur mit guten Beobachtungen
der, Wissenschaft gedient wird, den Schluß ziehen, daß der Mensch eine Art
für sich bilde, die aus keiner andern hervorgewachsen, sondern selbständig in
einer bestimmten Zeit aufgetreten sei.

Genauere Kenntnisse von der Urbevölkerung der Erde, die uns zu dem
eben gezognen Schlüsse berechtigen, haben wir nur durch die Funde gewonnen,
die in Europa gemacht worden sind. Woher diese ältesten europäischen Men¬
schen stammten, ist nicht mit Sicherheit zu beantworten. Einige Thatsachen
sprechen dafür, daß die Meuschen, welche Pfahlbauten errichteten, aus Asien
eingewandert siud. Das Auffinden ziemlich vieler Gegenstände, die ans Nephrit,
einem sehr harten, in Europa nirgends anzutreffenden, aber in Ost- und Mittel¬
asien häufig verarbeiteten Mineral verfertigt sind, ist wohl als die wichtigste
jener Thatsachen anzusehen. Demzufolge hätten wir die ersten Menschen in
Asien zu suchen, was jetzt sast allgemein angenommen wird. Man hat zur
Bestätigung dieser Ansicht auch auf die spärlichen Funde von Gerathen aus
Feuerstein hingewiesen, welche man in der Umgegend von Madras, sowie in
den Flußauschwemmungen des Nerbudda-Thales entdeckt hat, und die mit den
palävlithischen Gerathen des westlichen Europa übereinstimmen. Von Menschen-
knochen aus der Periode der Urzeit, von der hier die Rede ist, hat man aber in Asien
bis jetzt nur das Bruchstück einer Tibia entdeckt, welche merkwürdiger Weise die¬
selbe Eigenthümlichkeit im Baue erkennen ließ, die man bei vielen Tibien be¬
merkte, welche in den Knochenhöhlen bei Gibraltar, in England und in Frank¬
reich gesunden worden waren, nämlich eine ungewöhnlich starke Entwickelung
des scharfen Randes dieses Knochens, die von der Wissenschaft als Platyenemie be¬
zeichnet wird. Sie kommt häufig vor, kann aber doch wohl nicht als besonderes
Rassenmerkmal betrachtet werden, da sie keineswegs an allen Tibien aus jener
Zeit vorkommt und an den in Belgien gefundenen noch niemals beobachtet
worden ist. In Indien zeigt sich übrigens dieselbe Erscheinung wie in Europa,
die nämlich, daß sich die ersten Spuren von Menschen oder Geräthen der
Menschenhand in Anschwemmungen und zusammen mit Knochen theils noch
lebender, theils ausgestorbener Thiergeschlechter finden.

Auch in Palästina hat man auf einer Küstenschichte zwischen dem Berge
Tabor und dem See von Tiberias ein Fenersteingeräth gefunden, welches


auch wenn sie zu ihren Vermuthungen nicht passen, anerkennen, wird denn
auch ganz unumwunden eingestanden, daß die von ihrer Lehre geforderten
Zwischenstufen zwischen Mensch und Affe bis jetzt nirgends gesunden worden
sind, und gewöhnlich nur die Hoffnung geäußert, daß sie sich wohl noch finden
würden. Diese Hoffnung können wir ihnen billig lassen; so lange sie sich aber
nicht erfüllt hat, darf man nicht blos, sondern muß man, dem Grundsatz
folgend, daß nicht mit Vermuthungen, sondern nur mit guten Beobachtungen
der, Wissenschaft gedient wird, den Schluß ziehen, daß der Mensch eine Art
für sich bilde, die aus keiner andern hervorgewachsen, sondern selbständig in
einer bestimmten Zeit aufgetreten sei.

Genauere Kenntnisse von der Urbevölkerung der Erde, die uns zu dem
eben gezognen Schlüsse berechtigen, haben wir nur durch die Funde gewonnen,
die in Europa gemacht worden sind. Woher diese ältesten europäischen Men¬
schen stammten, ist nicht mit Sicherheit zu beantworten. Einige Thatsachen
sprechen dafür, daß die Meuschen, welche Pfahlbauten errichteten, aus Asien
eingewandert siud. Das Auffinden ziemlich vieler Gegenstände, die ans Nephrit,
einem sehr harten, in Europa nirgends anzutreffenden, aber in Ost- und Mittel¬
asien häufig verarbeiteten Mineral verfertigt sind, ist wohl als die wichtigste
jener Thatsachen anzusehen. Demzufolge hätten wir die ersten Menschen in
Asien zu suchen, was jetzt sast allgemein angenommen wird. Man hat zur
Bestätigung dieser Ansicht auch auf die spärlichen Funde von Gerathen aus
Feuerstein hingewiesen, welche man in der Umgegend von Madras, sowie in
den Flußauschwemmungen des Nerbudda-Thales entdeckt hat, und die mit den
palävlithischen Gerathen des westlichen Europa übereinstimmen. Von Menschen-
knochen aus der Periode der Urzeit, von der hier die Rede ist, hat man aber in Asien
bis jetzt nur das Bruchstück einer Tibia entdeckt, welche merkwürdiger Weise die¬
selbe Eigenthümlichkeit im Baue erkennen ließ, die man bei vielen Tibien be¬
merkte, welche in den Knochenhöhlen bei Gibraltar, in England und in Frank¬
reich gesunden worden waren, nämlich eine ungewöhnlich starke Entwickelung
des scharfen Randes dieses Knochens, die von der Wissenschaft als Platyenemie be¬
zeichnet wird. Sie kommt häufig vor, kann aber doch wohl nicht als besonderes
Rassenmerkmal betrachtet werden, da sie keineswegs an allen Tibien aus jener
Zeit vorkommt und an den in Belgien gefundenen noch niemals beobachtet
worden ist. In Indien zeigt sich übrigens dieselbe Erscheinung wie in Europa,
die nämlich, daß sich die ersten Spuren von Menschen oder Geräthen der
Menschenhand in Anschwemmungen und zusammen mit Knochen theils noch
lebender, theils ausgestorbener Thiergeschlechter finden.

Auch in Palästina hat man auf einer Küstenschichte zwischen dem Berge
Tabor und dem See von Tiberias ein Fenersteingeräth gefunden, welches


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0024" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138255"/>
          <p xml:id="ID_45" prev="#ID_44"> auch wenn sie zu ihren Vermuthungen nicht passen, anerkennen, wird denn<lb/>
auch ganz unumwunden eingestanden, daß die von ihrer Lehre geforderten<lb/>
Zwischenstufen zwischen Mensch und Affe bis jetzt nirgends gesunden worden<lb/>
sind, und gewöhnlich nur die Hoffnung geäußert, daß sie sich wohl noch finden<lb/>
würden. Diese Hoffnung können wir ihnen billig lassen; so lange sie sich aber<lb/>
nicht erfüllt hat, darf man nicht blos, sondern muß man, dem Grundsatz<lb/>
folgend, daß nicht mit Vermuthungen, sondern nur mit guten Beobachtungen<lb/>
der, Wissenschaft gedient wird, den Schluß ziehen, daß der Mensch eine Art<lb/>
für sich bilde, die aus keiner andern hervorgewachsen, sondern selbständig in<lb/>
einer bestimmten Zeit aufgetreten sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_46"> Genauere Kenntnisse von der Urbevölkerung der Erde, die uns zu dem<lb/>
eben gezognen Schlüsse berechtigen, haben wir nur durch die Funde gewonnen,<lb/>
die in Europa gemacht worden sind. Woher diese ältesten europäischen Men¬<lb/>
schen stammten, ist nicht mit Sicherheit zu beantworten. Einige Thatsachen<lb/>
sprechen dafür, daß die Meuschen, welche Pfahlbauten errichteten, aus Asien<lb/>
eingewandert siud. Das Auffinden ziemlich vieler Gegenstände, die ans Nephrit,<lb/>
einem sehr harten, in Europa nirgends anzutreffenden, aber in Ost- und Mittel¬<lb/>
asien häufig verarbeiteten Mineral verfertigt sind, ist wohl als die wichtigste<lb/>
jener Thatsachen anzusehen. Demzufolge hätten wir die ersten Menschen in<lb/>
Asien zu suchen, was jetzt sast allgemein angenommen wird. Man hat zur<lb/>
Bestätigung dieser Ansicht auch auf die spärlichen Funde von Gerathen aus<lb/>
Feuerstein hingewiesen, welche man in der Umgegend von Madras, sowie in<lb/>
den Flußauschwemmungen des Nerbudda-Thales entdeckt hat, und die mit den<lb/>
palävlithischen Gerathen des westlichen Europa übereinstimmen. Von Menschen-<lb/>
knochen aus der Periode der Urzeit, von der hier die Rede ist, hat man aber in Asien<lb/>
bis jetzt nur das Bruchstück einer Tibia entdeckt, welche merkwürdiger Weise die¬<lb/>
selbe Eigenthümlichkeit im Baue erkennen ließ, die man bei vielen Tibien be¬<lb/>
merkte, welche in den Knochenhöhlen bei Gibraltar, in England und in Frank¬<lb/>
reich gesunden worden waren, nämlich eine ungewöhnlich starke Entwickelung<lb/>
des scharfen Randes dieses Knochens, die von der Wissenschaft als Platyenemie be¬<lb/>
zeichnet wird. Sie kommt häufig vor, kann aber doch wohl nicht als besonderes<lb/>
Rassenmerkmal betrachtet werden, da sie keineswegs an allen Tibien aus jener<lb/>
Zeit vorkommt und an den in Belgien gefundenen noch niemals beobachtet<lb/>
worden ist. In Indien zeigt sich übrigens dieselbe Erscheinung wie in Europa,<lb/>
die nämlich, daß sich die ersten Spuren von Menschen oder Geräthen der<lb/>
Menschenhand in Anschwemmungen und zusammen mit Knochen theils noch<lb/>
lebender, theils ausgestorbener Thiergeschlechter finden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_47" next="#ID_48"> Auch in Palästina hat man auf einer Küstenschichte zwischen dem Berge<lb/>
Tabor und dem See von Tiberias ein Fenersteingeräth gefunden, welches</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0024] auch wenn sie zu ihren Vermuthungen nicht passen, anerkennen, wird denn auch ganz unumwunden eingestanden, daß die von ihrer Lehre geforderten Zwischenstufen zwischen Mensch und Affe bis jetzt nirgends gesunden worden sind, und gewöhnlich nur die Hoffnung geäußert, daß sie sich wohl noch finden würden. Diese Hoffnung können wir ihnen billig lassen; so lange sie sich aber nicht erfüllt hat, darf man nicht blos, sondern muß man, dem Grundsatz folgend, daß nicht mit Vermuthungen, sondern nur mit guten Beobachtungen der, Wissenschaft gedient wird, den Schluß ziehen, daß der Mensch eine Art für sich bilde, die aus keiner andern hervorgewachsen, sondern selbständig in einer bestimmten Zeit aufgetreten sei. Genauere Kenntnisse von der Urbevölkerung der Erde, die uns zu dem eben gezognen Schlüsse berechtigen, haben wir nur durch die Funde gewonnen, die in Europa gemacht worden sind. Woher diese ältesten europäischen Men¬ schen stammten, ist nicht mit Sicherheit zu beantworten. Einige Thatsachen sprechen dafür, daß die Meuschen, welche Pfahlbauten errichteten, aus Asien eingewandert siud. Das Auffinden ziemlich vieler Gegenstände, die ans Nephrit, einem sehr harten, in Europa nirgends anzutreffenden, aber in Ost- und Mittel¬ asien häufig verarbeiteten Mineral verfertigt sind, ist wohl als die wichtigste jener Thatsachen anzusehen. Demzufolge hätten wir die ersten Menschen in Asien zu suchen, was jetzt sast allgemein angenommen wird. Man hat zur Bestätigung dieser Ansicht auch auf die spärlichen Funde von Gerathen aus Feuerstein hingewiesen, welche man in der Umgegend von Madras, sowie in den Flußauschwemmungen des Nerbudda-Thales entdeckt hat, und die mit den palävlithischen Gerathen des westlichen Europa übereinstimmen. Von Menschen- knochen aus der Periode der Urzeit, von der hier die Rede ist, hat man aber in Asien bis jetzt nur das Bruchstück einer Tibia entdeckt, welche merkwürdiger Weise die¬ selbe Eigenthümlichkeit im Baue erkennen ließ, die man bei vielen Tibien be¬ merkte, welche in den Knochenhöhlen bei Gibraltar, in England und in Frank¬ reich gesunden worden waren, nämlich eine ungewöhnlich starke Entwickelung des scharfen Randes dieses Knochens, die von der Wissenschaft als Platyenemie be¬ zeichnet wird. Sie kommt häufig vor, kann aber doch wohl nicht als besonderes Rassenmerkmal betrachtet werden, da sie keineswegs an allen Tibien aus jener Zeit vorkommt und an den in Belgien gefundenen noch niemals beobachtet worden ist. In Indien zeigt sich übrigens dieselbe Erscheinung wie in Europa, die nämlich, daß sich die ersten Spuren von Menschen oder Geräthen der Menschenhand in Anschwemmungen und zusammen mit Knochen theils noch lebender, theils ausgestorbener Thiergeschlechter finden. Auch in Palästina hat man auf einer Küstenschichte zwischen dem Berge Tabor und dem See von Tiberias ein Fenersteingeräth gefunden, welches

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/24
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/24>, abgerufen am 28.09.2024.