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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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seinem Typus nach ganz mit den in den Flußablagerungen Westeuropas ent¬
deckten übereinstimmt. Diese höchst dürftigen Anhaltspunkte sind aber auch
alles, was wir über das Auftreten des Menschen in den Ländern aussagen
können, welche von jeher als die Urheimath unseres Geschlechts angesehen wor¬
den sind. Erst wenn auch diese Gegenden der Erde von der Wissenschaft ge¬
nauer untersucht sein werden, wird man im Stande sein, einen tieferen Aus-
spruch über das Verhältniß der Ureinwohner Europas zu der alten Be¬
völkerung Asiens zu thun. Bis dahin müssen wir uns eben an das halten,
was uns von den urzeitlichen Menschen unseres Weltheils bekannt ist, und
das gewährt der Theorie Darwin's und seiner Schule von der Abstammung
des Menschen von einem affenartigen Thiere durchaus keine Unterstützung.
Diese Theorie steht in dieser Hinsicht ganz ebenso im Widerspruch mit den
Thatsachen, wie ihre Behauptung, daß das Alter des Menschengeschlechts
ein unendlich hohes sei, daß es schon seit undenklichen Zeiten bestehe. Die
Wahrheit ist hier vielmehr die, daß wir an der Hand der Thatsachen bis jetzt
zu keinem andern Schlüsse gelangen können, als zu dem, daß der Mensch
plötzlich, in einem bestimmten Augenblicke aufgetreten ist, und daß sein erstes
Erscheinen vor nicht sehr langer Zeit, wahrscheinlich erst vor wenigen Jahr¬
tausenden stattgefunden hat.

Man kaun dieser Ansicht gegenüber auf die uralte Kultur Chinas, auf
die ebenfalls in sehr frühe Zeiten zurückreichende Blüthe von Mesopotamien
und namentlich.auf Aegypten hinweisen, welches vor mehr als vier Jahr¬
tausenden eine Weisheit, eine Kunst und eine Industrie besaß, die auf den
ersten Blick eben nicht darnach aussehen, als ob sie das Produkt einiger Jahr¬
hunderte gewesen sein könnten. Indeß ist auch das bei näherer Betrachtung
nicht stichhaltig. Wer aus den Fortschritten in der Kultur eine Zeitberechuuug
herleiten will, möge zuerst angeben, wie das Gesetz der Entwickelung der Völker
bei ihm lautet. Schon ein flüchtiger Blick auf die Geschichte läßt erkennen,
daß von nahe verwandten Völkern das eine sich sehr rasch entwickelte und das
andere lange Zeit hindurch im Urzustande oder doch ans einer fehr niedrigen
Kulturstufe verharrte, und daß wir über diesen Gegenstand theoretisch nichts
aussagen, fondern nur das angeben können, was uns die Erfahrung über jedes
einzelne Volk lehrt. Mit andern Worten: wie lange ein Zweig der Mensch¬
heit innerhalb gewisser Grenzen der Ausbildung verblieben ist, wie schnell er
ein anderes und ein drittes Stadium erreicht hat, darüber lassen sich durchaus
keine Gesetze aufstellen, und jede nicht von der Geschichte gegebene Berechnung
der Entwickelungsstadien eines Volkes ist eitel Phantasiespiel ohne irgend
welchen Werth.

Solchen Phantasiebildern vom Zustande der Urbevölkerung Europas gegeu-


Grcnzboten NI. 1877. 3

seinem Typus nach ganz mit den in den Flußablagerungen Westeuropas ent¬
deckten übereinstimmt. Diese höchst dürftigen Anhaltspunkte sind aber auch
alles, was wir über das Auftreten des Menschen in den Ländern aussagen
können, welche von jeher als die Urheimath unseres Geschlechts angesehen wor¬
den sind. Erst wenn auch diese Gegenden der Erde von der Wissenschaft ge¬
nauer untersucht sein werden, wird man im Stande sein, einen tieferen Aus-
spruch über das Verhältniß der Ureinwohner Europas zu der alten Be¬
völkerung Asiens zu thun. Bis dahin müssen wir uns eben an das halten,
was uns von den urzeitlichen Menschen unseres Weltheils bekannt ist, und
das gewährt der Theorie Darwin's und seiner Schule von der Abstammung
des Menschen von einem affenartigen Thiere durchaus keine Unterstützung.
Diese Theorie steht in dieser Hinsicht ganz ebenso im Widerspruch mit den
Thatsachen, wie ihre Behauptung, daß das Alter des Menschengeschlechts
ein unendlich hohes sei, daß es schon seit undenklichen Zeiten bestehe. Die
Wahrheit ist hier vielmehr die, daß wir an der Hand der Thatsachen bis jetzt
zu keinem andern Schlüsse gelangen können, als zu dem, daß der Mensch
plötzlich, in einem bestimmten Augenblicke aufgetreten ist, und daß sein erstes
Erscheinen vor nicht sehr langer Zeit, wahrscheinlich erst vor wenigen Jahr¬
tausenden stattgefunden hat.

Man kaun dieser Ansicht gegenüber auf die uralte Kultur Chinas, auf
die ebenfalls in sehr frühe Zeiten zurückreichende Blüthe von Mesopotamien
und namentlich.auf Aegypten hinweisen, welches vor mehr als vier Jahr¬
tausenden eine Weisheit, eine Kunst und eine Industrie besaß, die auf den
ersten Blick eben nicht darnach aussehen, als ob sie das Produkt einiger Jahr¬
hunderte gewesen sein könnten. Indeß ist auch das bei näherer Betrachtung
nicht stichhaltig. Wer aus den Fortschritten in der Kultur eine Zeitberechuuug
herleiten will, möge zuerst angeben, wie das Gesetz der Entwickelung der Völker
bei ihm lautet. Schon ein flüchtiger Blick auf die Geschichte läßt erkennen,
daß von nahe verwandten Völkern das eine sich sehr rasch entwickelte und das
andere lange Zeit hindurch im Urzustande oder doch ans einer fehr niedrigen
Kulturstufe verharrte, und daß wir über diesen Gegenstand theoretisch nichts
aussagen, fondern nur das angeben können, was uns die Erfahrung über jedes
einzelne Volk lehrt. Mit andern Worten: wie lange ein Zweig der Mensch¬
heit innerhalb gewisser Grenzen der Ausbildung verblieben ist, wie schnell er
ein anderes und ein drittes Stadium erreicht hat, darüber lassen sich durchaus
keine Gesetze aufstellen, und jede nicht von der Geschichte gegebene Berechnung
der Entwickelungsstadien eines Volkes ist eitel Phantasiespiel ohne irgend
welchen Werth.

Solchen Phantasiebildern vom Zustande der Urbevölkerung Europas gegeu-


Grcnzboten NI. 1877. 3
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[0025] seinem Typus nach ganz mit den in den Flußablagerungen Westeuropas ent¬ deckten übereinstimmt. Diese höchst dürftigen Anhaltspunkte sind aber auch alles, was wir über das Auftreten des Menschen in den Ländern aussagen können, welche von jeher als die Urheimath unseres Geschlechts angesehen wor¬ den sind. Erst wenn auch diese Gegenden der Erde von der Wissenschaft ge¬ nauer untersucht sein werden, wird man im Stande sein, einen tieferen Aus- spruch über das Verhältniß der Ureinwohner Europas zu der alten Be¬ völkerung Asiens zu thun. Bis dahin müssen wir uns eben an das halten, was uns von den urzeitlichen Menschen unseres Weltheils bekannt ist, und das gewährt der Theorie Darwin's und seiner Schule von der Abstammung des Menschen von einem affenartigen Thiere durchaus keine Unterstützung. Diese Theorie steht in dieser Hinsicht ganz ebenso im Widerspruch mit den Thatsachen, wie ihre Behauptung, daß das Alter des Menschengeschlechts ein unendlich hohes sei, daß es schon seit undenklichen Zeiten bestehe. Die Wahrheit ist hier vielmehr die, daß wir an der Hand der Thatsachen bis jetzt zu keinem andern Schlüsse gelangen können, als zu dem, daß der Mensch plötzlich, in einem bestimmten Augenblicke aufgetreten ist, und daß sein erstes Erscheinen vor nicht sehr langer Zeit, wahrscheinlich erst vor wenigen Jahr¬ tausenden stattgefunden hat. Man kaun dieser Ansicht gegenüber auf die uralte Kultur Chinas, auf die ebenfalls in sehr frühe Zeiten zurückreichende Blüthe von Mesopotamien und namentlich.auf Aegypten hinweisen, welches vor mehr als vier Jahr¬ tausenden eine Weisheit, eine Kunst und eine Industrie besaß, die auf den ersten Blick eben nicht darnach aussehen, als ob sie das Produkt einiger Jahr¬ hunderte gewesen sein könnten. Indeß ist auch das bei näherer Betrachtung nicht stichhaltig. Wer aus den Fortschritten in der Kultur eine Zeitberechuuug herleiten will, möge zuerst angeben, wie das Gesetz der Entwickelung der Völker bei ihm lautet. Schon ein flüchtiger Blick auf die Geschichte läßt erkennen, daß von nahe verwandten Völkern das eine sich sehr rasch entwickelte und das andere lange Zeit hindurch im Urzustande oder doch ans einer fehr niedrigen Kulturstufe verharrte, und daß wir über diesen Gegenstand theoretisch nichts aussagen, fondern nur das angeben können, was uns die Erfahrung über jedes einzelne Volk lehrt. Mit andern Worten: wie lange ein Zweig der Mensch¬ heit innerhalb gewisser Grenzen der Ausbildung verblieben ist, wie schnell er ein anderes und ein drittes Stadium erreicht hat, darüber lassen sich durchaus keine Gesetze aufstellen, und jede nicht von der Geschichte gegebene Berechnung der Entwickelungsstadien eines Volkes ist eitel Phantasiespiel ohne irgend welchen Werth. Solchen Phantasiebildern vom Zustande der Urbevölkerung Europas gegeu- Grcnzboten NI. 1877. 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/25>, abgerufen am 28.09.2024.