Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

arabischen Geographen auch noch einen Arm und ein Auge ausgerissen und
überhaupt nur die eine Hälfte von ihnen übrig gelassen, mit der sie am Rande
von Sümpfen herumhüpfen.

Bis zur Ilias hinauf steigt die Sage von den Pygmüen und ihren Kämpfen
mit den Kranichen. Aristoteles versetzt dieses Zwergvolk an die Quellen des
Nil, Pomponius Mela läßt die Pygmäen bis ans Rothe Meer vordringen und hier
von ihren befiederten Feinden vernichtet werden, Plinius und Solinus lassen
sie im Gebirge nördlich von Indien wohnen, Strabo endlich leugnet ihre
Existenz ganz und gar und will hinter der Ueberlieferung von ihnen nur ein
schwächliches äthiopisches Hirtenvolk erkennen. Die Kosmvgraphen und Karten¬
zeichner des Mittelalters denken ähnlich wie Solinus. Die catalanische Karte
z. B. zeigt die Pygmäen an der Westgrenze von China. Wir sehen drei von
ihnen im Kampfe mit fünf Vögeln dargestellt, und dabei ist zu lesen: "Hier
gibt es kleine Menschen, welche keine fünf Faust Höhe haben und sich tapfer
gegen die Kraniche wehren. Hier grenzt das Land des Herrschers von Kathai
an." Die Historie vom Herzog Ernst, der sie Pigmancm nennt, schildert sie
als "Leute, die nur zwei Ellbogen lang sind und nur von Vogeleiern leben."

Eine besonders wichtige Rolle spielten, wie Peschel ausführlich nachweist,
in der Erdkunde des Mittelalters die Ungethüme mit Hundeköpfen. Häufig
hatten die altgriechischen und altrömischen Schriftsteller unter denselben nichts
Anderes als Affen verstanden, nicht selten aber auch Menschen. Plinius
meldet nach Ktesias: "In den (indischen) Gebirgen sollen Menschen mit Hunde¬
köpfen Hausen, die sich in Thierfelle kleiden, keine Sprache besitzen, sondern wie
Hunde bellen und sich auf diese Art unter einander verständlich machen. Ihre
Zähne siud länger als Hnndezähne, ihre Nägel wie die Klauen der Hunde
nur größer und stumpfer. Sie bewohnen die Berghänge bis zum Indus
herab. Schwarz von Farbe, sind sie doch keineswegs bösartig. Die Sprache
der andern Inder, die mit ihnen verkehren, verstehen sie recht wohl, sie selbst
aber können nicht antworten, sondern äußern, was sie wollen, durch Bellen
und Zeichen mit den Händen und Fingern wie Taube und Stumme. Ihre
Nahrung besteht in rohem Fleische. Die Inder nennen sie Kalystrioi." Man
darf aber ein Geschlecht, das sich kleidet, die Sprache der Inder versteht, sich
dnrch Geberden verständlich macht und sich vom Fleisch nährt, nicht für Affen
halten, vielmehr waren diese Leute wahrscheinlich ein Rest der von den Ariern
verdrängten schwarzen Urbevölkerung Indiens, deren vorstehende Kiefern an
Hunde erinnerten, vielleicht Australneger.

Auch Marco Polo weiß von hundsköpfigen Menschen zu berichten. Die¬
selben bewohnten die im Norden von Java gelegenen Inseln Necnveram und
Augnman. ' Die Inseln brächten rothe Sandelbäume, Kokosnüsse, Brasilien-


arabischen Geographen auch noch einen Arm und ein Auge ausgerissen und
überhaupt nur die eine Hälfte von ihnen übrig gelassen, mit der sie am Rande
von Sümpfen herumhüpfen.

Bis zur Ilias hinauf steigt die Sage von den Pygmüen und ihren Kämpfen
mit den Kranichen. Aristoteles versetzt dieses Zwergvolk an die Quellen des
Nil, Pomponius Mela läßt die Pygmäen bis ans Rothe Meer vordringen und hier
von ihren befiederten Feinden vernichtet werden, Plinius und Solinus lassen
sie im Gebirge nördlich von Indien wohnen, Strabo endlich leugnet ihre
Existenz ganz und gar und will hinter der Ueberlieferung von ihnen nur ein
schwächliches äthiopisches Hirtenvolk erkennen. Die Kosmvgraphen und Karten¬
zeichner des Mittelalters denken ähnlich wie Solinus. Die catalanische Karte
z. B. zeigt die Pygmäen an der Westgrenze von China. Wir sehen drei von
ihnen im Kampfe mit fünf Vögeln dargestellt, und dabei ist zu lesen: „Hier
gibt es kleine Menschen, welche keine fünf Faust Höhe haben und sich tapfer
gegen die Kraniche wehren. Hier grenzt das Land des Herrschers von Kathai
an." Die Historie vom Herzog Ernst, der sie Pigmancm nennt, schildert sie
als „Leute, die nur zwei Ellbogen lang sind und nur von Vogeleiern leben."

Eine besonders wichtige Rolle spielten, wie Peschel ausführlich nachweist,
in der Erdkunde des Mittelalters die Ungethüme mit Hundeköpfen. Häufig
hatten die altgriechischen und altrömischen Schriftsteller unter denselben nichts
Anderes als Affen verstanden, nicht selten aber auch Menschen. Plinius
meldet nach Ktesias: „In den (indischen) Gebirgen sollen Menschen mit Hunde¬
köpfen Hausen, die sich in Thierfelle kleiden, keine Sprache besitzen, sondern wie
Hunde bellen und sich auf diese Art unter einander verständlich machen. Ihre
Zähne siud länger als Hnndezähne, ihre Nägel wie die Klauen der Hunde
nur größer und stumpfer. Sie bewohnen die Berghänge bis zum Indus
herab. Schwarz von Farbe, sind sie doch keineswegs bösartig. Die Sprache
der andern Inder, die mit ihnen verkehren, verstehen sie recht wohl, sie selbst
aber können nicht antworten, sondern äußern, was sie wollen, durch Bellen
und Zeichen mit den Händen und Fingern wie Taube und Stumme. Ihre
Nahrung besteht in rohem Fleische. Die Inder nennen sie Kalystrioi." Man
darf aber ein Geschlecht, das sich kleidet, die Sprache der Inder versteht, sich
dnrch Geberden verständlich macht und sich vom Fleisch nährt, nicht für Affen
halten, vielmehr waren diese Leute wahrscheinlich ein Rest der von den Ariern
verdrängten schwarzen Urbevölkerung Indiens, deren vorstehende Kiefern an
Hunde erinnerten, vielleicht Australneger.

Auch Marco Polo weiß von hundsköpfigen Menschen zu berichten. Die¬
selben bewohnten die im Norden von Java gelegenen Inseln Necnveram und
Augnman. ' Die Inseln brächten rothe Sandelbäume, Kokosnüsse, Brasilien-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0234" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138465"/>
          <p xml:id="ID_690" prev="#ID_689"> arabischen Geographen auch noch einen Arm und ein Auge ausgerissen und<lb/>
überhaupt nur die eine Hälfte von ihnen übrig gelassen, mit der sie am Rande<lb/>
von Sümpfen herumhüpfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_691"> Bis zur Ilias hinauf steigt die Sage von den Pygmüen und ihren Kämpfen<lb/>
mit den Kranichen. Aristoteles versetzt dieses Zwergvolk an die Quellen des<lb/>
Nil, Pomponius Mela läßt die Pygmäen bis ans Rothe Meer vordringen und hier<lb/>
von ihren befiederten Feinden vernichtet werden, Plinius und Solinus lassen<lb/>
sie im Gebirge nördlich von Indien wohnen, Strabo endlich leugnet ihre<lb/>
Existenz ganz und gar und will hinter der Ueberlieferung von ihnen nur ein<lb/>
schwächliches äthiopisches Hirtenvolk erkennen. Die Kosmvgraphen und Karten¬<lb/>
zeichner des Mittelalters denken ähnlich wie Solinus. Die catalanische Karte<lb/>
z. B. zeigt die Pygmäen an der Westgrenze von China. Wir sehen drei von<lb/>
ihnen im Kampfe mit fünf Vögeln dargestellt, und dabei ist zu lesen: &#x201E;Hier<lb/>
gibt es kleine Menschen, welche keine fünf Faust Höhe haben und sich tapfer<lb/>
gegen die Kraniche wehren. Hier grenzt das Land des Herrschers von Kathai<lb/>
an." Die Historie vom Herzog Ernst, der sie Pigmancm nennt, schildert sie<lb/>
als &#x201E;Leute, die nur zwei Ellbogen lang sind und nur von Vogeleiern leben."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_692"> Eine besonders wichtige Rolle spielten, wie Peschel ausführlich nachweist,<lb/>
in der Erdkunde des Mittelalters die Ungethüme mit Hundeköpfen. Häufig<lb/>
hatten die altgriechischen und altrömischen Schriftsteller unter denselben nichts<lb/>
Anderes als Affen verstanden, nicht selten aber auch Menschen. Plinius<lb/>
meldet nach Ktesias: &#x201E;In den (indischen) Gebirgen sollen Menschen mit Hunde¬<lb/>
köpfen Hausen, die sich in Thierfelle kleiden, keine Sprache besitzen, sondern wie<lb/>
Hunde bellen und sich auf diese Art unter einander verständlich machen. Ihre<lb/>
Zähne siud länger als Hnndezähne, ihre Nägel wie die Klauen der Hunde<lb/>
nur größer und stumpfer. Sie bewohnen die Berghänge bis zum Indus<lb/>
herab. Schwarz von Farbe, sind sie doch keineswegs bösartig. Die Sprache<lb/>
der andern Inder, die mit ihnen verkehren, verstehen sie recht wohl, sie selbst<lb/>
aber können nicht antworten, sondern äußern, was sie wollen, durch Bellen<lb/>
und Zeichen mit den Händen und Fingern wie Taube und Stumme. Ihre<lb/>
Nahrung besteht in rohem Fleische. Die Inder nennen sie Kalystrioi." Man<lb/>
darf aber ein Geschlecht, das sich kleidet, die Sprache der Inder versteht, sich<lb/>
dnrch Geberden verständlich macht und sich vom Fleisch nährt, nicht für Affen<lb/>
halten, vielmehr waren diese Leute wahrscheinlich ein Rest der von den Ariern<lb/>
verdrängten schwarzen Urbevölkerung Indiens, deren vorstehende Kiefern an<lb/>
Hunde erinnerten, vielleicht Australneger.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_693" next="#ID_694"> Auch Marco Polo weiß von hundsköpfigen Menschen zu berichten. Die¬<lb/>
selben bewohnten die im Norden von Java gelegenen Inseln Necnveram und<lb/>
Augnman. ' Die Inseln brächten rothe Sandelbäume, Kokosnüsse, Brasilien-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0234] arabischen Geographen auch noch einen Arm und ein Auge ausgerissen und überhaupt nur die eine Hälfte von ihnen übrig gelassen, mit der sie am Rande von Sümpfen herumhüpfen. Bis zur Ilias hinauf steigt die Sage von den Pygmüen und ihren Kämpfen mit den Kranichen. Aristoteles versetzt dieses Zwergvolk an die Quellen des Nil, Pomponius Mela läßt die Pygmäen bis ans Rothe Meer vordringen und hier von ihren befiederten Feinden vernichtet werden, Plinius und Solinus lassen sie im Gebirge nördlich von Indien wohnen, Strabo endlich leugnet ihre Existenz ganz und gar und will hinter der Ueberlieferung von ihnen nur ein schwächliches äthiopisches Hirtenvolk erkennen. Die Kosmvgraphen und Karten¬ zeichner des Mittelalters denken ähnlich wie Solinus. Die catalanische Karte z. B. zeigt die Pygmäen an der Westgrenze von China. Wir sehen drei von ihnen im Kampfe mit fünf Vögeln dargestellt, und dabei ist zu lesen: „Hier gibt es kleine Menschen, welche keine fünf Faust Höhe haben und sich tapfer gegen die Kraniche wehren. Hier grenzt das Land des Herrschers von Kathai an." Die Historie vom Herzog Ernst, der sie Pigmancm nennt, schildert sie als „Leute, die nur zwei Ellbogen lang sind und nur von Vogeleiern leben." Eine besonders wichtige Rolle spielten, wie Peschel ausführlich nachweist, in der Erdkunde des Mittelalters die Ungethüme mit Hundeköpfen. Häufig hatten die altgriechischen und altrömischen Schriftsteller unter denselben nichts Anderes als Affen verstanden, nicht selten aber auch Menschen. Plinius meldet nach Ktesias: „In den (indischen) Gebirgen sollen Menschen mit Hunde¬ köpfen Hausen, die sich in Thierfelle kleiden, keine Sprache besitzen, sondern wie Hunde bellen und sich auf diese Art unter einander verständlich machen. Ihre Zähne siud länger als Hnndezähne, ihre Nägel wie die Klauen der Hunde nur größer und stumpfer. Sie bewohnen die Berghänge bis zum Indus herab. Schwarz von Farbe, sind sie doch keineswegs bösartig. Die Sprache der andern Inder, die mit ihnen verkehren, verstehen sie recht wohl, sie selbst aber können nicht antworten, sondern äußern, was sie wollen, durch Bellen und Zeichen mit den Händen und Fingern wie Taube und Stumme. Ihre Nahrung besteht in rohem Fleische. Die Inder nennen sie Kalystrioi." Man darf aber ein Geschlecht, das sich kleidet, die Sprache der Inder versteht, sich dnrch Geberden verständlich macht und sich vom Fleisch nährt, nicht für Affen halten, vielmehr waren diese Leute wahrscheinlich ein Rest der von den Ariern verdrängten schwarzen Urbevölkerung Indiens, deren vorstehende Kiefern an Hunde erinnerten, vielleicht Australneger. Auch Marco Polo weiß von hundsköpfigen Menschen zu berichten. Die¬ selben bewohnten die im Norden von Java gelegenen Inseln Necnveram und Augnman. ' Die Inseln brächten rothe Sandelbäume, Kokosnüsse, Brasilien-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/234
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/234>, abgerufen am 28.09.2024.