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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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hinaus zurückgewiesen, zwischen den Säulen des Herakles hindurch in das
Unbegrenzte und Unerforschliche des Atlantischen Oceans hinaus flüchtete. Und
wie der Westen, so bellte sich auch der Osten und Süden jetzt in rascher Folge
mehr und mehr auf. Auswanderer siedelten sich an der Propontis und am
Pontos Euxeinos an. Reisende wie Herodot besuchten das Innere von West¬
asien und sahen und beschrieben das Pharaonenreich im Nilthal. Die Perser
kriege, der Zug der zehntausend Xenophons, die Siege Alexanders rückten die
Grenzmarken der Erdkunde für den gebildeten Griechen bis an den Indus
und den persischen Golf. Der Karthager Hanno endlich wagte sich mit einer
Flotte in das westliche Weltmeer hinaus und brachte Nachrichten von den
Küstenvölkern Afrikas bis tief in den Süden mit beim.

Der Nordosten, das Land der Skythen und Sarmnten blieb mit halb
durchsichtigen Nebeln verschleiert, in die nur südliche Pelz-- und Bernsteinhändler
vordrangen, welche über ihre Expeditionen aus guten Gründen wenig verlauten
ließen. Der Nordwesten hüllte sich in nächtliches Dunkel, bis das Weltreich, das
sich im Westen neben den Trümmern des großen Östreichs der makedonischer
Halbgriechen entwickelt, sich über die Alpen ausdehnte, die Barbaren Galliens
bezwang, über den Rhein und die Donau ging und selbst jenseits des Aermel-
kanals seine Adler, aufpflanzte. Allerdings hatte der Waffensturm der Brennns-
krieger, der Zug Hannibals und der Einbruch der Cimbern und Teutonen
vorher schon zur Genüge gezeigt, daß hinter den Bergen auch Leute wohnten,
bereits lange vor Cäsar, der durch Eroberung Galliens in der Geschichte der
Erdkunde fast in demselben Maße eine neue Epoche begann wie später die
Spanier durch die Entdeckung Amerikas, wahrscheinlich schon im fünften Jahr-
hundert, waren semitische Schiffer bis hoch in den Norden vorgedrungen, um
Zinn und Bernstein zu holen, und Pytheas vou Massilia, der um 350 v. Chr.
ebenso weit kam, ist sicherlich uicht der einzige südliche Reisende in diesen Breiten ge¬
wesen. Allein die Berichte dieser Weitherumgekommnen klangen so fabelhaft,
und die Verlockung zu lebhafterem Verkehr mit dem fernen Nordlande war
bei dessen Armuth sür den Bewohner des Mittelmeergelüudes so gering, daß
sehr vieles von dem, was gegen Mitternacht nud Morgen von der Nordsee
liegt, selbst in Strabvs Tagen nur in unbestimmten, von den Einen so, von
den Andern anders gedeuteten Umrissen bekannt war.

Erst unter dem Kaiser Claudius wurde festgestellt, daß Britannien eine
Insel sei, und daß Irland an der westlichen Seite derselben, nicht, wie man
bis dahin gewähnt, im Norden liege. Bei derselben Gelegenheit entdeckte und
unterwarf man nach Taeitus die Orkaden und sah in der Ferne Thule, welches
schon Pytheas besucht und als den nördlichsten Punkt seiner Meerfahrt be¬
schrieben hatte. Auch von Jütland und Norwegen hatte man nach Plinius


hinaus zurückgewiesen, zwischen den Säulen des Herakles hindurch in das
Unbegrenzte und Unerforschliche des Atlantischen Oceans hinaus flüchtete. Und
wie der Westen, so bellte sich auch der Osten und Süden jetzt in rascher Folge
mehr und mehr auf. Auswanderer siedelten sich an der Propontis und am
Pontos Euxeinos an. Reisende wie Herodot besuchten das Innere von West¬
asien und sahen und beschrieben das Pharaonenreich im Nilthal. Die Perser
kriege, der Zug der zehntausend Xenophons, die Siege Alexanders rückten die
Grenzmarken der Erdkunde für den gebildeten Griechen bis an den Indus
und den persischen Golf. Der Karthager Hanno endlich wagte sich mit einer
Flotte in das westliche Weltmeer hinaus und brachte Nachrichten von den
Küstenvölkern Afrikas bis tief in den Süden mit beim.

Der Nordosten, das Land der Skythen und Sarmnten blieb mit halb
durchsichtigen Nebeln verschleiert, in die nur südliche Pelz-- und Bernsteinhändler
vordrangen, welche über ihre Expeditionen aus guten Gründen wenig verlauten
ließen. Der Nordwesten hüllte sich in nächtliches Dunkel, bis das Weltreich, das
sich im Westen neben den Trümmern des großen Östreichs der makedonischer
Halbgriechen entwickelt, sich über die Alpen ausdehnte, die Barbaren Galliens
bezwang, über den Rhein und die Donau ging und selbst jenseits des Aermel-
kanals seine Adler, aufpflanzte. Allerdings hatte der Waffensturm der Brennns-
krieger, der Zug Hannibals und der Einbruch der Cimbern und Teutonen
vorher schon zur Genüge gezeigt, daß hinter den Bergen auch Leute wohnten,
bereits lange vor Cäsar, der durch Eroberung Galliens in der Geschichte der
Erdkunde fast in demselben Maße eine neue Epoche begann wie später die
Spanier durch die Entdeckung Amerikas, wahrscheinlich schon im fünften Jahr-
hundert, waren semitische Schiffer bis hoch in den Norden vorgedrungen, um
Zinn und Bernstein zu holen, und Pytheas vou Massilia, der um 350 v. Chr.
ebenso weit kam, ist sicherlich uicht der einzige südliche Reisende in diesen Breiten ge¬
wesen. Allein die Berichte dieser Weitherumgekommnen klangen so fabelhaft,
und die Verlockung zu lebhafterem Verkehr mit dem fernen Nordlande war
bei dessen Armuth sür den Bewohner des Mittelmeergelüudes so gering, daß
sehr vieles von dem, was gegen Mitternacht nud Morgen von der Nordsee
liegt, selbst in Strabvs Tagen nur in unbestimmten, von den Einen so, von
den Andern anders gedeuteten Umrissen bekannt war.

Erst unter dem Kaiser Claudius wurde festgestellt, daß Britannien eine
Insel sei, und daß Irland an der westlichen Seite derselben, nicht, wie man
bis dahin gewähnt, im Norden liege. Bei derselben Gelegenheit entdeckte und
unterwarf man nach Taeitus die Orkaden und sah in der Ferne Thule, welches
schon Pytheas besucht und als den nördlichsten Punkt seiner Meerfahrt be¬
schrieben hatte. Auch von Jütland und Norwegen hatte man nach Plinius


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[0231] hinaus zurückgewiesen, zwischen den Säulen des Herakles hindurch in das Unbegrenzte und Unerforschliche des Atlantischen Oceans hinaus flüchtete. Und wie der Westen, so bellte sich auch der Osten und Süden jetzt in rascher Folge mehr und mehr auf. Auswanderer siedelten sich an der Propontis und am Pontos Euxeinos an. Reisende wie Herodot besuchten das Innere von West¬ asien und sahen und beschrieben das Pharaonenreich im Nilthal. Die Perser kriege, der Zug der zehntausend Xenophons, die Siege Alexanders rückten die Grenzmarken der Erdkunde für den gebildeten Griechen bis an den Indus und den persischen Golf. Der Karthager Hanno endlich wagte sich mit einer Flotte in das westliche Weltmeer hinaus und brachte Nachrichten von den Küstenvölkern Afrikas bis tief in den Süden mit beim. Der Nordosten, das Land der Skythen und Sarmnten blieb mit halb durchsichtigen Nebeln verschleiert, in die nur südliche Pelz-- und Bernsteinhändler vordrangen, welche über ihre Expeditionen aus guten Gründen wenig verlauten ließen. Der Nordwesten hüllte sich in nächtliches Dunkel, bis das Weltreich, das sich im Westen neben den Trümmern des großen Östreichs der makedonischer Halbgriechen entwickelt, sich über die Alpen ausdehnte, die Barbaren Galliens bezwang, über den Rhein und die Donau ging und selbst jenseits des Aermel- kanals seine Adler, aufpflanzte. Allerdings hatte der Waffensturm der Brennns- krieger, der Zug Hannibals und der Einbruch der Cimbern und Teutonen vorher schon zur Genüge gezeigt, daß hinter den Bergen auch Leute wohnten, bereits lange vor Cäsar, der durch Eroberung Galliens in der Geschichte der Erdkunde fast in demselben Maße eine neue Epoche begann wie später die Spanier durch die Entdeckung Amerikas, wahrscheinlich schon im fünften Jahr- hundert, waren semitische Schiffer bis hoch in den Norden vorgedrungen, um Zinn und Bernstein zu holen, und Pytheas vou Massilia, der um 350 v. Chr. ebenso weit kam, ist sicherlich uicht der einzige südliche Reisende in diesen Breiten ge¬ wesen. Allein die Berichte dieser Weitherumgekommnen klangen so fabelhaft, und die Verlockung zu lebhafterem Verkehr mit dem fernen Nordlande war bei dessen Armuth sür den Bewohner des Mittelmeergelüudes so gering, daß sehr vieles von dem, was gegen Mitternacht nud Morgen von der Nordsee liegt, selbst in Strabvs Tagen nur in unbestimmten, von den Einen so, von den Andern anders gedeuteten Umrissen bekannt war. Erst unter dem Kaiser Claudius wurde festgestellt, daß Britannien eine Insel sei, und daß Irland an der westlichen Seite derselben, nicht, wie man bis dahin gewähnt, im Norden liege. Bei derselben Gelegenheit entdeckte und unterwarf man nach Taeitus die Orkaden und sah in der Ferne Thule, welches schon Pytheas besucht und als den nördlichsten Punkt seiner Meerfahrt be¬ schrieben hatte. Auch von Jütland und Norwegen hatte man nach Plinius

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/231>, abgerufen am 21.10.2024.