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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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ihren stärkeren Nachbarn, die zu faul zur Arbeii um das tägliche Brod sind,
werden sie ärger wie das flüchtige Wild im Walde gehetzt, eingefangen und
schließlich an die Händler von Udschidschi für Lebensmittel ausgetauscht. In
der Nacht blieben wir am Ufer des Lunluga, nahe dem Dorfe Kinyari, wo
die Wadschidschi, welche mit uns reisten, ihr Korn, Oel und Ziegen für
Sklaven, den einzigen Handelsartikel des Platzes, verkauften, dann kehrten sie
heim. Der Preis für einen Sklaven betrug vier bis sechs Doll (ein Doll --
vier Dards dünnen Baumwollenzenges) oder zwei Ziegen. Eine Ziege wird
in Udschidschi für ein Schukah (gleich zwei Yards) gekauft, ein Sklave dort
aber für zwanzig Doll (achtzig Aards) verkauft -- allerdings ein einträglicher
Handel für die Wadschidschi. Wir fanden in geringen Mengen Tabak ange¬
pflanzt, der einzige Versuch den fruchtbaren Boden zu bebauen. Bisweilen,
wenn sie sehr hungrig waren, gingen die Männer fischen; allein der ganze
Handel und Wandel des Ortes besteht einzig und allein im Verkauf von
Sklaven." (I, 258.)

Wer der afrikanischen Reiseliteratnr nur mit einigem Interesse für unseren
Gegenstand gefolgt ist, wird sich über die Behauptung Cameron's, daß die
Sklavenjagden eine völlige Entvölkerung und Verwilderung Afrikas befürchten
lassen, nicht wundern. Seit drei Jahrhunderten hat sich den Angaben eines
genauen französischen Schriftstellers zufolge die Bevölkerung jenes Erdtheils
um mehr als fünfzig Millionen Menschen verringert. Der Superior der
centralafrikanischen Missionen Englands rechnet zwischen dem Rothen Meere
und dem Atlantischen Ocean eine jährliche Verminderung der Einwohner von
einer Million durch Sklavenhandel. Ein gewiß zuverlässiger und maßgebender
Beobachter, David Livingstone, behauptet, daß von fünf in Afrika erjagten und
erhandelten Sklaven nur eiuer, ja auf einzelnen Sklavenhandelsrouten nur
einer von nenn Sklaven an seinen Bestimmungsort gelange! Wer dergleichen
nicht selbst gesehen und erlebt, der mag wohl daran zweifeln, allein es scheint
nur zu wahr zu sein. Sagt doch Livingstone charakteristisch genug: "Bei der
Besprechung des Sklavenhandels und der mit ihm verbundenen Grausamkeiten
muß ich mich weit innerhalb der Grenzen der Wahrheit halten, will ich
nicht der Uebertreibung bezichtigt werden. Zu übertreiben ist eine einfache
Unmöglichkeit." Von den Berichten Mr. Waller's über die Sklavenjagden im
Schirethal sagt Livingstone selbst, "daß sie auf ihn den Eindruck machten,
welchen feine Berichte auf andere Uneingeweihte machen mögen." Er hielt
sie für übertrieben. "Als jedoch," fährt er fort, "meine Augen auch uur die
letzten Tropfen dieses Meeres von Elend sahen, da fühlte ich, daß kein Wort
und kein Bild dieses Unglück deutlich genug schildern könne."

schmachvoll aber, daß selbst Europäer noch heutzutage ihre Hände mit


Grenzboten III. 1877. 28

ihren stärkeren Nachbarn, die zu faul zur Arbeii um das tägliche Brod sind,
werden sie ärger wie das flüchtige Wild im Walde gehetzt, eingefangen und
schließlich an die Händler von Udschidschi für Lebensmittel ausgetauscht. In
der Nacht blieben wir am Ufer des Lunluga, nahe dem Dorfe Kinyari, wo
die Wadschidschi, welche mit uns reisten, ihr Korn, Oel und Ziegen für
Sklaven, den einzigen Handelsartikel des Platzes, verkauften, dann kehrten sie
heim. Der Preis für einen Sklaven betrug vier bis sechs Doll (ein Doll —
vier Dards dünnen Baumwollenzenges) oder zwei Ziegen. Eine Ziege wird
in Udschidschi für ein Schukah (gleich zwei Yards) gekauft, ein Sklave dort
aber für zwanzig Doll (achtzig Aards) verkauft — allerdings ein einträglicher
Handel für die Wadschidschi. Wir fanden in geringen Mengen Tabak ange¬
pflanzt, der einzige Versuch den fruchtbaren Boden zu bebauen. Bisweilen,
wenn sie sehr hungrig waren, gingen die Männer fischen; allein der ganze
Handel und Wandel des Ortes besteht einzig und allein im Verkauf von
Sklaven." (I, 258.)

Wer der afrikanischen Reiseliteratnr nur mit einigem Interesse für unseren
Gegenstand gefolgt ist, wird sich über die Behauptung Cameron's, daß die
Sklavenjagden eine völlige Entvölkerung und Verwilderung Afrikas befürchten
lassen, nicht wundern. Seit drei Jahrhunderten hat sich den Angaben eines
genauen französischen Schriftstellers zufolge die Bevölkerung jenes Erdtheils
um mehr als fünfzig Millionen Menschen verringert. Der Superior der
centralafrikanischen Missionen Englands rechnet zwischen dem Rothen Meere
und dem Atlantischen Ocean eine jährliche Verminderung der Einwohner von
einer Million durch Sklavenhandel. Ein gewiß zuverlässiger und maßgebender
Beobachter, David Livingstone, behauptet, daß von fünf in Afrika erjagten und
erhandelten Sklaven nur eiuer, ja auf einzelnen Sklavenhandelsrouten nur
einer von nenn Sklaven an seinen Bestimmungsort gelange! Wer dergleichen
nicht selbst gesehen und erlebt, der mag wohl daran zweifeln, allein es scheint
nur zu wahr zu sein. Sagt doch Livingstone charakteristisch genug: „Bei der
Besprechung des Sklavenhandels und der mit ihm verbundenen Grausamkeiten
muß ich mich weit innerhalb der Grenzen der Wahrheit halten, will ich
nicht der Uebertreibung bezichtigt werden. Zu übertreiben ist eine einfache
Unmöglichkeit." Von den Berichten Mr. Waller's über die Sklavenjagden im
Schirethal sagt Livingstone selbst, „daß sie auf ihn den Eindruck machten,
welchen feine Berichte auf andere Uneingeweihte machen mögen." Er hielt
sie für übertrieben. „Als jedoch," fährt er fort, „meine Augen auch uur die
letzten Tropfen dieses Meeres von Elend sahen, da fühlte ich, daß kein Wort
und kein Bild dieses Unglück deutlich genug schildern könne."

schmachvoll aber, daß selbst Europäer noch heutzutage ihre Hände mit


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[0225] ihren stärkeren Nachbarn, die zu faul zur Arbeii um das tägliche Brod sind, werden sie ärger wie das flüchtige Wild im Walde gehetzt, eingefangen und schließlich an die Händler von Udschidschi für Lebensmittel ausgetauscht. In der Nacht blieben wir am Ufer des Lunluga, nahe dem Dorfe Kinyari, wo die Wadschidschi, welche mit uns reisten, ihr Korn, Oel und Ziegen für Sklaven, den einzigen Handelsartikel des Platzes, verkauften, dann kehrten sie heim. Der Preis für einen Sklaven betrug vier bis sechs Doll (ein Doll — vier Dards dünnen Baumwollenzenges) oder zwei Ziegen. Eine Ziege wird in Udschidschi für ein Schukah (gleich zwei Yards) gekauft, ein Sklave dort aber für zwanzig Doll (achtzig Aards) verkauft — allerdings ein einträglicher Handel für die Wadschidschi. Wir fanden in geringen Mengen Tabak ange¬ pflanzt, der einzige Versuch den fruchtbaren Boden zu bebauen. Bisweilen, wenn sie sehr hungrig waren, gingen die Männer fischen; allein der ganze Handel und Wandel des Ortes besteht einzig und allein im Verkauf von Sklaven." (I, 258.) Wer der afrikanischen Reiseliteratnr nur mit einigem Interesse für unseren Gegenstand gefolgt ist, wird sich über die Behauptung Cameron's, daß die Sklavenjagden eine völlige Entvölkerung und Verwilderung Afrikas befürchten lassen, nicht wundern. Seit drei Jahrhunderten hat sich den Angaben eines genauen französischen Schriftstellers zufolge die Bevölkerung jenes Erdtheils um mehr als fünfzig Millionen Menschen verringert. Der Superior der centralafrikanischen Missionen Englands rechnet zwischen dem Rothen Meere und dem Atlantischen Ocean eine jährliche Verminderung der Einwohner von einer Million durch Sklavenhandel. Ein gewiß zuverlässiger und maßgebender Beobachter, David Livingstone, behauptet, daß von fünf in Afrika erjagten und erhandelten Sklaven nur eiuer, ja auf einzelnen Sklavenhandelsrouten nur einer von nenn Sklaven an seinen Bestimmungsort gelange! Wer dergleichen nicht selbst gesehen und erlebt, der mag wohl daran zweifeln, allein es scheint nur zu wahr zu sein. Sagt doch Livingstone charakteristisch genug: „Bei der Besprechung des Sklavenhandels und der mit ihm verbundenen Grausamkeiten muß ich mich weit innerhalb der Grenzen der Wahrheit halten, will ich nicht der Uebertreibung bezichtigt werden. Zu übertreiben ist eine einfache Unmöglichkeit." Von den Berichten Mr. Waller's über die Sklavenjagden im Schirethal sagt Livingstone selbst, „daß sie auf ihn den Eindruck machten, welchen feine Berichte auf andere Uneingeweihte machen mögen." Er hielt sie für übertrieben. „Als jedoch," fährt er fort, „meine Augen auch uur die letzten Tropfen dieses Meeres von Elend sahen, da fühlte ich, daß kein Wort und kein Bild dieses Unglück deutlich genug schildern könne." schmachvoll aber, daß selbst Europäer noch heutzutage ihre Hände mit Grenzboten III. 1877. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/225>, abgerufen am 28.09.2024.