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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Burgwarts, befindet sich auf der entgegengesetzten Seite noch eine häusliche
Stätte, wo dem müden Wanderer für Geld und gute Worte ein Glas Bier
geschenkt wird. Dicht daneben führt eine zweite Brücke über den Schloßgraben,
die jedoch jetzt allem Anscheine nach nur dein lieben Vieh als Ausfallspforte
dient und ihm den Uebergang zu deu saftigen Wiesen bereiten soll. So sieht
jetzt der Schauplatz aus, auf welchem sich die nachstehend geschilderten Zu¬
stände und Ereignisse aus eiuer kleinen Svldatenwelt abspielten. Nur noch
einen kurzen historischen Rückblick auf die Entstehung dieses kleinen mittel¬
alterlichen Duodezstaates, dem es vergönnt war, bis in die neueste Zeit sein
Leben zu fristen.

Die Herrlichkeit Kniphausen oder, wie sie in alten Urkunden genannt wird,
Kniephausen, bestand, nach Büschings 1771 herausgekommener Neuer Erd¬
beschreibung, aus dem bereits erwähnten Schlosse sowie aus den drei Kirch¬
spielen Sengwarden, Fedderwardeu und Arena mit in Summa 29 meistens
kleinen Ortschaften und 2,539 Einwohnern. Sie war früher im Besitz einer
freiherrlichen Familie gleiches Namens, jedoch im Jahre 1632 um den
Grafen Anton Günther von Oldenburg, Herren zu Jever abgetreten worden.
Dieser letzte Graf von Oldenburg und Delmenhorst (geb. 1583, geht. 1667)
lernte in Aurich am Hofe des Grafen Enno III- von Ostfriesland das aus
österreichischem altadeligem Geschlecht stammende Fräulein Elisabeth von Ungnad
kennen, verliebte sich in sie und ging mit ihr eine sogenannte Gewissensehe ein,
deren Giltigkeit dnrch eine von dem Verlobten ausgestellte und mit seinein
Blute unterzeichnete Urkunde anerkannt worden sein soll. Eine kirchlich vollzogene
Trauung des Paares hat thatsächlich nie stattgefunden. Aus dieser Ver¬
bindung entsproß ein Sohn, geboren den 1. Februar 1633, der später, als die
von seinem Vater im Jahre 1635 eingegangene standesgemäße Ehe kinderlos
blieb, legitimirt wurde. Die ganze Liebe des Vaters wandte sich diesem Sohne
zu. Er vermachte ihm nicht allein die Herrlichkeit Kniphausen sowie die
Herrschaft Varel, sondern setzte es auch durch, daß sein Sohn im Jahre 1653
auf dem Reichstage zu Regensburg unter dem Namen Anton von Aldenburg
in den Reichsgrafenstand unter Verleihung aller reichsgräflichen Rechte er¬
hoben wurde. Die Herrlichkeit Kniphausen war eine freie Reichshcrrschaft
und herzoglich burgundisches, am Lehnshvfe zu Brüssel zu empfangendes
Lehen. Sie hatte zwar nicht die Reichsstandschaft, aber deutsche Landeshoheit
und Reichsfreiheit.*) Der Graf von Aldenburg und seine Regierungsnachfolger



*) Die Herrlichkeit Kniphausen gehörte zu denjenigen Gebieten geistlicher und welt¬
licher Landesherren, die ebenso wie die rcichsritterschaftlichen Besitzungen, die Gaucrbschaften
und die freien Reichsdörfer keinem der Reichskreise zugetheilt waren. Die Grafen Alden¬
burg und später die Grafen Beutinck hatten in Folge dessen nicht Sitz und Stimme, weder

Burgwarts, befindet sich auf der entgegengesetzten Seite noch eine häusliche
Stätte, wo dem müden Wanderer für Geld und gute Worte ein Glas Bier
geschenkt wird. Dicht daneben führt eine zweite Brücke über den Schloßgraben,
die jedoch jetzt allem Anscheine nach nur dein lieben Vieh als Ausfallspforte
dient und ihm den Uebergang zu deu saftigen Wiesen bereiten soll. So sieht
jetzt der Schauplatz aus, auf welchem sich die nachstehend geschilderten Zu¬
stände und Ereignisse aus eiuer kleinen Svldatenwelt abspielten. Nur noch
einen kurzen historischen Rückblick auf die Entstehung dieses kleinen mittel¬
alterlichen Duodezstaates, dem es vergönnt war, bis in die neueste Zeit sein
Leben zu fristen.

Die Herrlichkeit Kniphausen oder, wie sie in alten Urkunden genannt wird,
Kniephausen, bestand, nach Büschings 1771 herausgekommener Neuer Erd¬
beschreibung, aus dem bereits erwähnten Schlosse sowie aus den drei Kirch¬
spielen Sengwarden, Fedderwardeu und Arena mit in Summa 29 meistens
kleinen Ortschaften und 2,539 Einwohnern. Sie war früher im Besitz einer
freiherrlichen Familie gleiches Namens, jedoch im Jahre 1632 um den
Grafen Anton Günther von Oldenburg, Herren zu Jever abgetreten worden.
Dieser letzte Graf von Oldenburg und Delmenhorst (geb. 1583, geht. 1667)
lernte in Aurich am Hofe des Grafen Enno III- von Ostfriesland das aus
österreichischem altadeligem Geschlecht stammende Fräulein Elisabeth von Ungnad
kennen, verliebte sich in sie und ging mit ihr eine sogenannte Gewissensehe ein,
deren Giltigkeit dnrch eine von dem Verlobten ausgestellte und mit seinein
Blute unterzeichnete Urkunde anerkannt worden sein soll. Eine kirchlich vollzogene
Trauung des Paares hat thatsächlich nie stattgefunden. Aus dieser Ver¬
bindung entsproß ein Sohn, geboren den 1. Februar 1633, der später, als die
von seinem Vater im Jahre 1635 eingegangene standesgemäße Ehe kinderlos
blieb, legitimirt wurde. Die ganze Liebe des Vaters wandte sich diesem Sohne
zu. Er vermachte ihm nicht allein die Herrlichkeit Kniphausen sowie die
Herrschaft Varel, sondern setzte es auch durch, daß sein Sohn im Jahre 1653
auf dem Reichstage zu Regensburg unter dem Namen Anton von Aldenburg
in den Reichsgrafenstand unter Verleihung aller reichsgräflichen Rechte er¬
hoben wurde. Die Herrlichkeit Kniphausen war eine freie Reichshcrrschaft
und herzoglich burgundisches, am Lehnshvfe zu Brüssel zu empfangendes
Lehen. Sie hatte zwar nicht die Reichsstandschaft, aber deutsche Landeshoheit
und Reichsfreiheit.*) Der Graf von Aldenburg und seine Regierungsnachfolger



*) Die Herrlichkeit Kniphausen gehörte zu denjenigen Gebieten geistlicher und welt¬
licher Landesherren, die ebenso wie die rcichsritterschaftlichen Besitzungen, die Gaucrbschaften
und die freien Reichsdörfer keinem der Reichskreise zugetheilt waren. Die Grafen Alden¬
burg und später die Grafen Beutinck hatten in Folge dessen nicht Sitz und Stimme, weder
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[0211] Burgwarts, befindet sich auf der entgegengesetzten Seite noch eine häusliche Stätte, wo dem müden Wanderer für Geld und gute Worte ein Glas Bier geschenkt wird. Dicht daneben führt eine zweite Brücke über den Schloßgraben, die jedoch jetzt allem Anscheine nach nur dein lieben Vieh als Ausfallspforte dient und ihm den Uebergang zu deu saftigen Wiesen bereiten soll. So sieht jetzt der Schauplatz aus, auf welchem sich die nachstehend geschilderten Zu¬ stände und Ereignisse aus eiuer kleinen Svldatenwelt abspielten. Nur noch einen kurzen historischen Rückblick auf die Entstehung dieses kleinen mittel¬ alterlichen Duodezstaates, dem es vergönnt war, bis in die neueste Zeit sein Leben zu fristen. Die Herrlichkeit Kniphausen oder, wie sie in alten Urkunden genannt wird, Kniephausen, bestand, nach Büschings 1771 herausgekommener Neuer Erd¬ beschreibung, aus dem bereits erwähnten Schlosse sowie aus den drei Kirch¬ spielen Sengwarden, Fedderwardeu und Arena mit in Summa 29 meistens kleinen Ortschaften und 2,539 Einwohnern. Sie war früher im Besitz einer freiherrlichen Familie gleiches Namens, jedoch im Jahre 1632 um den Grafen Anton Günther von Oldenburg, Herren zu Jever abgetreten worden. Dieser letzte Graf von Oldenburg und Delmenhorst (geb. 1583, geht. 1667) lernte in Aurich am Hofe des Grafen Enno III- von Ostfriesland das aus österreichischem altadeligem Geschlecht stammende Fräulein Elisabeth von Ungnad kennen, verliebte sich in sie und ging mit ihr eine sogenannte Gewissensehe ein, deren Giltigkeit dnrch eine von dem Verlobten ausgestellte und mit seinein Blute unterzeichnete Urkunde anerkannt worden sein soll. Eine kirchlich vollzogene Trauung des Paares hat thatsächlich nie stattgefunden. Aus dieser Ver¬ bindung entsproß ein Sohn, geboren den 1. Februar 1633, der später, als die von seinem Vater im Jahre 1635 eingegangene standesgemäße Ehe kinderlos blieb, legitimirt wurde. Die ganze Liebe des Vaters wandte sich diesem Sohne zu. Er vermachte ihm nicht allein die Herrlichkeit Kniphausen sowie die Herrschaft Varel, sondern setzte es auch durch, daß sein Sohn im Jahre 1653 auf dem Reichstage zu Regensburg unter dem Namen Anton von Aldenburg in den Reichsgrafenstand unter Verleihung aller reichsgräflichen Rechte er¬ hoben wurde. Die Herrlichkeit Kniphausen war eine freie Reichshcrrschaft und herzoglich burgundisches, am Lehnshvfe zu Brüssel zu empfangendes Lehen. Sie hatte zwar nicht die Reichsstandschaft, aber deutsche Landeshoheit und Reichsfreiheit.*) Der Graf von Aldenburg und seine Regierungsnachfolger *) Die Herrlichkeit Kniphausen gehörte zu denjenigen Gebieten geistlicher und welt¬ licher Landesherren, die ebenso wie die rcichsritterschaftlichen Besitzungen, die Gaucrbschaften und die freien Reichsdörfer keinem der Reichskreise zugetheilt waren. Die Grafen Alden¬ burg und später die Grafen Beutinck hatten in Folge dessen nicht Sitz und Stimme, weder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/211>, abgerufen am 28.09.2024.