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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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denen zahlreicher Kurfürsten, Grafen und Herren. Er korrespondirte mit ver¬
schiedenen Lehrern der Hochschulen zu Leyden, Genf, Freiburg, Basel, Stra߬
burg, Heidelberg, Altorf, Wittenberg und andern bedeutenden Gelehrten und
Aerzten. Sie theilten einander besonders schwierige und interessante Fälle mit,
einer des andern Urtheil erbittend. Außerdem aber schrieb Fabricius einzelne
höchst werthvolle Abhandlungen, die eine ganz ungewöhnliche Verbreitung
fanden. Er veröffentlichte sechs Centurien Beobachtungen, die theils aus eigner,
theils aus Anderer Praxis gesammelt sind. Aus seinen Schriften leuchtet ein
reicher Schatz des Wissens, eine hohe Auffassung seines Berufes und ein
schlichter frommer Sinn hervor. Er war in der That ein vir "loetus et plus.

Während heute der Chirurg seine Kranken vor der Operation mit Chloro¬
form betäubt, verlangten die damaligen Wundärzte, daß alle Anwesenden
niederknieen, um in andächtigem Gebet Gottes Beistand zu erflehen. Fabricius
hat sogar in der letzten Ausgabe seines Buches vom Brande solche Gebete
drucken lassen. Bei gefahrvollen Operationen war meist ein Geistlicher zur
Stelle, welcher mit lauter Stimme Gebete herlas; besonders muthvolle Kranke
sprachen diese selbst und wußten sich wohl, wie die Märtyrer, in solchen Grad
der Abstraktion zu versetzen, daß sie die Schmerzen nicht empfanden. Be-
wundernswerthe Beispiele mannhaften Muthes werden uns mitgetheilt. Ich
erwähne als solches nur folgendes: der kaiserliche Rath Geitzeoffler wurde
1010 (von Fabricius) am Stein operirt; er bewegte während des Schnittes
kein Glied, noch viel weniger schrie er, sondern verrichtete vor wie nach der
Operation ruhig sein Gebet.

Ganz besonders interessirte sich Fabricius für Anatomie; er hat zahl¬
reiche Leichenöffnungen vorgenommen und von vielen derselben das Ergebniß
mitgetheilt. Er wird nicht müde, die jungen Wundärzte anzuweisen, läßt sie
einzelne Theile des Körpers präpariren und zeigt ihnen Operationen an der
Leiche. Im Jahre 1609 hat er ein künstliches Auge als Modell angefertigt,
an welchem er die einzelnen Theile demonstrirt. Einem Bruchschneider, der
die Lxstil'Mio bulbi machen will, unterrichtet er am Schädel über diese Ope¬
ration und zeigt das von ihm hierzu erfundene Messer.

Schon 1590 war er in Hilden vermählt mit Maria Colinetea, welche sich
(wohl unter Leitung ihres Gatten) zu einer geschickten Wundärztin und Ge¬
burtshelferin ausbildete. Sie war in der Behandlung von Frakturen und
Luxatiouen ebenso gewandt und beherzt wie in der Ausübung schwerer Ent¬
bindungen. Drei Mal erlebte Fabricius eine Pestepidemie mit all ihren Schrecken
und Plagen; zwei seiner Kinder erlagen der Seuche. Sein Sohn Johannes
erhielt 1620 einen Platz im Spital zu Lyon, um die Chirurgie zu erlernen.
Fünf Jahre später ging derselbe zur weiteren Ausbildung nach Padua, starb


denen zahlreicher Kurfürsten, Grafen und Herren. Er korrespondirte mit ver¬
schiedenen Lehrern der Hochschulen zu Leyden, Genf, Freiburg, Basel, Stra߬
burg, Heidelberg, Altorf, Wittenberg und andern bedeutenden Gelehrten und
Aerzten. Sie theilten einander besonders schwierige und interessante Fälle mit,
einer des andern Urtheil erbittend. Außerdem aber schrieb Fabricius einzelne
höchst werthvolle Abhandlungen, die eine ganz ungewöhnliche Verbreitung
fanden. Er veröffentlichte sechs Centurien Beobachtungen, die theils aus eigner,
theils aus Anderer Praxis gesammelt sind. Aus seinen Schriften leuchtet ein
reicher Schatz des Wissens, eine hohe Auffassung seines Berufes und ein
schlichter frommer Sinn hervor. Er war in der That ein vir «loetus et plus.

Während heute der Chirurg seine Kranken vor der Operation mit Chloro¬
form betäubt, verlangten die damaligen Wundärzte, daß alle Anwesenden
niederknieen, um in andächtigem Gebet Gottes Beistand zu erflehen. Fabricius
hat sogar in der letzten Ausgabe seines Buches vom Brande solche Gebete
drucken lassen. Bei gefahrvollen Operationen war meist ein Geistlicher zur
Stelle, welcher mit lauter Stimme Gebete herlas; besonders muthvolle Kranke
sprachen diese selbst und wußten sich wohl, wie die Märtyrer, in solchen Grad
der Abstraktion zu versetzen, daß sie die Schmerzen nicht empfanden. Be-
wundernswerthe Beispiele mannhaften Muthes werden uns mitgetheilt. Ich
erwähne als solches nur folgendes: der kaiserliche Rath Geitzeoffler wurde
1010 (von Fabricius) am Stein operirt; er bewegte während des Schnittes
kein Glied, noch viel weniger schrie er, sondern verrichtete vor wie nach der
Operation ruhig sein Gebet.

Ganz besonders interessirte sich Fabricius für Anatomie; er hat zahl¬
reiche Leichenöffnungen vorgenommen und von vielen derselben das Ergebniß
mitgetheilt. Er wird nicht müde, die jungen Wundärzte anzuweisen, läßt sie
einzelne Theile des Körpers präpariren und zeigt ihnen Operationen an der
Leiche. Im Jahre 1609 hat er ein künstliches Auge als Modell angefertigt,
an welchem er die einzelnen Theile demonstrirt. Einem Bruchschneider, der
die Lxstil'Mio bulbi machen will, unterrichtet er am Schädel über diese Ope¬
ration und zeigt das von ihm hierzu erfundene Messer.

Schon 1590 war er in Hilden vermählt mit Maria Colinetea, welche sich
(wohl unter Leitung ihres Gatten) zu einer geschickten Wundärztin und Ge¬
burtshelferin ausbildete. Sie war in der Behandlung von Frakturen und
Luxatiouen ebenso gewandt und beherzt wie in der Ausübung schwerer Ent¬
bindungen. Drei Mal erlebte Fabricius eine Pestepidemie mit all ihren Schrecken
und Plagen; zwei seiner Kinder erlagen der Seuche. Sein Sohn Johannes
erhielt 1620 einen Platz im Spital zu Lyon, um die Chirurgie zu erlernen.
Fünf Jahre später ging derselbe zur weiteren Ausbildung nach Padua, starb


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/178>, abgerufen am 21.10.2024.