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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Die zweite wichtige Hilfswissenschaft war die Natsria en irurgieti., denn
da der deutsche Wundarzt diejenigen Arzneimittel, deren Gebrauch ihn: von
rechtswegen zustand, sich selbst hielt und zubereitete, so mußte er von diesen
Dingen eine genaue Kenntniß haben. Das war aber in Wirklichkeit nichts
Leichtes. Wohl durften innere Kuren nnr mit Beirath und Gutheißen des
Medicus geschehen, aber anch die Natern ekirurgieg. für sich allein war
"weitläufig und überschwenglich groß". Gewöhnlich geben die Autoren ihre
Formeln über Bereitung und Znsammensetzung der Mittel im laufenden Text.
Einzelne jedoch handeln die Klitoris, edirurFies. gesondert ab. So hat Würtz
seiner Practica ein "Kochbuch" angehängt, damit "jedermänniglich bekannt werde,
wie man allerlei Balsame, Salben, Oele, Pflaster, Blutstellung, Tränke !e.
künstlich bereiten und gebrauchen solle."

Die theoretische Seite der chirurgischen Ausbildung war eine wesentlich
andere als hente; denn der Schwerpunkt derselben lag nicht in dem lebendigen
Worte des Lehrers, sondern im Lesen gedruckter Bücher. Allerdings konnte
der Barbiergeselle gelegentlich ein Collegium über Chirurgie hören, aber der
Lector selbst war kein ausübender Wundarzt, und. der Besuch einer Universität,
gewissermaßen als stucliosus eKirurZiAe, gehörte ohnehin zu den Ausnahmen.
Die eigentliche Bildungsstätte des künftigen Wundarztes war und blieb die
Barbierstube; die fast ausschließliche Bezugsquelle theoretischen Wissens der
todte Buchstabe. Der chirurgischen Werke aber gab es viele: daher bedurften
die tirouss der schriftlichen oder mündlichen Anleitung, damit es ihnen bei
der Auswahl der Werke nicht ergehe wie einem Wanderer, "der sich in einem
unbekannten, dicken und weiten Walde verirret, daraus er ohne Wegweiser
uicht zu kommen vermag". Das erste Buch, welches der Lehrjunge in die Hand
bekam, war eine Institut!" euirurgias, welche den Zweck hatte, einen Abriß
von dem zu geben, was die Wnndarznei umfaßt. Ein sehr gebräuchliches
Buch dieser Art war die "Anweisung zur Wundarzuei" von Jessen 1674.
Danach erst folgten größere oder special-Werke. Als Handbücher der gesammten
Wuudarzuei standen die Werke des Fabricius ab A und Pare im höchsten
Ansehen. Unter den deutschen Autoren ist im 16. Jahrhundert Würtz der
gelesenste. Sehr verbreitet ist im 17. Jahrhundert die Ollieina, aursa von
Andreas de Cruee. Daneben sind eine große Anzahl special-Werke über
Augenkrankheiten, Brand, Steinschnitt, Wundbehandlung, Geschwulst u. A. vou
Bartisch von Königsbrück, Fabricius von Hilden, Geknarr, Fienns n. A. im
Brauch. Im 17. Jahrhundert entwickelt sich ein Literatur-Zweig, welcher
als Vorläufer unserer Fach-Zeitschriften anzusehen ist, gerade in Deutschland
zu schönster Blüthe. Das sind die Odservatiom;" oder Beobachtungen, Samm¬
lungen von Krankengeschichten, welche von Fabricius, scultetus, Muralt und


Die zweite wichtige Hilfswissenschaft war die Natsria en irurgieti., denn
da der deutsche Wundarzt diejenigen Arzneimittel, deren Gebrauch ihn: von
rechtswegen zustand, sich selbst hielt und zubereitete, so mußte er von diesen
Dingen eine genaue Kenntniß haben. Das war aber in Wirklichkeit nichts
Leichtes. Wohl durften innere Kuren nnr mit Beirath und Gutheißen des
Medicus geschehen, aber anch die Natern ekirurgieg. für sich allein war
„weitläufig und überschwenglich groß". Gewöhnlich geben die Autoren ihre
Formeln über Bereitung und Znsammensetzung der Mittel im laufenden Text.
Einzelne jedoch handeln die Klitoris, edirurFies. gesondert ab. So hat Würtz
seiner Practica ein „Kochbuch" angehängt, damit „jedermänniglich bekannt werde,
wie man allerlei Balsame, Salben, Oele, Pflaster, Blutstellung, Tränke !e.
künstlich bereiten und gebrauchen solle."

Die theoretische Seite der chirurgischen Ausbildung war eine wesentlich
andere als hente; denn der Schwerpunkt derselben lag nicht in dem lebendigen
Worte des Lehrers, sondern im Lesen gedruckter Bücher. Allerdings konnte
der Barbiergeselle gelegentlich ein Collegium über Chirurgie hören, aber der
Lector selbst war kein ausübender Wundarzt, und. der Besuch einer Universität,
gewissermaßen als stucliosus eKirurZiAe, gehörte ohnehin zu den Ausnahmen.
Die eigentliche Bildungsstätte des künftigen Wundarztes war und blieb die
Barbierstube; die fast ausschließliche Bezugsquelle theoretischen Wissens der
todte Buchstabe. Der chirurgischen Werke aber gab es viele: daher bedurften
die tirouss der schriftlichen oder mündlichen Anleitung, damit es ihnen bei
der Auswahl der Werke nicht ergehe wie einem Wanderer, „der sich in einem
unbekannten, dicken und weiten Walde verirret, daraus er ohne Wegweiser
uicht zu kommen vermag". Das erste Buch, welches der Lehrjunge in die Hand
bekam, war eine Institut!« euirurgias, welche den Zweck hatte, einen Abriß
von dem zu geben, was die Wnndarznei umfaßt. Ein sehr gebräuchliches
Buch dieser Art war die „Anweisung zur Wundarzuei" von Jessen 1674.
Danach erst folgten größere oder special-Werke. Als Handbücher der gesammten
Wuudarzuei standen die Werke des Fabricius ab A und Pare im höchsten
Ansehen. Unter den deutschen Autoren ist im 16. Jahrhundert Würtz der
gelesenste. Sehr verbreitet ist im 17. Jahrhundert die Ollieina, aursa von
Andreas de Cruee. Daneben sind eine große Anzahl special-Werke über
Augenkrankheiten, Brand, Steinschnitt, Wundbehandlung, Geschwulst u. A. vou
Bartisch von Königsbrück, Fabricius von Hilden, Geknarr, Fienns n. A. im
Brauch. Im 17. Jahrhundert entwickelt sich ein Literatur-Zweig, welcher
als Vorläufer unserer Fach-Zeitschriften anzusehen ist, gerade in Deutschland
zu schönster Blüthe. Das sind die Odservatiom;« oder Beobachtungen, Samm¬
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[0172] Die zweite wichtige Hilfswissenschaft war die Natsria en irurgieti., denn da der deutsche Wundarzt diejenigen Arzneimittel, deren Gebrauch ihn: von rechtswegen zustand, sich selbst hielt und zubereitete, so mußte er von diesen Dingen eine genaue Kenntniß haben. Das war aber in Wirklichkeit nichts Leichtes. Wohl durften innere Kuren nnr mit Beirath und Gutheißen des Medicus geschehen, aber anch die Natern ekirurgieg. für sich allein war „weitläufig und überschwenglich groß". Gewöhnlich geben die Autoren ihre Formeln über Bereitung und Znsammensetzung der Mittel im laufenden Text. Einzelne jedoch handeln die Klitoris, edirurFies. gesondert ab. So hat Würtz seiner Practica ein „Kochbuch" angehängt, damit „jedermänniglich bekannt werde, wie man allerlei Balsame, Salben, Oele, Pflaster, Blutstellung, Tränke !e. künstlich bereiten und gebrauchen solle." Die theoretische Seite der chirurgischen Ausbildung war eine wesentlich andere als hente; denn der Schwerpunkt derselben lag nicht in dem lebendigen Worte des Lehrers, sondern im Lesen gedruckter Bücher. Allerdings konnte der Barbiergeselle gelegentlich ein Collegium über Chirurgie hören, aber der Lector selbst war kein ausübender Wundarzt, und. der Besuch einer Universität, gewissermaßen als stucliosus eKirurZiAe, gehörte ohnehin zu den Ausnahmen. Die eigentliche Bildungsstätte des künftigen Wundarztes war und blieb die Barbierstube; die fast ausschließliche Bezugsquelle theoretischen Wissens der todte Buchstabe. Der chirurgischen Werke aber gab es viele: daher bedurften die tirouss der schriftlichen oder mündlichen Anleitung, damit es ihnen bei der Auswahl der Werke nicht ergehe wie einem Wanderer, „der sich in einem unbekannten, dicken und weiten Walde verirret, daraus er ohne Wegweiser uicht zu kommen vermag". Das erste Buch, welches der Lehrjunge in die Hand bekam, war eine Institut!« euirurgias, welche den Zweck hatte, einen Abriß von dem zu geben, was die Wnndarznei umfaßt. Ein sehr gebräuchliches Buch dieser Art war die „Anweisung zur Wundarzuei" von Jessen 1674. Danach erst folgten größere oder special-Werke. Als Handbücher der gesammten Wuudarzuei standen die Werke des Fabricius ab A und Pare im höchsten Ansehen. Unter den deutschen Autoren ist im 16. Jahrhundert Würtz der gelesenste. Sehr verbreitet ist im 17. Jahrhundert die Ollieina, aursa von Andreas de Cruee. Daneben sind eine große Anzahl special-Werke über Augenkrankheiten, Brand, Steinschnitt, Wundbehandlung, Geschwulst u. A. vou Bartisch von Königsbrück, Fabricius von Hilden, Geknarr, Fienns n. A. im Brauch. Im 17. Jahrhundert entwickelt sich ein Literatur-Zweig, welcher als Vorläufer unserer Fach-Zeitschriften anzusehen ist, gerade in Deutschland zu schönster Blüthe. Das sind die Odservatiom;« oder Beobachtungen, Samm¬ lungen von Krankengeschichten, welche von Fabricius, scultetus, Muralt und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/172>, abgerufen am 28.09.2024.