Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die der Vesal und Bauhinus, der anatomische Abriß von Schaeve und die
chirurgische Anatomie Gelmanns. Leichenöffnungen waren im 16. Jahrhundert
nicht eben häufige Ereignisse "also daß man gar selten einen unter vielen finden
thut, welchem des Menschen innerliche Gestalt bekannt wäre, oder welcher nur
einen einzigen Menschen hätte sehen anatomiren und zerlegen"' Das besserte
sich etwas, namentlich als in den ersten Decennien des 17. Jahrhunderts
Caspar Bauhinus in dem tluzatrum an^tonicum zu Basel seine Demonstrationen
hielt. Auch auf anderen Universitäten haben "berühmte und tapfere Anatomici
ihre absonderliche Bestallung, damit die studirende Jugend in solcher sehr
nützlichen, nothwendig- und gründlichen Kunst nach selbst eigener Begierde kann
sattsam unterrichtet und anch ferner darin nach Belieben geübet werden."
Dr. Merklein bezeugt 1676, daß auf allen Universitäten "je zuweilen" publice
Anatomien abgehalten werden. Dasselbe geschah auch sonst in großen Städten
von gelehrten Medicis: "so sind in Nürnberg vornehmlich den Barbierern zu
Nutz und Lieb zu unterschiedlichen Zeiten solche ^.nawmisu nicht ohne derer
Zuschauer großes Lonteuto und sonderliches Belieben mit unermeßlichen Ruhm
gehalten worden". Neben diesen öffentlichen Sectionen stehen als Privat-
Anatomien die Oeffnungen im Spital Verstorbener, welche mehr den pathologisch-
anatomischen Zweck hatten, hinter die verborgene oder doch ungewisse Ursache
der Krankheit und des Todes zu kommen. Außerdem pflegte der junge
Wundarzt ein sxereitium eKirurMum an Thieren oder an einzelnen Theilen
des Körpers in seiner Wohnung vorzunehmen. Zur Anleitung im Anatomiren
dienten special-Werle, welche wie Michael Lyseri Lultsr M^valens eine
Beschreibung des Verfahrens und der dazu erforderlichen Instrumente ent¬
hielten.

Aus diesem Allen geht hervor, daß die Gelegenheit zur praktischen Erlernung
der Anatomie nur an Universitäten und in einzelnen größeren Städten gegeben
war, und auch hier in sehr beschränkter Weise. Fabricius ermahnt daher
die Obrigkeiten immer und immer wieder, dafür Sorge zu tragen, daß die
Wundärzte anatomischen Unterricht erhalten. An Anatomen fehlt es in Deutschland
nicht, denn wir haben Plater, Bauhinus, Bartholinus u. A. Wer aber fragen
wollte: Wo nehmen wir Leichen her? dem antwortet er drastisch genng: Sterben
nicht in den Lazarethen und Spitälern die Leute haufenweis dahin? werden
nicht Uebelthäter in Masse gehenkt? -- Alle Ermahnungen aber scheiterten
an der öffentlichen Meinung, welche die Leichenöffnungen für einem Christen
nicht erlaubt hielten. So blieb denn nichts Anderes übrig, als daß die, welche
die Anatomie gründlich studiren wollen, in das Ausland gingen, was natürlich
nur den besser situirter möglich war.


die der Vesal und Bauhinus, der anatomische Abriß von Schaeve und die
chirurgische Anatomie Gelmanns. Leichenöffnungen waren im 16. Jahrhundert
nicht eben häufige Ereignisse „also daß man gar selten einen unter vielen finden
thut, welchem des Menschen innerliche Gestalt bekannt wäre, oder welcher nur
einen einzigen Menschen hätte sehen anatomiren und zerlegen"' Das besserte
sich etwas, namentlich als in den ersten Decennien des 17. Jahrhunderts
Caspar Bauhinus in dem tluzatrum an^tonicum zu Basel seine Demonstrationen
hielt. Auch auf anderen Universitäten haben „berühmte und tapfere Anatomici
ihre absonderliche Bestallung, damit die studirende Jugend in solcher sehr
nützlichen, nothwendig- und gründlichen Kunst nach selbst eigener Begierde kann
sattsam unterrichtet und anch ferner darin nach Belieben geübet werden."
Dr. Merklein bezeugt 1676, daß auf allen Universitäten „je zuweilen" publice
Anatomien abgehalten werden. Dasselbe geschah auch sonst in großen Städten
von gelehrten Medicis: „so sind in Nürnberg vornehmlich den Barbierern zu
Nutz und Lieb zu unterschiedlichen Zeiten solche ^.nawmisu nicht ohne derer
Zuschauer großes Lonteuto und sonderliches Belieben mit unermeßlichen Ruhm
gehalten worden". Neben diesen öffentlichen Sectionen stehen als Privat-
Anatomien die Oeffnungen im Spital Verstorbener, welche mehr den pathologisch-
anatomischen Zweck hatten, hinter die verborgene oder doch ungewisse Ursache
der Krankheit und des Todes zu kommen. Außerdem pflegte der junge
Wundarzt ein sxereitium eKirurMum an Thieren oder an einzelnen Theilen
des Körpers in seiner Wohnung vorzunehmen. Zur Anleitung im Anatomiren
dienten special-Werle, welche wie Michael Lyseri Lultsr M^valens eine
Beschreibung des Verfahrens und der dazu erforderlichen Instrumente ent¬
hielten.

Aus diesem Allen geht hervor, daß die Gelegenheit zur praktischen Erlernung
der Anatomie nur an Universitäten und in einzelnen größeren Städten gegeben
war, und auch hier in sehr beschränkter Weise. Fabricius ermahnt daher
die Obrigkeiten immer und immer wieder, dafür Sorge zu tragen, daß die
Wundärzte anatomischen Unterricht erhalten. An Anatomen fehlt es in Deutschland
nicht, denn wir haben Plater, Bauhinus, Bartholinus u. A. Wer aber fragen
wollte: Wo nehmen wir Leichen her? dem antwortet er drastisch genng: Sterben
nicht in den Lazarethen und Spitälern die Leute haufenweis dahin? werden
nicht Uebelthäter in Masse gehenkt? — Alle Ermahnungen aber scheiterten
an der öffentlichen Meinung, welche die Leichenöffnungen für einem Christen
nicht erlaubt hielten. So blieb denn nichts Anderes übrig, als daß die, welche
die Anatomie gründlich studiren wollen, in das Ausland gingen, was natürlich
nur den besser situirter möglich war.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0171" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138402"/>
          <p xml:id="ID_480" prev="#ID_479"> die der Vesal und Bauhinus, der anatomische Abriß von Schaeve und die<lb/>
chirurgische Anatomie Gelmanns. Leichenöffnungen waren im 16. Jahrhundert<lb/>
nicht eben häufige Ereignisse &#x201E;also daß man gar selten einen unter vielen finden<lb/>
thut, welchem des Menschen innerliche Gestalt bekannt wäre, oder welcher nur<lb/>
einen einzigen Menschen hätte sehen anatomiren und zerlegen"' Das besserte<lb/>
sich etwas, namentlich als in den ersten Decennien des 17. Jahrhunderts<lb/>
Caspar Bauhinus in dem tluzatrum an^tonicum zu Basel seine Demonstrationen<lb/>
hielt. Auch auf anderen Universitäten haben &#x201E;berühmte und tapfere Anatomici<lb/>
ihre absonderliche Bestallung, damit die studirende Jugend in solcher sehr<lb/>
nützlichen, nothwendig- und gründlichen Kunst nach selbst eigener Begierde kann<lb/>
sattsam unterrichtet und anch ferner darin nach Belieben geübet werden."<lb/>
Dr. Merklein bezeugt 1676, daß auf allen Universitäten &#x201E;je zuweilen" publice<lb/>
Anatomien abgehalten werden. Dasselbe geschah auch sonst in großen Städten<lb/>
von gelehrten Medicis: &#x201E;so sind in Nürnberg vornehmlich den Barbierern zu<lb/>
Nutz und Lieb zu unterschiedlichen Zeiten solche ^.nawmisu nicht ohne derer<lb/>
Zuschauer großes Lonteuto und sonderliches Belieben mit unermeßlichen Ruhm<lb/>
gehalten worden". Neben diesen öffentlichen Sectionen stehen als Privat-<lb/>
Anatomien die Oeffnungen im Spital Verstorbener, welche mehr den pathologisch-<lb/>
anatomischen Zweck hatten, hinter die verborgene oder doch ungewisse Ursache<lb/>
der Krankheit und des Todes zu kommen. Außerdem pflegte der junge<lb/>
Wundarzt ein sxereitium eKirurMum an Thieren oder an einzelnen Theilen<lb/>
des Körpers in seiner Wohnung vorzunehmen. Zur Anleitung im Anatomiren<lb/>
dienten special-Werle, welche wie Michael Lyseri Lultsr M^valens eine<lb/>
Beschreibung des Verfahrens und der dazu erforderlichen Instrumente ent¬<lb/>
hielten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_481"> Aus diesem Allen geht hervor, daß die Gelegenheit zur praktischen Erlernung<lb/>
der Anatomie nur an Universitäten und in einzelnen größeren Städten gegeben<lb/>
war, und auch hier in sehr beschränkter Weise. Fabricius ermahnt daher<lb/>
die Obrigkeiten immer und immer wieder, dafür Sorge zu tragen, daß die<lb/>
Wundärzte anatomischen Unterricht erhalten. An Anatomen fehlt es in Deutschland<lb/>
nicht, denn wir haben Plater, Bauhinus, Bartholinus u. A. Wer aber fragen<lb/>
wollte: Wo nehmen wir Leichen her? dem antwortet er drastisch genng: Sterben<lb/>
nicht in den Lazarethen und Spitälern die Leute haufenweis dahin? werden<lb/>
nicht Uebelthäter in Masse gehenkt? &#x2014; Alle Ermahnungen aber scheiterten<lb/>
an der öffentlichen Meinung, welche die Leichenöffnungen für einem Christen<lb/>
nicht erlaubt hielten. So blieb denn nichts Anderes übrig, als daß die, welche<lb/>
die Anatomie gründlich studiren wollen, in das Ausland gingen, was natürlich<lb/>
nur den besser situirter möglich war.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0171] die der Vesal und Bauhinus, der anatomische Abriß von Schaeve und die chirurgische Anatomie Gelmanns. Leichenöffnungen waren im 16. Jahrhundert nicht eben häufige Ereignisse „also daß man gar selten einen unter vielen finden thut, welchem des Menschen innerliche Gestalt bekannt wäre, oder welcher nur einen einzigen Menschen hätte sehen anatomiren und zerlegen"' Das besserte sich etwas, namentlich als in den ersten Decennien des 17. Jahrhunderts Caspar Bauhinus in dem tluzatrum an^tonicum zu Basel seine Demonstrationen hielt. Auch auf anderen Universitäten haben „berühmte und tapfere Anatomici ihre absonderliche Bestallung, damit die studirende Jugend in solcher sehr nützlichen, nothwendig- und gründlichen Kunst nach selbst eigener Begierde kann sattsam unterrichtet und anch ferner darin nach Belieben geübet werden." Dr. Merklein bezeugt 1676, daß auf allen Universitäten „je zuweilen" publice Anatomien abgehalten werden. Dasselbe geschah auch sonst in großen Städten von gelehrten Medicis: „so sind in Nürnberg vornehmlich den Barbierern zu Nutz und Lieb zu unterschiedlichen Zeiten solche ^.nawmisu nicht ohne derer Zuschauer großes Lonteuto und sonderliches Belieben mit unermeßlichen Ruhm gehalten worden". Neben diesen öffentlichen Sectionen stehen als Privat- Anatomien die Oeffnungen im Spital Verstorbener, welche mehr den pathologisch- anatomischen Zweck hatten, hinter die verborgene oder doch ungewisse Ursache der Krankheit und des Todes zu kommen. Außerdem pflegte der junge Wundarzt ein sxereitium eKirurMum an Thieren oder an einzelnen Theilen des Körpers in seiner Wohnung vorzunehmen. Zur Anleitung im Anatomiren dienten special-Werle, welche wie Michael Lyseri Lultsr M^valens eine Beschreibung des Verfahrens und der dazu erforderlichen Instrumente ent¬ hielten. Aus diesem Allen geht hervor, daß die Gelegenheit zur praktischen Erlernung der Anatomie nur an Universitäten und in einzelnen größeren Städten gegeben war, und auch hier in sehr beschränkter Weise. Fabricius ermahnt daher die Obrigkeiten immer und immer wieder, dafür Sorge zu tragen, daß die Wundärzte anatomischen Unterricht erhalten. An Anatomen fehlt es in Deutschland nicht, denn wir haben Plater, Bauhinus, Bartholinus u. A. Wer aber fragen wollte: Wo nehmen wir Leichen her? dem antwortet er drastisch genng: Sterben nicht in den Lazarethen und Spitälern die Leute haufenweis dahin? werden nicht Uebelthäter in Masse gehenkt? — Alle Ermahnungen aber scheiterten an der öffentlichen Meinung, welche die Leichenöffnungen für einem Christen nicht erlaubt hielten. So blieb denn nichts Anderes übrig, als daß die, welche die Anatomie gründlich studiren wollen, in das Ausland gingen, was natürlich nur den besser situirter möglich war.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/171
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/171>, abgerufen am 28.09.2024.