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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Nur ich muß nicht genießen,
Worauf dies Leben geht,
Das Glück will mir verschließen,
Was andern offen steht;
Der Frühling meiner Zier
Ist ferne schon von hier,
Gleich wie die Bäche fließen,
So eilt mein Herbst zu mir.
Ich aber muß noch bleiben,
So wie ich vormals war,
Soll nimmer mich beweiben,
Mit keiner sein ein Paar.
Das heeßa Wangenroth
Soll nimmer mir die Noth
Der Einsamkeit vertreiben;
Solch Leben ist ein Tod.

Daß des Pfarrers zu Tharan Tochter, Anna Neander, je die Geliebte
seines Herzens gewesen, ist nicht glaublich. Der schelmische und seines Sieges
gewisse Ton, der das plattdeutsche Original beherrscht, verbietet es an eine
Liebe zu denken, die bei der Erwählten oder ihren Aeltern auf irgend einen
Widerstand gestoßen sein könnte. Und wäre schließlich seine Liebe noch an
einer Klippe gescheitert, so wurde das poetische Gemüth Dach's schwerlich es
unterlassen haben, den Bewegungen desselben Ausdruck zu geben. Und so
wird die Ueberlieferung Recht behalten, welche das schöne Gedicht aus eiuer
herzlichen Freundschaft erklärt, welche Dach mit dem Bräutigam Aermchen's
verknüpfte, und es als einen Gruß ansieht, den er im Namen desselben, des
Predigers Portativs, dessen Braut zu ihrer Hochzeit darbrachte.*) Dach ver¬
mählte sich an seinem 37. Geburtstage, am 29. Juli 1641 mit Regina Pohl,
der Tochter des Königsberger Hofgerichtsadvokaten und Assessors im Sauian--
dischen Konsistorium Christoph Pohl. Die Ehe war eine sehr glückliche. Fünf
Knaben, von denen zwei allerdings früh starben, und zwei Töchter füllten das



*) Nach den Aufzeichnungen des Pfarrers Anton Pfeiffer in der Kirchcnchronik von
Tharan aus dein Jahre 1723 hatte der 1680 gestorbene Pfarrer Neander von Tharan eine
"von Gestalt angenehme" Tochter Anna hinterlassen, elf Jahr alt, die in Königsberg im
Hause ihres Vormundes, des Kaufmanns und Mälzcnbrciuers Stoltzenberg aufwuchs und
sich, achtzehn Jahr alt, mit dem Pfarrer in Teremgen bei Jnsterburg, Portatius, vermählte.
Als derselbe, Pfarrer in Laukischker geworden, starb, heirathete sie den Nachfolger desselben
Prediger Gruben und nach dessen Tode den an seine Stelle getretenen Prediger Melchior
Bcillstein. Auch diesen Gatten überlebte sie und wurde nun von ihrem Sohn aus erster
Ehe, Friedrich Portatins, lithauischen Pfarrer in Jnsterburg aufgenommen. Als dieser
1688 starb, blieb sie bei seiner Wittlve. Michaelis 1689 starb mich sie und wurde in Jnster¬
burg begraben.
Nur ich muß nicht genießen,
Worauf dies Leben geht,
Das Glück will mir verschließen,
Was andern offen steht;
Der Frühling meiner Zier
Ist ferne schon von hier,
Gleich wie die Bäche fließen,
So eilt mein Herbst zu mir.
Ich aber muß noch bleiben,
So wie ich vormals war,
Soll nimmer mich beweiben,
Mit keiner sein ein Paar.
Das heeßa Wangenroth
Soll nimmer mir die Noth
Der Einsamkeit vertreiben;
Solch Leben ist ein Tod.

Daß des Pfarrers zu Tharan Tochter, Anna Neander, je die Geliebte
seines Herzens gewesen, ist nicht glaublich. Der schelmische und seines Sieges
gewisse Ton, der das plattdeutsche Original beherrscht, verbietet es an eine
Liebe zu denken, die bei der Erwählten oder ihren Aeltern auf irgend einen
Widerstand gestoßen sein könnte. Und wäre schließlich seine Liebe noch an
einer Klippe gescheitert, so wurde das poetische Gemüth Dach's schwerlich es
unterlassen haben, den Bewegungen desselben Ausdruck zu geben. Und so
wird die Ueberlieferung Recht behalten, welche das schöne Gedicht aus eiuer
herzlichen Freundschaft erklärt, welche Dach mit dem Bräutigam Aermchen's
verknüpfte, und es als einen Gruß ansieht, den er im Namen desselben, des
Predigers Portativs, dessen Braut zu ihrer Hochzeit darbrachte.*) Dach ver¬
mählte sich an seinem 37. Geburtstage, am 29. Juli 1641 mit Regina Pohl,
der Tochter des Königsberger Hofgerichtsadvokaten und Assessors im Sauian--
dischen Konsistorium Christoph Pohl. Die Ehe war eine sehr glückliche. Fünf
Knaben, von denen zwei allerdings früh starben, und zwei Töchter füllten das



*) Nach den Aufzeichnungen des Pfarrers Anton Pfeiffer in der Kirchcnchronik von
Tharan aus dein Jahre 1723 hatte der 1680 gestorbene Pfarrer Neander von Tharan eine
„von Gestalt angenehme" Tochter Anna hinterlassen, elf Jahr alt, die in Königsberg im
Hause ihres Vormundes, des Kaufmanns und Mälzcnbrciuers Stoltzenberg aufwuchs und
sich, achtzehn Jahr alt, mit dem Pfarrer in Teremgen bei Jnsterburg, Portatius, vermählte.
Als derselbe, Pfarrer in Laukischker geworden, starb, heirathete sie den Nachfolger desselben
Prediger Gruben und nach dessen Tode den an seine Stelle getretenen Prediger Melchior
Bcillstein. Auch diesen Gatten überlebte sie und wurde nun von ihrem Sohn aus erster
Ehe, Friedrich Portatins, lithauischen Pfarrer in Jnsterburg aufgenommen. Als dieser
1688 starb, blieb sie bei seiner Wittlve. Michaelis 1689 starb mich sie und wurde in Jnster¬
burg begraben.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/141>, abgerufen am 28.09.2024.