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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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allerdings wenig erzielt. Wie auch die Predigten jener Zeit beweisen, fehlte
es ihr an der Fähigkeit schlichter, klarer, dnrch die Natur der Dinge zwingender
Beredtscnnkeit. Geschmacklose Spielereien, ein Prunken mit Gelehrsamkeit und
Belesenheit machen den größtes Theil der rednerischen Erzeugnisse jener Zeit
ungenießbar. Desto herrlicher sehen wir das geistige Leben auf dem Gebiet
der Musik und Poesie sich entfalten. Beide gehen Hand in Hand. Bald sind
die Komponisten selbst Dichter, bald mit den Dichtern durch Bande innigster
Freundschaft verknüpft. Der Gründer der preußischen Tonschule, Johann
> Eccard, aus Mühlhausen in Thüringen gebürtig, war ein Schüler des Belgiers
Orlando ti Lasso. Seit 1583 war er in Königsberg wirksam, zuerst mit der
Unterstützung des Kapellmeisters Riceius beauftragt, dann im Jahre 1589 zu
dessen Nachfolge berufen. Bis zum Jahre 1608, in welchem er nach Berlin
übersiedelte, um die gleiche Stellung am churfürstlichen Hofe einzunehmen,
finden wir ihn in Königsberg thätig. Lieblichkeit und Einfachheit zeichnen
seine musikalischen Schöpfungen aus, der harmonische Geist einer Idylle athmet
in ihnen. Die ersten Nachfolger Eccard's, Johann Croeer und Jakob Schmidt
waren wenig bedeutend, von letzterem ist uns nur wenig bekannt, von ersterem,
einem sonst, wie es scheint, nicht unbegabtem Manne wissen wir nur, daß er
seinem Amte nicht gewachsen war, die Disziplin in der Kapelle nicht aufrecht
erhalten konnte. Erst in Johann Stobäus, der ganz den Fußtapfen Eccard's
folgte, fand dieser einen geistesverwandten Nachfolger. Stobäus war ein ge-
borner Ostpreuße, seine Vaterstadt Graudenz, wo er 1580 das Licht der Welt
erblickte. 1603 erhielt er das Amt eines Kantors der Stadt Kneiphof. Fünf
Jahre darauf verlobte er sich mit der Tochter eines Königsberger Bürgers,
Elisabeth Hausmann. Eccard feierte die Hochzeit durch eine ihr gewidmete
Komposition. Aber dies Glück zerstörte der Tod bald. Nach zehn Jahren
vermählte sich Stobäus zum zweiten Male, mit einer Wittwe, Frau Regina
Möller. Im Jahre 1627 wurde er zum Kapellmeister berufen. Dies Amt
war sehr ehrenvoll, aber auch sehr kostspielig. Zuerst empfing Stobäus gar
kein Gehalt, nur die Verpflichtung, den größten Theil der Kapelle mit Nah¬
rung, Kleidung, Wohnung auf eigne Kosten zu Versehen. Einige Zeit darauf
wurde ihm allerdings Gehalt ausgesetzt, aber die bis dahin ausgegebenen
Gelder erstattete man ihm nicht wieder. Die ihm zuerkannte Besoldung be¬
stand in 1000 polnischen Gulden, also nach gegenwärtiger Rechnung in 1000
Mark, 26 Tonnen Tafelbier, sechs Achtel Brennholz und vier Hofkleidungen
für vier Knaben der Kapelle. Er hatte natürlich nach wie vor die Kapelle
zum größten Theil zu unterhalten. So können wir uns nicht wundern, daß
als er 1646 starb, er den Seinen viel Ruhm und Ehre, aber auch sehr viel
Schulden hinterließ. Sehen wir von den traurigen finanziellen Verhältnissen


Grenzboten III. 1V77. 1?

allerdings wenig erzielt. Wie auch die Predigten jener Zeit beweisen, fehlte
es ihr an der Fähigkeit schlichter, klarer, dnrch die Natur der Dinge zwingender
Beredtscnnkeit. Geschmacklose Spielereien, ein Prunken mit Gelehrsamkeit und
Belesenheit machen den größtes Theil der rednerischen Erzeugnisse jener Zeit
ungenießbar. Desto herrlicher sehen wir das geistige Leben auf dem Gebiet
der Musik und Poesie sich entfalten. Beide gehen Hand in Hand. Bald sind
die Komponisten selbst Dichter, bald mit den Dichtern durch Bande innigster
Freundschaft verknüpft. Der Gründer der preußischen Tonschule, Johann
> Eccard, aus Mühlhausen in Thüringen gebürtig, war ein Schüler des Belgiers
Orlando ti Lasso. Seit 1583 war er in Königsberg wirksam, zuerst mit der
Unterstützung des Kapellmeisters Riceius beauftragt, dann im Jahre 1589 zu
dessen Nachfolge berufen. Bis zum Jahre 1608, in welchem er nach Berlin
übersiedelte, um die gleiche Stellung am churfürstlichen Hofe einzunehmen,
finden wir ihn in Königsberg thätig. Lieblichkeit und Einfachheit zeichnen
seine musikalischen Schöpfungen aus, der harmonische Geist einer Idylle athmet
in ihnen. Die ersten Nachfolger Eccard's, Johann Croeer und Jakob Schmidt
waren wenig bedeutend, von letzterem ist uns nur wenig bekannt, von ersterem,
einem sonst, wie es scheint, nicht unbegabtem Manne wissen wir nur, daß er
seinem Amte nicht gewachsen war, die Disziplin in der Kapelle nicht aufrecht
erhalten konnte. Erst in Johann Stobäus, der ganz den Fußtapfen Eccard's
folgte, fand dieser einen geistesverwandten Nachfolger. Stobäus war ein ge-
borner Ostpreuße, seine Vaterstadt Graudenz, wo er 1580 das Licht der Welt
erblickte. 1603 erhielt er das Amt eines Kantors der Stadt Kneiphof. Fünf
Jahre darauf verlobte er sich mit der Tochter eines Königsberger Bürgers,
Elisabeth Hausmann. Eccard feierte die Hochzeit durch eine ihr gewidmete
Komposition. Aber dies Glück zerstörte der Tod bald. Nach zehn Jahren
vermählte sich Stobäus zum zweiten Male, mit einer Wittwe, Frau Regina
Möller. Im Jahre 1627 wurde er zum Kapellmeister berufen. Dies Amt
war sehr ehrenvoll, aber auch sehr kostspielig. Zuerst empfing Stobäus gar
kein Gehalt, nur die Verpflichtung, den größten Theil der Kapelle mit Nah¬
rung, Kleidung, Wohnung auf eigne Kosten zu Versehen. Einige Zeit darauf
wurde ihm allerdings Gehalt ausgesetzt, aber die bis dahin ausgegebenen
Gelder erstattete man ihm nicht wieder. Die ihm zuerkannte Besoldung be¬
stand in 1000 polnischen Gulden, also nach gegenwärtiger Rechnung in 1000
Mark, 26 Tonnen Tafelbier, sechs Achtel Brennholz und vier Hofkleidungen
für vier Knaben der Kapelle. Er hatte natürlich nach wie vor die Kapelle
zum größten Theil zu unterhalten. So können wir uns nicht wundern, daß
als er 1646 starb, er den Seinen viel Ruhm und Ehre, aber auch sehr viel
Schulden hinterließ. Sehen wir von den traurigen finanziellen Verhältnissen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/137>, abgerufen am 28.09.2024.